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Mattias Höhn: Ostdeutschland - Sagen, was ist!

Rede von Matthias Höhn,

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wenn man so spät in einer Debatte das Wort bekommt, dann hat man ja die Gelegenheit, auf das eine oder andere zu reagieren, und das will ich tun.

Herr Martens, Sie haben uns vorhin mehr oder weniger mahnend gefragt, ob wir noch merken, was wir bei der Debatte, die wir hier führen, als Linke tun,

(Kai Whittaker [CDU/CSU]: Und?)

und haben in Richtung AfD gezeigt. Herr Martens, ich würde Sie gerne fragen, ob Sie merken, was Sie unterlassen. Ich würde Ihnen gerne sagen, dass es aus meiner Sicht zutiefst die Aufgabe von demokratischen Parteien ist, soziale Ängste und soziale Missstände zu thematisieren, Herr Martens.

(Beifall bei der LINKEN – Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Aber nicht zu schüren! – Mark Hauptmann [CDU/CSU]: Nicht zu instrumentalisieren!)

Wenn wir das nicht mehr tun, dann überlassen wir denen das Feld, Herr Martens, die wir gemeinsam bekämpfen wollen.

(Beifall bei der LINKEN)

Jetzt komme ich zu den Kollegen der Union. Dort wird in ein ähnliches Horn geblasen: Die Linke spaltet. Die Linke redet den Osten schlecht.

(Stefan Müller [Erlangen] [CDU/CSU]: Das stimmt!)

– Ja, ja. – Liebe Kollegen, Sie reden die Lage schön, und ich würde bezweifeln, dass das gute Politik ist. Wenn Sie sich anschauen, wie das Vertrauen der Menschen in Ostdeutschland in Demokratie ist, wie das Vertrauen in politische Parteien ist, wie das Vertrauen in uns alle in Ostdeutschland ist, dann sollten Sie sich doch mal die Frage stellen, woher dieses massiv geschwundene Vertrauen kommt. Vielleicht, Herr Körber, vielleicht, Herr Hauptmann, hat es damit zu tun, dass den Leuten in den letzten 30 Jahren Dinge erzählt worden sind, die krass an der Realität vorbeigehen, weil die Bundesregierung die Lage einfach schönredet, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der LINKEN)

Dann will ich sagen, Herr Müller: Ich kann sehr vielem zustimmen, was Sie gesagt haben. Aber eine Bemerkung will ich in dieser Debatte heute auch machen – ich finde, dass gerade wir aus Ostdeutschland bei dieser Wortwahl auch irgendwann mal besser werden müssen –: Jedes Mal, wenn wir eine Ostdebatte führen, findet sich irgendwer, der als Erster das Wort „jammern“ in den Mund nimmt. Ehrlich gesagt, finde ich das mittlerweile nicht mehr erträglich,

(Beifall bei der LINKEN)

dass immer dann, wenn über ostdeutsche Probleme geredet wird, das Wort „jammern“ fällt. Ich kenne keine andere Debatte, wo wir über Missstände reden, bei denen wir miteinander etwas verbessern wollen, wo über Jammerei geklagt wird. Nur wenn wir über Ostdeutsche reden, reden wir über die Jammerossis.

(Alexander Graf Lambsdorff [FDP]: Aber haben Sie Frau Zimmermann nicht zugehört? Das war doch das Problem!)

– Herr Lambsdorff, melden Sie sich doch bei Themen, wo Sie Ahnung haben. Die FDP ist mit dem Thema Ostkompetenz bisher nicht aufgefallen.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich finde, dass wir als Ostdeutsche – es ist über Selbstbewusstsein geredet worden – doch insgesamt fragen sollten: Warum fangen wir denn jetzt an, über Jammerei zu reden? Nein, es ist auch Aufgabe dieses Hauses, über Probleme zu reden und sie nicht zu diskreditieren, Herr Müller, bei allem, wo ich Ihnen zustimme.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Jetzt haben Sie gesagt: Der Osten ist wirtschaftlich stärker geworden. – Na ja, Herr Müller. Schauen wir mal in den letzten Bericht der Bundesregierung zum Stand der deutschen Einheit: Das wiederholt sich ja mehr oder weniger jährlich. Schauen wir mal auf die Entwicklung des BIP in Ostdeutschland im Vergleich zu Westdeutschland und zum bundesdeutschen Durchschnitt. Was sehen wir denn da, Herr Müller? Wir sehen, dass es von 1990 bis 1995 einen starken Anstieg gab und wir de facto seit 1995 eine Seitwärtsbewegung haben und kein Zusammenwachsen von Ost und West in der Wirtschaftsfrage.

Da sind wir an dem Punkt, Herr Körber: Reden wir die Lage schlecht? Sagen, was ist, Herr Körber, das wäre mal eine Sache. Wir haben keinen wirtschaftlichen Aufholprozess des Ostens. Das muss ausgesprochen und das muss geändert werden, meine sehr verehrten Damen und Herren.

(Beifall bei der LINKEN)

Die letzte Bemerkung, die ich machen will, betrifft auch das Thema Gewerkschaften. Es ist in der Tat so – ich glaube, das wird hier niemand bestreiten –, dass wir immer noch eine große Lohnlücke zu beklagen haben, und es ist in der Tat so, dass wir in den letzten Jahren ein massives Problem hatten: dass die Gewerkschaften nicht mobilisieren konnten, dass sie vor Ort nicht verankert waren. Den Schlaubergern von der AfD sage ich: Herr Pohl, wenn Sie eine Ahnung von dem hätten, worüber Sie reden, dann wüssten Sie, dass sich genau das geändert hat und dass die reale Lage in Ostdeutschland eine völlig andere ist und dass wir allein im Jahr 2020 mehr Arbeitskämpfe hatten als in den 25 Jahren davor. Alle, die etwas dafür tun wollen, um an der Situation in Ostdeutschland etwas zu verbessern und Löhne zu steigern, sollten Gewerkschaften unterstützen und nicht, wie die AfD es tut, bekämpfen.

Herzlichen Dank, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der LINKEN)