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Matthias Höhn: Gleiche Arbeit, falscher Ort: Ostbiographie bleibt Renten-Nachteil

Rede von Matthias Höhn,

Frau Präsidentin! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Wir erinnern uns noch: Vor allem in den Jubiläumsjahren 2019 und 2020 ist kaum eine Rede zur deutschen Einheit ohne einen Hinweis auf die Lebensleistung der Ostdeutschen ausgekommen. Bemerkenswerterweise ging es in den meisten Reden, wenn über Lebensleistung geredet worden ist, eigentlich nur um die Zeit nach 1990. Es wurde auf die Demütigungen verwiesen, die erfahren worden sind, durch Arbeitslosigkeit, durch 1‑Euro-Jobs. Aber was ist eigentlich mit der Lebensleistung vor 1990, liebe Kolleginnen und Kollegen?

(Beifall bei der LINKEN)

Die DDR ist ja nun nicht daran zugrunde gegangen, dass 17 Millionen nichts konnten und nichts wollten, sondern sie ist unter anderem an der Zweitklassigkeit ihrer Wirtschaftsleistung, ihrer Wirtschaftskraft zugrunde gegangen. Aber aus dieser Zweitklassigkeit der Wirtschaft ist eben heute sehr oft auch eine Zweitklassigkeit von Biografien und Zweitklassigkeit von Rentenanwartschaften geworden, meine sehr verehrten Damen und Herren, und das kritisieren wir nach wie vor.

(Beifall bei der LINKEN)

Nun ist es nicht das erste Mal – das werden wir auch gleich in der Aussprache hören –, dass wir die Anerkennung beantragen, wenn wir über Rentenüberleitungsprobleme, Rentenüberleitungsungerechtigkeiten und über Rentenansprüche aus der Zeit der DDR reden, die bis heute nicht anerkannt worden sind. Aber nach wie vor gibt es leider für eine ganze Reihe von Betroffenen, sehr viele Ostdeutsche, nach wie vor keine Lösung. Wir reden über Reichsbahner, über die Bergleute über Tage, über Krankenschwestern, über sehr viele mehr. Deren Ansprüche sind nicht anerkannt worden. Warum? Weil die Leistung in der DDR erbracht worden ist.

(Markus Kurth [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Nein! Falsch!)

Und mit dieser Ungerechtigkeit muss Schluss sein, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der LINKEN)

Sie wissen sehr genau – weil ja auch Sie diese Gespräche führen, nicht nur ich –: Auch die Betroffenen geben bis heute keine Ruhe. Das tun sie zu Recht, und sie können sich auch darauf verlassen, dass Die Linke keine Ruhe gibt, bis dieses Problem gelöst ist. Auch das kann ich Ihnen versprechen, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der LINKEN)

Nun will ich auf etwas zu sprechen kommen, was sicherlich auch gleich erwähnt wird und in Ihrem Koalitionsvertrag 2018 ja schon angekündigt worden ist: den Härtefallfonds.

(Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Sehr gut!)

Wenn ich die jüngsten Presseberichte über die Gespräche, die zu diesem Fonds laufen, zur Kenntnis nehme, dann stelle ich fest, dass es nach wie vor um ein Stichwort geht, das das Problem nicht löst, und das ist das Stichwort „Grundsicherungsnähe“. Meine sehr verehrten Damen und Herren, ich will ausdrücklich sagen: Wenn Sie bei diesem Konstrukt bleiben – das wissen Sie, und zwar ganz genau –, dann werden Sie für den Großteil der Betroffenen das Problem, über das wir hier sprechen, nicht lösen. Deswegen – das sage ich Ihnen heute schon – ist das nichts, was von unserer Seite akzeptiert werden kann und mit Sicherheit auch von den Betroffenen nicht akzeptiert wird.

(Beifall bei der LINKEN)

Letztlich läuft auch das wieder darauf hinaus, sehr vielen Ostdeutschen zu sagen, sie sollen mal mit etwas weniger zufrieden sein, als ihnen eigentlich zusteht, sie sollen dankbar sein.

Meine sehr verehrten Damen und Herren, da wir vor einem Wahlkampf stehen, will ich mal darauf hinweisen: Natürlich werden Wahlkämpfe im Westen entschieden, schon zahlenmäßig. Aber wir werden auch bei dieser Bundestagswahl wieder erleben, dass es im Osten mittlerweile um sehr viel mehr geht. Da geht es nämlich um die Frage, ob demokratische Parteien, ob wir insgesamt noch Bindekraft gegenüber den sehr vielen Ostdeutschen entfalten können, die mit Blick auf ihre Erwartungen über 30 Jahre von demokratischer Politik enttäuscht worden sind.

Und deswegen kann ich Ihnen nur sagen: Machen Sie es sich nicht zu einfach. Es sind in den letzten 30 Jahren viele Fehler gemacht worden, jawohl. Aber einer der größten Fehler ist vielleicht, auch gegenüber den Betroffenen nicht einmal einzugestehen, dass es Fehler gewesen sind, sondern ignorant darüber hinwegzugehen, liebe Kolleginnen und Kollegen.

(Beifall bei der LINKEN)

Deswegen bleibt unsere Aufforderung: Schließen Sie die Lücken im Rentenrecht. 30 Jahre nach der deutschen Einheit ist es höchste Zeit, das zu tun. Und wenn Sie schon mit Ihrem Projekt des Härtefallfonds kommen, dann bleibt meine Aufforderung: Machen Sie aus diesem Härtefallfonds einen Gerechtigkeitsfonds. Dann hat er vielleicht auch eine Chance auf Akzeptanz und Durchsetzung.

Herzlichen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)