Wir haben es heute weltweit mit einem qualitativen Wandel des Kapitalismus zu tun. Der so genannte organische oder organisierte Kapitalismus wird vom Finanzmarktkapitalismus abgelöst. Wir haben es mit einer explosionsartigen Anhäufung privater Vermögen und Anlage suchender Liquidität zu tun. Linke Politik muss Politik gegen das internationale Finanzkapital sein, weil es gar keine andere Wahl gibt. Die Menschen sind immer weniger bereit, sich zur Geisel der Renditeansprüche der Vermögensbesitzer und der Verarmung der öffentlichen Hand zu machen. Sozialleistungen im Sozialstaat entwickelter Industriegesellschaften kein Geschenk, keine Befriedigung von Bedürftigkeit bedeuten, sondern stellen einen Rechtsanspruch auf soziale Sicherheit dar. Axel Troost in der allgemeinen Finanzdebatte zum Haushaltsentwurf 2006:
Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Manchmal habe ich den Eindruck, auf der Regierungsbank sitzt nicht ein Minister Steinbrück, sondern dort sitzen zwei; der doppelte Steinbrück sozusagen. Steinbrück I sagt, wie in der Sonntagsausgabe der „FAZ“ zu lesen ist ich zitiere : „Man spart sich aus Haushaltsstrukturproblemen nicht heraus.“ Derselbe Minister sagt auch: „Der Haushalt muss das noch labile Wachstum stützen.“ Und im Monatsbericht seines Hauses vom letzten Dezember heißt es: „Die Konsolidierungslast muss solidarisch von allen in unserer Gesellschaft getragen werden.“ (Steffen Kampeter (CDU/CSU): Sehr wahr!) Wenn ich das höre und lese, muss ich sagen: Weiter so, Herr Minister! Bei diesen Aussagen steht die Linksfraktion hinter Ihnen. (Beifall bei der LINKEN) Auch die neuen Parolen aus der SPD nach einem handlungsfähigen Staat finden unsere Unterstützung. Nun kommt Steinbrück II. Er spricht eine ganz andere Sprache. Nach der Agenda 2010, nach jahrelangen Sparrunden und Nullrunden bei den Rentnerinnen und Rentnern, nach jahrzehntelanger Umverteilung von unten nach oben, nach alledem fordert Steinbrück II: Der Staat muss Leistungen kürzen, die „übertriebene Anspruchshaltung“ muss im Zaum gehalten werden, der Staat muss sich „auf seine Kernaufgaben konzentrieren“ und auf „Eigenverantwortung“ setzen; so der Wortlaut seiner Grundsatzrede von Anfang Januar. So heißt es auch im Deutschen Stabilitätsprogramm vom Februar 2006 wörtlich: Ohne eine Rückführung der Sozialleistungsquote können die … Konsolidierungsziele … nicht erreicht werden. „Reduktion auf die Kernaufgaben“ hieß aber immer schon Sozialabbau. Das war stets die Kampfparole der FDP und des Arbeitgeberflügels der CDU/CSU, Herr Minister. Was heißt denn, man könne nicht mehr „einen vornehmlich konsumtiv ausgerichteten Sozialstaat“ finanzieren“? Wann begreifen Sie endlich, dass Sozialleistungen im Sozialstaat entwickelter Industriegesellschaften kein Geschenk, keine Befriedigung von Bedürftigkeit bedeuten, sondern einen Rechtsanspruch auf soziale Sicherheit darstellen? (Beifall bei der LINKEN) In diesem Verständnis von Sozialstaat unterscheiden wir uns auch von den Kolleginnen und Kollegen von der SPD fundamental. Jetzt komme ich zum Haushalt. Welcher Minister hat ihn nun entworfen, Steinbrück I oder Steinbrück II? In Ihrem 25 Milliarden-Sofortprogramm werden zusätzliche Investitionen in Verkehr, Forschung, Energie und Umweltsanierung angekündigt. Das klang in Genshagen sehr beeindruckend. Ob das alles übrigens zusätzlich erfolgt, sei noch dahingestellt. Ihr Haushalt spricht aber eine andere Sprache: Die investiven Ausgaben des Bundes steigen gerade einmal um eine halbe Milliarde Euro: von 22,7 Milliarden Euro in 2005 auf 23,2 Milliarden Euro in 2006 bis 2009. Das bedeutet erstens: Sie liegen immer noch unterhalb des Niveaus der Jahre bis 2004 und damit auch deutlich unterhalb des Durchschnitts der Eurozone. Mit diesem investiven Teil Ihres Sofortprogramms stoppen Sie gerade einmal den Abwärtstrend der öffentlichen Investitionen in den letzten 20 Jahren. Eine Trendwende zur Verbesserung von Straßen und öffentlichem Verkehr, von Schulen und Universitäten ist das nicht. Wo da der Aufbruch im Land bleibt, den Frau Merkel feierlich verkündet hat, bleibt mir schleierhaft. Wir begrüßen uneingeschränkt, dass die Bundesregierung endlich auf Forderungen nach Zukunftsinvestitionen eingeht, die unsere Fraktion, kritische Wissenschaftler, aber auch die IG Metall, Verdi und andere Gewerkschaften seit langem erheben. Es gibt nur ein kleines Problem: IG Metall und Verdi fordern mindestens 20 Milliarden Euro bzw. 40 Milliarden Euro pro Jahr. Was sagen Sie zu der Aussage der „Financial Times“ vom 10. Januar, dass eine Konjunkturpolitik mit einem Volumen von 60 Milliarden Euro pro Jahr notwendig wäre, wollte die Bundesregierung, bezogen auf das jeweilige Bruttoinlandsprodukt, eine ähnliche Finanzpolitik wie die USA machen? (Steffen Kampeter (CDU/CSU): Wir wollen keine Finanzpolitik wie die USA machen!) 60 Milliarden Euro jährlich, nicht 6 Milliarden Euro wären geboten. So ist die Lage in unserem Land. (Beifall bei der LINKEN) Aber es bleibt zweitens leider nicht bei der Kritik der Miniexpansion. Bezogen auf das laufende Jahr ist Ihr Haushalt im Saldo gerade nicht expansiv, sondern restriktiv. Ich verweise hier auf eine Analyse des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung. Sie haben nämlich Ihre Kürzungen vergessen, Herr Minister, wenn Sie von Expansion reden. Kürzungen bei den Hartz-IV-Empfängern, Steuererhöhungen für Pendler und Bezieher von Abfindungen, Kürzungen bei den Nahverkehrspauschalen für die Länder, Kürzungen im öffentlichen Dienst, Beitragserhöhungen für Rentnerinnen und Rentner. Das macht zusammen insgesamt 4,5 Milliarden Euro. (Steffen Kampeter (CDU/CSU): Wenn das alles wäre, wäre es in Ordnung!) Bei aller keynesianischen Rhetorik: Sie bleiben letztlich bei dem Schrumpfkurs Ihres Vorgängers. Dieser Kurs ist aber gnadenlos gescheitert und bei der letzten Bundestagswahl gerade abgewählt worden. (Beifall bei der LINKEN) Nun kommt im nächsten Jahr die Mehrwertsteuererhöhung mit 15 bis 17 Milliarden Euro jährlich, die noch zusätzlich die Binnennachfrage belastet und das wollen wir nicht vergessen in erster Linie auf Kosten der unteren Einkommensschichten geht, die immer noch die Hauptlast von Mehrwertsteuererhöhungen tragen müssen. Wir bleiben deshalb dabei: Unter dem Strich ist dieser Haushalt kein Haushalt für Wachstum und Beschäftigung, sondern für Schrumpfung und Arbeitslosigkeit, ein Haushalt der sozialen Ungerechtigkeit. (Beifall bei der LINKEN) Nun zum Thema Schulden. Die Staatsschulden in Deutschland haben 2005 das vierte Mal in Folge die Maastrichtkriterien verletzt. Vermutlich wird es auch dieses Jahr wieder geschehen. Im vorliegenden Haushalt liegt die Neuverschuldung in der Tat um 65 Prozent über den Investitionen. Unsere Position hierzu ist klar: Wir lehnen die Maastrichtkriterien ab. Sie sind ein Produkt monetaristischer Ideologie. (Beifall bei der LINKEN) Sie sind, um mit Prodi zu sprechen, dumm und töricht. Sie wirken prozyklisch und sie widersprechen Steinbrück I, dem zufolge man sich eben nicht aus der Krise heraussparen kann. (Beifall bei der LINKEN) Wir fordern deshalb die Bundesregierung auf, die in Brüssel seit längerem stattfindende Diskussion über die wachstumsorientierte Neuinterpretation der Kriterien zu beschleunigen. Man hört in der Öffentlichkeit sehr wenig davon. (Carsten Schneider (Erfurt) (SPD): Die Veränderungen haben Sie nicht mitgekriegt?) Die öffentlichen Investitionen sind mit gerade einmal 1,3 Prozent des BIP ein kümmerlicher Rest. Das ist ein historischer Tiefstand. So wie die Dinge bei uns stehen, kommen wir an einer Kreditfinanzierung solcher Investitionen nicht vorbei. Kreditfinanzierung ist für eine antizyklische Finanzpolitik unverzichtbar. Abbau von Verschuldung über eine Spar-, Schrumpfungs- und Umverteilungspolitik zulasten breiter Teile der Bevölkerung wirkt ökonomisch verheerend. Das Problem bei der Verschuldung ist ein ganz anderes: Unter Rot-Grün ist mit voller Zustimmung von Schwarz-Gelb das wurde heute hier noch einmal deutlich die Verschuldung zur Lückenbüßerin für eine massive Senkung der Steuerquote verkommen. (Steffen Kampeter (CDU/CSU): Oh Gott! Oh Gott!) Klar wird damit, dass der Rückgang der Steuerquote nicht nur auf die schwache wirtschaftliche Entwicklung der vergangenen Jahre zurückzuführen ist, sondern erstens auf eine völlig verfehlte Steuersenkungspolitik seit 2000 (Beifall bei der LINKEN) und zweitens auf die katastrophalen Wirkungen der Steuerentlastungen zugunsten der Wirtschaft. Zur Erinnerung: Hätten wir heute die Steuerquote des Jahres 2000, dann wäre die nötige Neuverschuldung null. Auf Basis der Steuerquote von 2000 hätte der Staat circa 65 Milliarden Euro mehr. Das ist die ganze Wahrheit, meine Damen und Herren. (Beifall bei der LINKEN - Steffen Kampeter (CDU/CSU): So statisch funktioniert das alles nicht!) Insofern ist es ein Treppenwitz, jetzt das zu schwache Steuersubstrat zu beklagen. Das ist geradezu eine dreiste Verhöhnung der Öffentlichkeit. Sie haben doch das Steuersubstrat verkommen lassen. (Jochen-Konrad Fromme (CDU/CSU): Sie sind doch erst zufrieden bei 100 Prozent Steuerquote! - Weiterer Zuruf des Abg. Steffen Kampeter (CDU/CSU)) Schließlich ein Wort zu internationalen Zusammenhängen. Die Wirkungen Ihres Haushalts lassen sich natürlich ohne die gesamtwirtschaftlichen und weltwirtschaftlichen Zusammenhänge nicht angemessen beurteilen. Wir haben es heute weltweit mit einem qualitativen Wandel des Kapitalismus zu tun. Der so genannte organische oder organisierte Kapitalismus bei uns auch Deutschland AG genannt wird vom Finanzmarktkapitalismus abgelöst. (Steffen Kampeter (CDU/CSU): Wollen Sie den umkehren, oder was soll das heißen?) Wir haben es mit einer explosionsartigen Anhäufung privater Vermögen und Anlage suchender Liquidität zu tun. Schätzungen besagen, dass weitweit inzwischen insgesamt 36 Billionen Euro, also 36 000 Milliarden Dollar, an privatem Finanzvermögen vorhanden sind. (Steffen Kampeter (CDU/CSU): Wollen Sie die enteignen, oder was?) Nein. Dies ist natürlich ein Problem. Dafür gibt es drei Gründe: Erstens. Die Ausweitung der privaten Alterssicherung bedeutet einen entsprechenden Zuwachs der Pensionsfonds. (Steffen Kampeter (CDU/CSU): Ja und? Das ist doch im Interesse der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer!) Zweitens. Die Umverteilungspolitik bewirkt einen Anstieg der Geldvermögen. Drittens. Es gibt unzureichende Verwertungsbedingungen, die ebenfalls zu entsprechenden Anlagen in Finanzkapital führen. (Steffen Kampeter (CDU/CSU): Das ist wahrscheinlich profitabler für die älteren Herrschaften als die gesetzliche Rentenversicherung!) So ist das, ja. Aber dann muss man sich darüber Gedanken machen, welche Alternativen man bietet. Ich versuche gleich noch, das zu erklären. (Beifall bei der LINKEN) Alles zusammen führt zu neuen Finanzierungsformen der Unternehmensinvestitionen, weg vom Bankkredit hin zu Aktien, Anleihen, Investmentfonds und privaten Investmentfirmen, zur konsequenten Profitsteuerung sämtlicher Unternehmensbereiche. (Steffen Kampeter (CDU/CSU): Herzlich willkommen im 21. Jahrhundert!) Weltweit vorgegebene Renditeziele werden zum entscheidenden Bezugspunkt der Unternehmensentscheidungen. Das „Durchregieren“ immer flatterhafterer Finanzmärkte in die nationalen Ökonomien, in einzelne Unternehmen und Unternehmensteile führt zu wachsender Abhängigkeit von spekulativen Entwicklungen der Absatz- und Finanzkonjunkturen. Die Folge sind immer kurzfristigere Ad-hoc-Reaktionen des Managements. Strategische Planung wird zur Nebensache. Folge ist die Unterwerfung der Unternehmensführungen unter das Diktat der Finanzvorstände und nicht zuletzt die Explosion der Managergehälter, die 1980 noch das 40fache des Facharbeitergehaltes ausmachten, in 2003 aber sage und schreibe das 400fache. (Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE): Unglaublich!) Das ist ein verteilungspolitischer Skandal. (Beifall bei der LINKEN) Norbert Walter von der Deutschen Bank bezeichnet die Finanzmärkte als die vierte Gewalt im Staat. Tietmeyer zufolge haben die Politiker immer noch nicht gemerkt, wie sehr sie von den Finanzmärkten insgesamt beherrscht werden. (Steffen Kampeter (CDU/CSU): Die Verführungstheorie der Finanzmärkte! Das hat doch so einen Bart!) Ich komme zum Schluss. Herr Fischer hat auf eine provokante Frage von Delegierten auf einem Verdi-Kongress mit einer Gegenfrage geantwortet: Wollt ihr etwa eine Politik gegen das internationale Finanzkapital machen? Diese Frage beantworten wir eindeutig: Ja, genau das wollen wir. (Beifall bei der LINKEN - Lachen bei der SPD) Wir wollen es, weil es gar keine andere Wahl gibt. Die Menschen sind immer weniger bereit, sich zur Geisel der Renditeansprüche der Vermögensbesitzer und der Verarmung der öffentlichen Hand zu machen. (Beifall bei der LINKEN Steffen Kampeter (CDU/CSU): Sie stehen in einer unguten politischen Tradition!) Genau das zeigen die Streiks im öffentlichen Dienst, der Kampf bei AEG, der Widerstand gegen Privatisierungen, die Proteste der sozialen Bewegungen. Sie lassen dies alles einfach so weiterlaufen. Wir sind in der Tat der Ansicht: Hier muss eingegriffen werden. Wir wollen mit dafür sorgen, dass die Gewerkschaften, dass die sozialen Bewegungen mit unserer Fraktion wieder ein Sprachrohr haben, um gegen diese Entwicklungen einzuschreiten. Danke schön. (Beifall bei der LINKEN)
Linke Politik ist Politik gegen das internationale Finanzkapital
Rede
von
Axel Troost,