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LINKE kämpft weiter an Seite der Hartz-IV-Betroffenen

Rede von Dagmar Enkelmann,

Vereinbarte Debatte "Zur Lage von SGB-Leistungsempfänger und ihrer Kinder"

Dr. Dagmar Enkelmann (DIE LINKE):
Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Das, was wir in den letzten Wochen im Vermittlungsausschuss erlebt haben, war ein unwürdiges Gefeilsche und Geschacher.
(Beifall bei der LINKEN)
Das, was jetzt hier stattfindet, sind politische Schaukämpfe.
Sie, meine Damen und Herren von der SPD, haben offenkundig kalte Füße gekriegt. Sie wollen den Vermittlungsausschuss vor der Entscheidung im Bundesrat erneut anrufen. Sie stecken gemeinsam mit den Grünen nach wie vor in der Hartz-IV-Falle, und Sie sind nicht bereit, sich aus dieser Falle zu befreien.
(Beifall bei der LINKEN Claudia Roth (Augsburg) (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Etwas anderes fällt Ihnen nicht ein! Thomas Oppermann (SPD): Sie stecken in der Kommunismusfalle!)
Das Schlimme daran ist allerdings, dass das auf dem Rücken von Langzeitarbeitslosen, auf dem Rücken von Menschen, die für einen Hungerlohn arbeiten und auf ergänzende Sozialleistungen angewiesen sind, und auf dem Rücken von Kindern und Jugendlichen, die in Hartz-IV-Familien leben, ausgetragen wird. Das ist schäbig.
(Beifall bei der LINKEN – Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Wo waren Sie eigentlich in den letzten Wochen?)
Es geht hier nicht um Sieg oder Niederlage, es geht auch nicht um Paragrafen. Es geht hier um 6,7 Millionen Menschen, um 2,5 Millionen Kinder. Wie Sie mit dem Schicksal dieser Menschen umgehen, ist eine Schande.
(Beifall bei der LINKEN)
Haben Sie sich schon einmal mit Betroffenen unterhalten? Sie von der FDP haben das wahrscheinlich nicht getan; Sie sehen ja bei jedem Hartz-IV-Empfänger spätrömische Dekadenz. Sie von den Christlich-Sozialen und den Christdemokraten, haben Sie sich einmal mit Menschen unterhalten, die unter solchen Bedingungen leben müssen? Ich habe bei Matthäus etwas Schönes gefunden:
Behandelt die Menschen so, wie ihr selbst von ihnen behandelt werden wollt das ist alles, was das Gesetz und die Propheten fordern.
(Stefan Müller (Erlangen) (CDU/CSU): Oh Gott! Wenn Kommunisten aus der Bibel zitieren! Unglaublich!)
Wollen Sie so behandelt werden, wie Sie Hartz-IV-Empfängerinnen und Empfänger behandeln?
(Beifall bei der LINKEN Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) (CDU/CSU): Von Ihnen will ich überhaupt nicht behandelt werden!)
Wissen Sie, wie sich diejenigen fühlen, die zum Beispiel am Ende eines Quartals auf einen notwendigen Arztbesuch verzichten, weil sie die Praxisgebühr nicht zahlen können? Wissen Sie, wie sich diejenigen fühlen, die zum Beispiel wegen der Zuzahlung auf notwendige Arzneien verzichten? Wissen Sie, wie es einer Mutter geht ich weiß nicht, ob Sie einmal ein Gespräch mit einer alleinerziehenden Mutter geführt haben , die ihrem Kind nicht gestattet, zur Geburtstagsfeier des Klassenkameraden zu gehen, und zwar nicht, weil sie ihrem Kind das nicht gönnt, sondern weil sie die Sorge hat, dass daraus Erwartungen entstehen, ebenfalls eine solche Geburtstagsparty auszurichten, was im Budget aber nicht vorgesehen ist?
Erinnern wir uns: Das Bundesverfassungsgericht hat vor mehr als einem Jahr die Berechnung der Hartz-IV-Regelsätze für verfassungswidrig erklärt; das war eine schallende Ohrfeige für alle Hartz-IV-Parteien in diesem Parlament. Es hat dem Gesetzgeber den Auftrag gegeben, Transparenz herzustellen und für die Sicherung der physischen Existenz und eines Mindestmaßes an Teilhabe am gesellschaftlichen Leben zu sorgen. Diese Aufgabe stand im Zentrum des Urteils des Bundesverfassungsgerichts, und diese Aufgabe ist bis heute nicht erfüllt.
(Beifall bei der LINKEN)
Ich behaupte, dass zu keinem Zeitpunkt wirklich gewollt war, eine verfassungskonforme Regelung zu finden. Gewollt war auch nicht, dass die Linke mit dabei ist. Das ist verständlich; denn die Linke war von Anfang an gegen Hartz IV. Sie hat gesagt: Das ist Armut per Gesetz. Dieses Gesetz ist verfassungswidrig. Die Linke hat vom Verfassungsgericht recht bekommen.
(Beifall bei der LINKEN)
Per Mehrheitsentscheidung im Vermittlungsausschuss hat man dann zunächst verhindert und zwar Sie alle , dass die Linke in der Arbeitsgruppe mitarbeiten darf.
(Peter Altmaier (CDU/CSU): Gute Idee!)
Herr Altmaier, dank des Bundesverfassungsgerichts mal wieder das Bundesverfassungsgericht mussten Sie dann doch dem Grundgesetz Genüge tun; es hat Sie darauf aufmerksam gemacht. Die Linke war dann bis zum 19. Januar 2011 mit dabei.
(Markus Kurth (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Bei solchen Beiträgen würde ich jeden Abend weinen!)
Die Linke hat in der Arbeitsgruppe und in den Unterarbeitsgruppen mitgearbeitet, und wir haben Ihnen den Spiegel vors Gesicht gehalten. Wir haben massenhaft Material, Unterlagen und Forderungen in die Beratungen eingebracht. Darunter war unter anderem eine Berechnung des Statistischen Bundesamtes. Darin wurden die verdeckt Armen herausgerechnet und eine Referenzgruppe nicht der unteren 15 Prozent der Einkommen, wie Sie es wollten, sondern der unteren 20 Prozent der Einkommen gebildet. Allein bei dieser Berechnung kommt das Statistische Bundesamt auf einen Regelsatz von 392 Euro. Das ist deutlich mehr, als Sie von CDU/CSU und FDP anbieten, und übrigens auch deutlich mehr, als das, was die SPD anbietet. 11 Euro sind genauso ein Schlag ins Gesicht der Langzeitarbeitslosen.
(Beifall bei der LINKEN)
Wir haben Ihnen eine Studie des Forschungsinstituts für Kinderernährung in Dortmund vorgelegt. Darin geht es um die Kosten einer gesunden Ernährung für Kinder und Jugendliche. Diese Studie kommt zu folgendem Ergebnis ich zitiere, Herr Präsident :
Bei den 10- bis 12-Jährigen reichen die Regelsätze nicht für eine mittlere körperliche Aktivität; ebenso wie für die 13- bis 14-Jährigen und die 15- bis 18-jährigen Jungen unabhängig vom Aktivitätsniveau.
Das heißt, das, was Sie als Regelsatz vereinbart haben, reicht nicht, um Kinder und Jugendliche gesund zu ernähren. Das ist ein Skandal.
(Beifall bei der LINKEN)
Das war aber für Sie kein Thema in den Verhandlungen.
Die Linke hat Vorschläge eingebracht, wie man zu einem verfassungskonformen Regelsatz kommen kann. Wir haben vorgeschlagen, die Referenzgruppe von 15 Prozent auf 20 Prozent zu vergrößern und die Aufstocker und die verdeckt Armen herauszurechnen. Wir haben darauf hingewiesen, dass es notwendig ist, die Zusammensetzung des Regelsatzes generell zu prüfen. Teilhabe heißt zum Beispiel Mobilität. Das ist mit 18 Euro im Monat nicht zu machen.
(Thomas Oppermann (SPD): 17!)
Teilhabe heißt auch gesunde Ernährung. Ich finde, zur Teilhabe gehören auch Schnittblumen. Wenn ich auf einen Geburtstag eingeladen bin, nehme ich wenigstens einen Strauß Blumen mit. Das wollen Sie Hartz-IV-Empfängerinnen und -Empfängern untersagen. Richtig ist: Wenn man alles zusammengerechnet, dann kommt man auf einen Regelsatz von 500 Euro. Das ist eine Forderung der Linken.
(Beifall bei der LINKEN)
Aber Sie waren nicht einmal bereit, darüber zu reden.
Kritik gibt es auch vom Behindertenbeauftragten der Bundesregierung. Auch das ist einmalig. Herr Hüppe hat die Kürzung des Regelsatzes bei behinderten nichterwerbstätigen Erwachsenen um 20 Prozent kritisiert. Es ist schlicht und ergreifend menschenunwürdig, ausgerechnet bei denen zu kürzen, die ohnehin schon in dieser Gesellschaft benachteiligt sind.
(Beifall bei der LINKEN Jörn Wunderlich (DIE LINKE): Das ist Programm bei denen!)
Die Linke hat in der Arbeitsgruppe und in den Unterarbeitsgruppen immer wieder gemahnt. Das hat Sie in Ihren Kungelrunden gestört. Deshalb haben Sie einen Trick angewendet: Sie haben aus der formellen Arbeitsgruppe eine informelle Arbeitsgruppe gemacht. Damit haben Sie die Linke aus den weiteren Verhandlungen in Ihren Kungelrunden herausgehalten.
Besonders verwerflich finde ich etwas, das in den ganzen Debatten keine Rolle gespielt hat. Das Verfassungsgericht hat gefordert, dass der Regelsatz für Kinder und ihr tatsächlicher Bedarf eigenständig berechnet werden müssen. Das Verfassungsgericht hat Ihnen Willkür vorgeworfen. Ein Kind ist nicht mit 60 Prozent eines Erwachsenen gleichzusetzen. Das haben Sie in den Verhandlungen völlig ignoriert.
(Birgit Homburger (FDP): Das war Rot-Grün! Da drüben!)
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Frau Kollegin, Sie müssen bitte zum Ende kommen.
Dr. Dagmar Enkelmann (DIE LINKE):
Ich komme gleich zum Schluss, Herr Präsident. Bei den anderen waren Sie etwas großzügiger, bei mir natürlich nicht. Das ist klar.
Vizepräsident Dr. h. c. Wolfgang Thierse:
Nein. Entschuldigen Sie, Frau Kollegin, ich habe die Uhr genau im Blick. Deswegen ist es unverschämt, so zu reagieren.
(Beifall bei Abgeordneten der CDU/CSU, der SPD, der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Dr. Dagmar Enkelmann (DIE LINKE):
Es ist mir klar, dass Sie da Beifall klatschen.
Die Linke ist vor die Tür gesetzt worden. Sie wird aber weiter an der Seite der Hartz-IV-Betroffenen kämpfen. Wir werden Sie weiter daran erinnern, was vom Verfassungsgericht vorgegeben wird.
(Beifall bei der LINKEN – Volker Kauder (CDU/CSU): Schluss jetzt! - Dr. Hans-Peter Friedrich (Hof) (CDU/CSU): Setzen!)
Dieses Gesetz wird schneller beim Verfassungsgericht landen, als Sie es ahnen.
(Lebhafter Beifall bei der LINKEN – Volker Kauder (CDU/CSU): Unverschämtheit!)