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Lieber handeln statt ankündigen!

Rede von Elke Reinke,

Kinderzuschlag sozial gerecht gestalten und Modellprojekte für eine beitragsfreie Kinderbetreuung erarbeiten

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Frau von der Leyen, Sie arbeiten weiter an Ihrem Ruf einer talentierten Ankündigungsministerin, die ein Gespür für symbolträchtige Themen hat. Ich fürchte, dass Ihre ich zitiere „feste Überzeugung“, dass es „mittelfristig beitragsfreie Kindergartenplätze“ geben wird, nicht ausreicht, um dieses Ziel zu erreichen. Wenn das wirklich der politische Wille der großen Koalition wäre, dann sollte sich so ein Vorhaben wenigstens teilweise im Einzelplan 17 unseres Haushaltes wiederfinden.
(Beifall bei der LINKEN)

Ich fürchte weiterhin, dass Sie pflichtgemäß unseren Entschließungsantrag, in dem wir 200 Millionen Euro zur Verankerung von regionalen Modellprojekten fordern, ablehnen werden. Aber nach kinder-, jugend-, familienpolitischen Visionen, die Ihre Ankündigungen, Frau Ministerin, unterstützen würden, sucht man im Bundeshaushalt vergeblich.

Unter den so genannten großen Volksparteien ist ein eigenartiger Wettbewerb ausgebrochen: Herr Rüttgers will die Bezugsdauer des Arbeitslosengeldes I für Ältere verlängern, indem er bei den Jüngeren kürzt, Frau Kressl von der SPD will zur Finanzierung beitragsfreier Kinderbetreuung das Kindergeld einfrieren, also kürzen. Deshalb finde ich es lobenswert, dass Sie, Frau Ministerin, nicht eine Familiengruppe gegen die andere ausspielen wollen, um die Kinderbetreuung beitragsfrei zu stellen. Allein, Ihre bisherige Praxis sah anders aus. Das Elterngeld stellt eine Umverteilung von unten nach oben dar.
Mehr Geld für Familien fordert die Linke. Es wäre da, wenn diese Regierung es nicht den Konzernen in Form von milliardenfach in Form von Steuergeschenken hinterherwerfen würde.
(Beifall bei der LINKEN)

Diese Regierung hat keine Lösung für Familien, sie ist ein Teil des Problems, weil sich ihre Familienpolitik je nach Kassenlage wie ein Flickenteppich darstellt. In Ihrem Koalitionsvertrag hatten Sie sich vorgenommen, die Regelungen für den Kinderzuschlag zu überarbeiten. Die jetzigen Regelungen sind so schwer durchschaubar, dass neun von zehn Anträgen abgelehnt wurden. Deshalb konnten Sie den größten Etatposten gegen Kinderarmut im Jahr 2006 um 67 Prozent wegen Nichtauslastung kürzen. Das ist irrsinnig.
(Beifall bei der LINKEN)

Nach neuesten Berechnungen lebt jedes fünfte Kind auf Sozialhilfeniveau. Der Kinderschutzbund hat die Zahl von 2,5 Millionen Kindern errechnet, die mit der Armut ihrer Eltern konfrontiert werden. „Armut von Anfang an“ so lautet in Abwandlung des Mottos des Kinder- und Jugendberichts die bisherige Bilanz dieser Regierung.
In Halle an der Saale, in meinem Bundesland Sachsen-Anhalt, liegt die Zahl der von Sozialgeld lebenden Kinder unter 15 Jahren aktuell bei 40 Prozent. Im hessischen Offenbach sieht es mit 34 Prozent auch nicht viel besser aus.

Armut in Familien heißt alltäglicher Verzicht auf das Nötigste. Ich kenne viele Mütter oder Väter, die sich lieber die 10 Euro Eintrittsgebühr beim Arzt sparen, damit die Kinder zusammen mit den Freunden auch mal mit ins Kino gehen können. Das ist Ausgrenzung. Natürlich kostet es Geld, wenn die Politik etwas an diesem Zustand ändern will. Hier geht es in erster Linie um die Sicherung von Grundbedürfnissen und das Menschenrecht auf eine würdige Existenz.
(Beifall bei der LINKEN)

Liebe Kolleginnen und Kollegen,
wenn uns in Anhörungen berichtet wird, dass Kinder mit knurrendem Magen im Unterricht zum Normalfall werden, dann gibt es keinen Grund, lächelnd von statistischen Spielereien oder Übertreibungen zu sprechen. Weil dem wirklich so ist, geht die Berliner Tafel mittlerweile an Schulen, damit Kinder wenigstens ab und zu einmal eine warme Mahlzeit haben. Wir sollten öfter einmal die „Käseglocke“ Bundestag verlassen. Ich kann Sie gerne mal in die Wärmestube nach Halberstadt einladen. Dort können Sie die Realität kennen lernen.
(Beifall bei der LINKEN Paul Lehrieder (CDU/CSU): Wir tun das, Frau Kollegin! Ich lade Sie nach Würzburg ein!)

Die Fraktion Die Linke hat sich in mehreren Anträgen zur öffentlichen Verantwortung für Kinder bekannt. Wir haben Ihnen einen Vorschlag zur Reform des Kinderzuschlags vorgelegt. Ihre Fraktionen haben diesen starrköpfig abgelehnt. Damit haben Sie verhindert, dass alle Kinder aus dem Sozialgeldbezug und den Bedarfsgemeinschaften herausgeholt werden. Wir meinen, dass jedem Kind, je nach Einkommen der Eltern, der Zugang zum sozio-ökonomischen Existenzminimum in Höhe von momentan 420 Euro garantiert werden muss.
(Beifall bei der LINKEN)

Mit unseren Vorschlägen hätten wir 2,1 Millionen Familien mit 3 Millionen Kindern erreicht. Die dafür benötigten 3,5 Milliarden Euro wären da, wenn ich muss das wiederholen diese Regierung nicht schon wieder Steuergeschenke in Höhe von 5 Milliarden Euro den Konzernen hinterherwerfen würde.
Wo sind Ihre Antworten? Wer nur soziale Symbolthemen ankündigt, braucht sich nicht über enttäuschte Menschen, wachsende Unterschichten und geringe Wahlbeteiligung zu wundern.
(Beifall bei der LINKEN)

Ich frage mich: Wo bleibt der Wille zur Umverteilung? Nicht von den Kinderlosen zu den Kinderreichen, nicht von der Kindergeldkasse zum Kindergarten, sondern von den Starken zu den Schwachen, von den breiten zu den schmalen Schultern. Liebe Sozialdemokratinnen und Sozialdemokraten, es gibt dafür einen Namen, der bei Ihnen längst nicht mehr aktuell ist: Sozialstaat.
Für uns ist es auch nicht hinnehmbar, dass der Anspruch eines Kindes auf einen Kindergartenplatz davon abhängen soll, ob die Eltern eine Vollzeitarbeit haben, teilzeitbeschäftigt oder nicht erwerbstätig sind. Eine beitragsfreie Kinderbetreuung muss ein Kinderrecht werden.
(Beifall bei der LINKEN)

Auch das ist wieder eine Frage für den Haushalt: Wenn die Betreuung für Kinder ausgebaut werden soll, dann muss mehr Geld bei den Kommunen ankommen. Wer ernsthaft etwas gegen Kinderarmut erreichen und den Zugang zu einer frühkindlichen Bildung verbessern will, der muss eine bedarfsorientierte Grundsicherung einführen und das Recht des Kindes auf einen Betreuungsplatz durchsetzen. In unserer Verantwortung liegt es, ob es bei den Ankündigungen bleibt oder ob finanzielle Mittel für die drängenden gesellschaftlichen Probleme bereitgestellt werden.
Liebe Kolleginnen und Kollegen, ein Wort zum Schluss. Viele von uns werden in der Vorweihnachtszeit versuchen, einigen Kindern im Wahlkreis eine kleine Freude zu bereiten. Weil es für viele Kinder ein Stück Urlaub vom Alltag ist, sollten wir das auch tun. Kinderarmut gibt es aber nicht nur in der Weihnachtszeit, wenn sich das gut in der Presse verkaufen lässt.

Lassen Sie uns bitte mehr soziale Gerechtigkeit wagen!

Danke schön.

(Beifall bei der LINKEN)