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Kurnaz-Bilanz: Parlamentarische Kontrolle der Spezialkräfte stärken!

Rede von Paul Schäfer,

Herr Präsident!
Meine Damen und Herren!
Liebe Kolleginnen und Kollegen!
Uns, der Linken, ging es nicht so sehr darum, das Fehlverhalten einzelner Soldaten zu untersuchen, sondern darum, ob sich staatliche Stellen der Bundesrepublik jederzeit strikt an Recht und Gesetz gehalten und an der Menschenwürde orientiert haben oder ob man unter dem Vorzeichen des Kampfes gegen den Terrorismus Abstriche davon gemacht und dagegen verstoßen hat. Das hätte vom Untersuchungsgegenstand her sicherlich auch in den anderen Untersuchungsausschuss, der noch tagt, gepasst. Das wäre auch unser Wunsch gewesen, um zu vermeiden, dass man strikt hinter verschlossenen Türen tagt, was bekanntlich dazu führt, dass das Interesse der Öffentlichkeit schnell erlahmt. Die Mehrheit hat das damals anders gesehen.
Ich sage aus heutiger Sicht: Die Einsetzung dieses Untersuchungsausschusses war von Nutzen. Wir haben durchaus Dinge zutage gefördert, die es wert sind - das kann man der Öffentlichkeit nur anempfehlen - sich damit zu beschäftigen. Wir haben das sicherlich dank der fairen Verhandlungsführung des Vorsitzenden des Untersuchungsausschusses, aber auch dank der Beharrlichkeit der Abgeordneten der Fraktionen gegenüber der manchmal sperrigen Regierung erreicht. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Was ist zu den Ergebnissen zu sagen?
Erstens. Dass im Fall Murat Kurnaz versus KSK Aussage gegen Aussage stehen würde, war von vornherein klar. Also konnte es für uns nur darum gehen, die Glaubwürdigkeit der Zeugen zu bewerten und Indizien dafür zusammenzutragen, wessen Erzählung stimmt. Dass es darüber eine unterschiedliche Bewertung geben würde, war eigentlich auch klar. Wir sind jedenfalls zu dem Schluss gekommen, dass nahezu alles dafür spricht, dass die von Murat Kurnaz vorgetragenen Vorwürfe stichhaltig sind. (Bernd Siebert [CDU/CSU]: Nicht ein Beweis!)
Zugleich hatten wir doch stark den Eindruck, dass sich die andere Seite hinter Schutzbehauptungen verschanzt hat. Das ist kein Strafprozessurteil; das ist klar. Der Vorsitzende hat gesagt, das ist eine Bewertung, die wir anhand der Untersuchungen vornehmen.
Zweitens. Wir sind zu dem Schluss gekommen, dass sich die KSK-Soldaten im Frühjahr 2002 auf Dinge eingelassen haben, auf die man sich als Bundeswehrsoldat nicht einlassen darf. Der Vorwurf lautet: Man hat nichts dagegen unternommen, dass die Behandlung der Gefangenen der US-Streitkräfte damals in Afghanistan den Vorgaben des humanitären Völkerrechts widersprach, und man war, wenn auch nur sehr kurz und vorübergehend, sogar daran beteiligt. Dieser Vorwurf geht nicht isoliert an die soldatische Adresse, sondern insbesondere an die Adresse der Politik; (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos]) denn es geht hier darum, wie die Soldaten vorbereitet wurden, wie sie von der politischen und militärischen Führung begleitet wurden, wie dieser Vorgang parlamentarisch kontrolliert wurde, und auch darum, ob man sie überhaupt in einen solchen Einsatz schicken sollte.
Drittens. Dass es diese Verfehlungen gegeben hat, hat nach meiner Überzeugung zentral mit dem sogenannten Krieg gegen den Terror zu tun. Manches an den Erklärungen erscheint sehr stimmig. Ja, es war der erste Einsatz dieser Art, und man war in großer Hektik. Aber wenn Dinge aus dem Ruder gelaufen sind - der Kollege Arnold hat es gesagt -, dann wird man um die Klärung eines Punktes nicht umhinkönnen: Die damaligen Handlungen standen allesamt unter dem Vorsatz der uneingeschränkten Solidarität mit den USA. (Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Die wurde nicht immer praktiziert!)
Das ist der eigentliche Sündenfall. Das ist der interessante Punkt, dass die Kommandosoldaten immer darauf verwiesen haben: Das war doch ein Akt der Solidarität, und damit war das Thema tabu. Damit hat man sozusagen alles gerechtfertigt, was man getan hat. Das ist der Punkt, an dem man innehalten muss. Wenn Menschen systematisch am Schlaf gehindert werden und brutaler Kälte ausgesetzt sind, dann ist das Folter, und dann muss man dagegen aufstehen. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])
Roland Claus, der damalige Fraktionsvorsitzende der PDS, hat in der Bundestagsdebatte vom 19. September 2001 gesagt - ich darf zitieren -: Der Terror darf keine Gewalt über uns gewinnen. Jetzt muss sich erweisen, wie zivilisiert die zivilisierte Welt ist. (Winfried Nachtwei [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Richtig!)
Ich glaube, das war sehr weitsichtig. Leider haben wir ja unter der Regentschaft von Mr. Bush den globalisierten Krieg gegen den Terrorismus erlebt, vor dem damals gewarnt wurde, mit all den Folgen, die der Fall Murat Kurnaz beispielhaft gezeigt hat: Ein junger Mann sitzt fünf Jahre in der Hölle, obwohl keiner Straftat überführt, von keinem Gericht verurteilt. Die Verantwortlichen in seinem Land, Deutschland, sind eher erleichtert, wenn er dort bleibt, bzw. sie haben Angst, wenn er wieder hier aufgenommen werden muss. So etwas, liebe Kolleginnen und Kollegen, darf sich nicht wiederholen. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])
Das ist der Punkt, um den es geht, nämlich dass Schlussfolgerungen aus dieser Geschichte gezogen werden müssen. Das heißt, die parlamentarische Kontrolle über die Bundeswehr, aber vor allem über die Spezialkräfte, muss gestärkt werden. Der Antrag der Regierungsfraktionen geht an der Kernfrage vorbei. Es muss nämlich die Unterrichtung des Parlaments verbessert werden und nicht die Unterrichtung ausgewählter Mitglieder des Parlaments. (Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])
Der Antrag der Grünen geht da sehr viel weiter, und wir werden ihn unterstützen.
Mit unseren Vorstellungen wird sich dieses Haus ja noch einmal beschäftigen müssen, hoffentlich dann zu einer anderen Uhrzeit. Dabei geht es darum, die bislang geübte restriktive Geheimhaltungspraxis aufzugeben, die Informationspflicht der Regierung gegenüber dem Bundestag konsequent umzusetzen, und zwar gegenüber allen Mitgliedern des Hauses, und regelmäßig einen Bericht, auch über den Einsatz der Spezialkräfte, zu erhalten.
Die Debatte über diese Vorschläge ist mit dem Abschlussbericht nicht beendet, sondern gerade erst eröffnet worden.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Gert Winkelmeier [fraktionslos])