Herr Präsident,
liebe Kolleginnen und Kollegen,
Mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts zum Vertrag von Lissabon sind die Kontroll- und Mitentscheidungsrechte des Bundestags in EU-Angelegenheiten bestätigt und gestärkt worden. Das ist auch Ergebnis unserer kritischen Politik und unserer Verfassungsklage. Wir sehen das Urteil selbst, die auf seiner Grundlage neu geschaffenen Begleitgesetze und die Änderung der Geschäftsordnung insgesamt als Erfolg unserer Politik. Die anderen Fraktionen hatten weniger Rechte des Bundestags gewollt oder sich doch damit zufrieden gegeben.
Wenn heute wesentliche Änderungen der Geschäftsordnung beschlossen werden, dient das nach den Begleitgesetzen der Umsetzung des Lissabon-Urteils. Wir werden den Vorschlägen des Geschäftsordnungsausschusses zustimmen. Über ein Jahr nach der Entscheidung des Verfassungsgerichts ist es an der Zeit, ihre Inhalte in die Regeln über die tagtägliche parlamentarische Praxis umzusetzen. Daran wollen wir durch unser Abstimmungsverhalten keinen Zweifel aufkommen lassen.
Unsere Zustimmung bedeutet allerdings nicht, dass wir die zur Abstimmung stehende Vorlage für ideal, für nicht weiter zu verbessern halten. Wir hatten ja selbst Änderungsanträge in die Ausschussberatungen eingebracht, die leider nicht berücksichtigt wurden. Bedenken gegen einzelne der vorgeschlagenen Regelungen bestehen fort. Wenn wir der Vorlage gleichwohl zustimmen, geschieht das in der sicheren Voraussicht, dass vor uns eine Phase der praktischen Erprobung der neuen Regelungen liegt. Dass sich alle Regelungen in der Praxis voll bewähren werden, glauben wir nicht. Wir sind deshalb sicher, dass wir noch vor Ende dieser Wahlperiode erneute Änderungen vornehmen werden - als Konsequenz aus den zu erwartenden praktischen Erfahrungen. Und ich denke, das wird dann auch einvernehmlich geschehen.
Sicher werden wir das Verhältnis von federführenden Ausschüssen und Europaausschuss im Zusammenhang mit der Erhebung von Subsidiaritätsbeschwerde kritisch überprüft müssen. Dabei geht es zum einen um die Achtwochenfrist des Lissabonvertrages und ihre optimale Nutzung durch Ausschüsse, Fraktionen und Plenum. Dabei ist immer auch zu bedenken, dass in dieser Frist auch eine Koordinierung mit anderen mitgliedsstaatlichen Parlamenten erfolgen muss.
Noch wichtiger ist die Frage, wie wir als Bundestag Stellungnahmen nach Artikel 23 des Grundgesetzes rechtzeitig abgeben können, wenn sich die Entscheidungslagen auf EU-Ebene manchmal fast täglich ändern. Neuestes Beispiel ist hier die neue Verabredung zu SWIFT, in der Europol zur Datenschutzbehörde erklärt wird. Die Bundesregierung stimmt dem zu und wir können das im Plenum vorher nicht einmal diskutieren. Da werden wir ganz sicher noch weitere Änderungen unserer eingefahrenen Verfahrensweisen konzipieren und durchsetzen müssen.
Wenn wir als Parlament wirklich Einfluss auf wesentliche Entscheidungen der EU-Organe nehmen wollen, wird sich noch einiges andere ändern müssen. Das gilt nicht nur für den Bundestag insgesamt. Das gilt auch für die Fraktionen. Auch für meine eigene.
In diesem Zusammenhang möchte ich noch darauf hinweisen, dass wir in der Praxis auch die Begleitgesetze auf den Prüfstand stellen müssen. Wir werden immer kritisch, auch selbstkritisch, prüfen müssen, ob sie sich als praktikabel erweisen und ob sie den Anforderungen des Lissabon-Urteils in der Praxis wirklich umfassend gerecht werden.
All diese Bemerkungen ändern aber nichts daran: Das Lissabon-Urteil, die Begleitgesetze und auch die jetzt abzustimmenden Vorschläge zur Änderungen der Geschäftsordnung sind wichtige und im Wesentlichen richtige Schritte in Richtung auf eine demokratischere Europäische Union. Wir haben als Fraktion DIE LINKE nicht unerheblichen Anteil daran. Heute werden wir den zur Abstimmung stehenden Vorschlägen zustimmen. Wir werden aber weiter daran arbeiten, dass wir auf diesem Weg zu einem demokratischeren Europa noch weiter vorankommen.
Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.
Alexander Ulrich