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Koalition verliert beim Sexualstrafrecht jegliches Maß

Rede von Halina Wawzyniak,

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Es wäre ein richtiges Signal gewesen, wenn wir uns fraktionsübergreifend auf eine Formulierung von „Nein heißt nein“ verständigt hätten.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Wir werden dieses „Nein heißt nein“ jetzt - das ist gut so - mit übergroßer Mehrheit beschließen. Ich bin mir sicher, wenn wir uns fraktionsübergreifend zusammengetan hätten, hätten wir ein Gesetz gehabt, bei dem es vorrangig um die sexuelle Selbstbestimmung geht. Was wir jetzt vorliegen haben, ist leider ein Gesetz, das in wesentlichen Teilen das Politikverständnis weißer alter Männer widerspiegelt,

(Beifall bei der LINKEN - Widerspruch bei der CDU/CSU - Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU): Das ist unterirdisch, was Sie erzählen!)

denn es ist offensichtlich bei der Union nicht möglich, die sexuelle Selbstbestimmung zu schützen, ohne gleichzeitig das Strafrecht auf den Kopf zu stellen und das Ausweisungsrecht auszuweiten.

(Michael Grosse-Brömer (CDU/CSU): Wenn Sie sich einmal die Kollegin Winkelmeier-Becker ansehen! Das ist ja wohl eine Frechheit!)

Sie führen dazu, dass die Debatte um die Verankerung von „Nein heißt nein“ durch andere Debatten überlagert wird, und das ist bitter und widert mich an.

(Beifall bei der LINKEN)

Die kurzfristige, erst am Montag vorgelegte Änderung des Aufenthaltsrechts ist - mit Verlaub - eine miese Nummer. Vor allem Sie von der Union haben mit dieser Änderung einen Diskurs gestärkt, der unmittelbar nach den Vorfällen in Köln schon einmal lief, der dann aber so war, dass wir eine Debatte darum führen konnten, wie die sexuelle Selbstbestimmung gesichert werden kann. Jetzt müssen wir überall und immer wieder erklären, dass es gerade nicht so ist, dass die Zugezogenen für Straftaten nach dem Sexualstrafrecht besonders anfällig sind.

(Beifall bei der LINKEN)

Was tun Sie nun eigentlich, außer dass Sie eine Debatte vergiften? Sie haben gerade im März das Ausweisungsrecht geändert. Dort haben Sie das Strafmaß gesenkt und die Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung aufgenommen, sobald sie mit Gewalt begangen werden, durch Drohung mit Gefahr für Leib und Leben oder mit List - und das ist eben die überwiegende Anzahl der Straftaten, die wir bei § 177 StGB haben.

Doch was tun Sie jetzt? Mit der Änderung ist es möglich, dass ein aufgedrängter Zungenkuss ein Grund sein kann, die Flüchtlingseigenschaft zu verlieren und ausgewiesen zu werden.

(Sabine Weiss (Wesel I) (CDU/CSU): Aufgedrängt, das finden Sie gut? Das finden Sie toll? - Ulli Nissen (SPD): Ich möchte auch keinen aufgedrängten Zungenkuss haben! - Weitere Zurufe von der CDU/CSU)

Genau das wollen Sie, Herr Hoffmann, Sie sagen es gerade, und das ist angesichts der Tatsache Ihrer Rede im März, in der Sie lauter Einwände gegen „Nein heißt nein“ hatten - Sie erinnern sich: das war die peinliche Rede, wo die Dame die Kontrolle verliert und es dann zum Äußersten kommt -, mit Verlaub bigott.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Sie haben offensichtlich das Thema Sexualstrafrecht erst nach den Vorfällen in Köln als Thema begriffen.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Der Murks in diesem Gesetz wird auch noch einmal beim Gruppenparagrafen deutlich; Frau Keul hat bereits darauf hingewiesen. Was passiert da jetzt eigentlich? Menschen schließen sich zusammen, wollen jemandem das Smartphone oder die Geldbörse klauen, einer aus dieser Gruppe begeht eine Sexualstraftat, und alle - alle! - aus dieser Gruppe sind wegen der Sexualstraftat bestrafbar. Das ist absurd und widerspricht dem strafrechtlichen Schuldprinzip.

Es gibt noch etwas anderes. Sie erwähnen in der Begründung explizit, dass die Normen für Täterschaft, Teilnahme und Anstiftung im Gesetz hier nicht gelten sollen, sondern Beteiligung im umgangssprachlichen Sinne zu verstehen ist. Das setzt dem Ganzen die Krone auf. Der Verweis auf die Beteiligung an einer Schlägerei - Herr Hoffmann wird später dazu noch lang und breit ausführen - funktioniert hier nicht. Bei der Beteiligung an einer Schlägerei wird die Folge dieser Handlung - Tod oder schwere Körperverletzung - bestraft.

(Alexander Hoffmann (CDU/CSU): Für jemanden, der applaudiert!)

Hier haben Sie ein zusätzliches Delikt. Das stellt das Strafrecht auf den Kopf.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich komme zum Schluss. Es ärgert mich massiv, dass Sie die gute Initiative für ein „Nein heißt nein“ durch diese beiden Regelungen diskreditieren.

(Sabine Weiss (Wesel I) (CDU/CSU): Sie haben das nicht verstanden!)

Der Schutz der sexuellen Selbstbestimmung hätte etwas Besseres verdient als die Ergänzung der von Ihnen vorgeschlagenen Punkte.

(Beifall bei der LINKEN und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)