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Klaus Ernst: Vorgaben des Bundesverfassungsgerichts zu CETA nicht umgesetzt

Rede von Klaus Ernst,

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben diese Aktuelle Stunde beantragt, um über die Umsetzung der Auflagen des Bundesverfassungsgerichts hinsichtlich der vorläufigen Anwendung von CETA zu beraten. Ich sage es Ihnen gleich an dieser Stelle: Es ist aus meiner Sicht wirklich unverantwortlich, wie Sie einen Vertrag ohne Wenn und Aber vorläufig anwenden wollten,

(Widerspruch bei Abgeordneten der CDU/CSU)

für dessen Anwendung Sie jetzt vom Bundesverfassungsgericht hohe Auflagen erteilt bekommen haben. Da haben wir Sie geschützt. Dafür können Sie uns dankbar sein.

(Lachen bei Abgeordneten der SPD – Dirk Wiese [SPD]: Ach, Quatsch! – Max Straubinger [CDU/CSU]: Klaus, das glaubst du doch selber nicht! – Dr. Matthias Heider [CDU/CSU]: Da habt ihr doch verloren!)

Das Bundeswirtschaftsministerium behauptet in einer Pressemitteilung:

"... die Vorgaben aus dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts vom 13.10.2016 konnten ... im Rat einvernehmlich durchgesetzt werden."

Ist das wirklich so? Ich habe den Eindruck, dass die Trickserei bei diesem Abkommen mit Geheimhaltung – das galt ja sogar für das Mandat –, fehlender parlamentarischer Mitsprache, vom Minister ausgemalte Katastro­phenszenarien, wenn CETA nicht zustande käme, jetzt beim Umgang mit dem Urteil des Bundesverfassungsgerichts seine Fortsetzung findet.

Schauen wir uns im Detail an, was geregelt wurde.

(Dr. Matthias Heider [CDU/CSU]: Das ist eine Richterschelte!)

– Im Gegenteil. – Das Bundesverfassungsgericht hat erstens entschieden: Die Bundesregierung muss entscheidende Bereiche von der vorläufigen Anwendung ausnehmen – ich zitiere wörtlich aus dem Beschluss –:

"… insbesondere Regelungen zum Investitionsschutz, einschließlich des Gerichtssystems ..., zu Portfolioinvestitionen ..., zum internationalen Seeverkehr ..., zur gegenseitigen Anerkennung von Berufsqualifikationen ... sowie zum Arbeitsschutz ... nicht von der vorläufigen Anwendung erfasst werden."

(Barbara Lanzinger [CDU/CSU]: Das ist nichts Neues!)

Ausgenommen werden sollen auch alle Bereiche, welche nach Auffassung der Bundesregierung – ich zitiere wieder – „in der Zuständigkeit der Mitgliedstaaten verblieben sind“. Dies sind, wie aus der Stellungnahme der Bundesregierung in dem Gutachterverfahren von 2015 zur Kompetenzverteilung im Freihandelsabkommen mit Singapur hervorgeht, zusätzlich zu den oben genannten Bereichen die Bereiche „nachhaltige Entwicklung“, „Arbeit und Umwelt“, „Streitbeilegung“, „Herstellungspraxis für pharmazeutische Produkte“ und „Geistiges Eigentum“ gemäß Kapitel 20 CETA-Vertrag. So weit die Vorgaben des Verfassungsgerichts.

Wie sieht die Umsetzung aus? Im Ratsdokument, das uns seit gestern Abend mit den im Handelsministerrat abgegebenen Protokollerklärungen zu CETA vorliegt, wird zu einigen dieser Bereiche erklärt, dass mit deren vorläufiger Anwendung keine Kompetenzübertragung auf die EU stattfindet. Das hat das Bundesverfassungsgericht gar nicht gesagt. Das Bundesverfassungsgericht hat gefordert: Diese Bereiche sollen ausgenommen werden. – Aber ausgenommen werden diese Bereiche gerade nicht. Das, was Sie machen, ist etwas ganz anderes als die Ausnahme der vorläufigen Anwendung.

(Matthias Ilgen [SPD]: Unfug!)

Sie haben das Bundesverfassungsgericht in dieser Frage nicht ernst genommen, meine Damen und Herren. In keiner Weise!

Zum Bereich Streitbeilegung nach Kapitel 29 ­CETA-Vertrag und Herstellungspraxis für pharmazeutische Produkte nach Annex 7 CETA-Vertrag haben Sie überhaupt nichts gesagt. Das beinhaltet aber der Beschluss des Bundesverfassungsgerichts. Dazu haben Sie gar nichts erklärt.

(Dr. Heribert Hirte [CDU/CSU]: Das steht so im Gesetz bei uns!)

Auch die zweite Auflage wird nicht umgesetzt. Regelungen zum Gemischten CETA-Ausschuss, also eines Gremiums, das CETA verbindlich interpretieren und manche Bereiche ändern könnte, dürfen nur dann vorläufig angewendet werden, wenn rechtsverbindlich eine hinreichende demokratische Rückbindung vereinbart wird, so das Bundesverfassungsgericht.

(Dr. Matthias Heider [CDU/CSU]: Einstimmigkeit erforderlich!)

Die Kommission erklärt nur, dass in diesem Zeitraum bis zum Hauptverfahren vor dem Bundesverfassungsgericht keine Erweiterung oder bindende Interpretationen zu CETA zu erwarten sind. Das ist etwas ganz anderes als das, was das Bundesverfassungsgericht entschieden hat, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der LINKEN – Dr. Diether Dehm [DIE LINKE]: So ist das! – Dr. Heribert Hirte [CDU/CSU]: Weil das so im Gesetz steht!)

Der Rat und die Mitgliedstaaten sagen im Übrigen, dass Entscheidungen des Ausschusses, die mitgliedstaatliche Kompetenzen betreffen, einstimmig angenommen werden sollen. Im Beschluss des Bundesverfassungsgerichts geht es aber um alle Beschlüsse, nicht nur um diejenigen, die als gemischt zu betrachten sind. Also auch hier gibt es keine Umsetzung des Bundesverfassungsgerichtsurteils.

Auch die Umsetzung der dritten Auflage, nach der eine einseitige Beendigung der vorläufigen Anwendung durch Deutschland möglich sein muss, ist uneindeutig. Hier wird auf EU-Verfahren abgestellt. Wie diese aussehen, wird nicht aufgeführt. Die Bundesregierung legt den entsprechenden Artikel in CETA – anders als vom höchsten Gericht gefordert – einfach so aus, dass man einseitig aussteigen kann. Ob die anderen Länder und die EU-Kommission das genauso sehen, ist vollkommen offen. Es heißt nur, man erkläre, dass man als Vertragspartei seine Rechte nach diesem Artikel wahrnehmen könne. Wenn der Artikel aber anders ausgelegt wird, haben Sie auch hier die Vorgaben des Verfassungsgerichts nicht erfüllt.

Wir sehen: Wieder einmal haben die vollmundigen Erklärungen des Bundeswirtschaftsministers wenig mit der Realität zu tun. Sollte es bei dieser Erklärung bleiben, behalten wir uns neuerliche rechtliche Schritte vor, meine Damen und Herren, um das in aller Klarheit zu sagen.

(Beifall bei der LINKEN – Matthias Ilgen [SPD]: Ihr seid doch gescheitert!)

Wären Sie doch ähnlich standhaft wie Paul Magnette, der Ministerpräsident der Wallonischen Region.

(Zurufe von der CDU/CSU)

Er lässt sich nicht einschüchtern und kämpft für einen demokratischen Prozess, für ein gutes Abkommen statt für ein Abkommen, das nur weniger schlecht ist als andere. Respekt vor diesem Mann!

Ich danke fürs Zuhören.

(Beifall bei der LINKEN – Matthias Ilgen [SPD]: Ogottogott!)