Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Herr Theurer, ich kann es mir nicht verkneifen: Wenn Sie sich hier über die Grundrente aufregen, die die Koalition auf den Weg bringt, würde ich Ihnen mehr Glaubwürdigkeit zubilligen, wenn Sie sich wenigstens einmal auch darüber aufregen würden, dass es Leute gibt, die 4 000 Euro Rente kriegen – nicht im Monat, sondern am Tag, wie der Herr Zetsche. Wenn Sie in Ihren Reden die soziale Ausgewogenheit zumindest ein wenig als Ziel formulieren würden, würden Sie mehr Zustimmung erhalten, auch von den Bürgern in diesem Land.
(Beifall bei der LINKEN – Michael Theurer [FDP]: Wir haben ein eigenes Konzept vorgelegt! Basisrente! – Zuruf von der SPD: Der war aber nicht in der CDU!)
Meine Damen und Herren, wir reden hier nicht über die Rente, sondern über den Jahreswirtschaftsbericht der Bundesregierung. Sie haben positive Aspekte aufgezeigt, Herr Minister. Sie haben auch durchaus Grund dazu. Allerdings ist die prognostizierte Steigerung des Wirtschaftswachstums um 0,5 Prozentpunkte auf 1,1 Prozent im nächsten Jahr im Wesentlichen darauf zurückzuführen, dass wir zwei Tage mehr arbeiten, dass wir zwei Arbeitstage mehr haben. Das ist also weniger eine Leistung des Wirtschaftsministers.
(Beifall bei der LINKEN)
Im Übrigen geht aus Ihrem Bericht hervor, dass insbesondere die Binnennachfrage die Konjunktur stabilisiert – auch richtig –, da insbesondere die steigenden Einkommen der Arbeitnehmer positiv wirken. Auch das ist keine Leistung des Bundeswirtschaftsministers, eher eine Leistung der Gewerkschaften, meine Damen und Herren.
(Beifall bei der LINKEN)
Die staatlichen Brutto-Ausrüstungsinvestitionen stagnierten 2019. Herr Altmaier, Ihre Regierung investiert viel zu wenig. Gewerkschaften und Arbeitgeber fordern in bemerkenswerter Einheit Investitionen von 450 Milliarden Euro für die nächsten zehn Jahre. Gerade um die Klimaziele zu erreichen, sind massive Investitionen zum Beispiel in Bahn, Bildung und neue Technologien notwendig.
(Beifall bei der LINKEN)
Doch anstatt eine Investitionsoffensive zu starten, starten Sie eine Initiative zur Steuerentlastung der Unternehmen. Was ist das denn? Haben denn die Unternehmen kein Geld mehr für Investitionen, Herr Altmaier?
Die Fakten: Während im Jahr 2000 noch 35 Prozent der Gewinne netto reinvestiert wurden, ist es im Jahr 2018 nur noch die Hälfte davon, nämlich 16 Prozent. 2001 wurden die Unternehmensteuern deutlich gesenkt. Das Ergebnis waren nicht mehr, sondern permanent weniger Investitionen. Die Quote ist gesunken. Mit Verlaub, Herr Altmaier, Ihr Vorschlag macht überhaupt keinen Sinn.
(Beifall bei der LINKEN)
Richtig wäre es tatsächlich, die mittleren und unteren Einkommen zu entlasten – übrigens nicht, wie Sie gestern im Ausschuss sagten, die Entlastung aller Einkommen, sondern die Entlastung der mittleren und niedrigen Einkommen. Warum? Weil zum Beispiel zwischen 1998 und 2015 die oberen 30 Prozent der Einkommensbezieher schon entlastet wurden, die obersten 10 Prozent sogar um 2,3 Prozent – die haben weniger Belastung –, und die unteren 70 Prozent der Einkommensbezieher mehr Steuern zahlten, die untersten 10 Prozent sogar 5,4 Prozent mehr. Also: Wir brauchen wirklich eine Entlastung der unteren Einkommen und nicht Steuerentlastungen mit der Gießkanne, wodurch man reine Mitnahmeeffekte bei den Reichen in diesem Lande erzielt, meine Damen und Herren.
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Das reichste Prozent unserer Bevölkerung, also 1 Prozent, besaß 2017 genauso viel wie die ärmeren 75 Prozent unseres Landes.
(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Die zahlen auch am meisten!)
Das ist ein Problem, weil diese Ungleichheit tatsächlich Wachstum hemmt. Das sagen alle Ökonomen.
(Reinhard Houben [FDP]: Nein, das glaube ich nicht!)
Im Übrigen: Wichtig wäre auch tatsächlich eine Entschuldung der Kommunen. Warum? Weil die Kommunen nicht mehr das Geld haben, die Leute einzustellen, die für Planungen notwendig sind, die sie aber brauchen, um die Mittel abzurufen, die ihnen vom Bund zur Verfügung gestellt werden; denn diese werden nicht abgerufen.
(Beifall bei der LINKEN)
Ich weiß nicht, warum Sie sich dagegen sperren, Herr Minister. Ich kann es nicht verstehen.
Dagegen lamentieren Sie ständig über Bereiche, die gar nicht in Ihre Zuständigkeit fallen.
(Michael Grosse-Brömer [CDU/CSU]: Ach so! Aber die Entschuldung der Kommunen schon?)
Manchmal habe ich den Eindruck: Sie haben vielleicht zu viel Zeit. – Ehe Sie sich darüber auslassen, dass wir keine Arbeitszeiterfassung bräuchten, ehe Sie die Dokumentation des Mindestlohns zu Ihrem Thema machen, ehe Sie eine Sozialabgabenbremse ins Grundgesetz schreiben wollen, kümmern Sie sich doch bitte einfach um das, wofür Sie zuständig sind, Herr Minister!
(Beifall bei der LINKEN)
Dann wären wir vielleicht einen Schritt weiter.
Wofür wären Sie zuständig? Die Windenergiebranche steht kurz vor dem Kollaps. Statt alles dafür zu tun, dass der Ausbau an Land und offshore wieder vorangeht, verharren Sie in dieser Frage in Untätigkeit. Auf die groß angekündigte Wasserstoffstrategie – da hat die FDP auch mal recht –
(Reinhard Houben [FDP]: Die FDP hat häufig recht, Herr Ernst!)
warten wir seit Wochen vergebens. Was ist mit der Umsetzung Ihrer Industriestrategie? Was ist zum Beispiel mit dem staatlichen Industriefonds, den Sie angekündigt haben? Was passiert da? Ich habe den Eindruck: Da sind Sie viele, viele Antworten schuldig.
(Beifall bei der LINKEN)
Die Autoindustrie wollen Sie bei der Umstellung auf neue Antriebe unterstützen. Toll, dass jetzt auch die Bundesregierung gemerkt hat, dass man elektrisch nur fahren kann, wenn eine Batterie drin ist. Das hat ja ziemlich lange gedauert bei uns in der Republik.
(Beifall bei der LINKEN)
Aber sollten die Gelder, die wir dort ausgeben, nicht an etwas gebunden sein? Was ist mit Mitbestimmung? Was ist mit Tarifverträgen? Was ist mit den Arbeitsplätzen in den Betrieben? Warum einfach Geld rüberschicken ohne jede Gegenleistung? Nein, meine Damen und Herren, das ist der falsche Weg.
(Beifall bei der LINKEN)
Zum Schluss: Ein wichtiges Betätigungsfeld für Sie, Herr Altmaier, wäre zum Beispiel, auch mal Vorschläge zu machen, wie wir uns eigentlich gegen die exterritorialen Sanktionen der USA gegen europäische Unternehmen wehren, die immer unerträglichere Ausmaße annehmen.
(Dr. Gesine Lötzsch [DIE LINKE]: Richtig! Genau! Absolut!)
Es ist nicht mehr hinnehmbar, meine Damen und Herren, was da passiert.
(Beifall bei der LINKEN sowie des Abg. Jürgen Trittin [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])
Ich kann Ihnen nur sagen: Wenn unverhohlen europäische Unternehmen, die sich an Nord Stream 2 beteiligen, bedroht werden und selbst Briefe von amerikanischen Senatoren kriegen, dann ist mal darüber nachzudenken, nicht mit Wattebäuschchen zu werfen, sondern vielleicht auch mit Maßnahmen darauf zu reagieren.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Ich schlage Ihnen vor: Machen Sie Strafzölle gegen US-amerikanisches Fracking-Gas; denn dann wissen die auch mal, wo der Hammer hängt.
Ich danke Ihnen für die Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der LINKEN)