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Klare Signale statt Konfliktvermeidungsstrategie

Rede von Agnes Alpers,

Sehr geehrter Herr Präsident/Frau Präsidentin, meine Damen und Herren, liebe KollegInnen,

mit dem Europäischen und dem Deutschen Qualifikationsrahmen haben wir uns auf den Weg gemacht, die Gleichwertigkeit und die Durchlässigkeit zwischen allgemeiner, beruflicher und hochschulischer Bildung herzustellen. Das neue Prinzip lautet: Wir vergleichen nicht mehr die Abschlüsse, sondern die Lernergebnisse in Form von Kompetenzen. Hierzu hat man z.B. die Lernergebnisse aus Ausbildungsrahmenplänen und Abiturverordnungen in einer Matrix von acht Niveaustufen eingeordnet.

Wir als Linke begrüßen dieses Umdenken: Es ist jetzt nicht mehr wichtig, wo ich meinen Abschluss gemacht habe, sondern was ich im Ergebnis an Kompetenzen erworben habe.

Aber genau dieser Paradigmenwechsel ist der Grund, warum wir hier heute stehen, warum es einen Konflikt gibt: Alle am DQR Beteiligten waren sich zunächst einig: eine vollqualifizierende duale Ausbildung – also eine Ausbildung von 3 und 3,5 Jahren – und das Abitur sind gleichwertig. Deshalb sollen beide auf dem Niveau vier angeordnet werden. Doch die Kultusministerkonferenz der Länder hat sich dagegen ausgesprochen. Sie will das Abitur auf Stufe fünf installieren und die duale Ausbildung im Wesentlichen auf vier. Zur Begründung schrieb die KMK in einem Brief an die Ministerpräsidenten der Länder im Dezember: Das deutsche Abitur ist im europäischen Kontext etwas Besonderes. Es ist nicht nur ein Schulabschluss, sondern ein Universitätseingangszeugnis und dies sei in Europa nicht selbstverständlich.

Meine Damen und Herren, diese Behauptung ist schlichtweg falsch. Das deutsche Abitur hat in Europa kein Alleinstellungsmerkmal, denn auch in den anderen Staaten berechtigt dieser Schulabschluss zum uneingeschränkten Zugang zu den Universitäten. Und Zulassungsbeschränkungen und Aufnahmeprüfungen gibt es auch in Deutschland. Die Einordnung auf Stufe fünf ist daher nicht nachvollziehbar und wird in Europa nicht geteilt. Die anderen Staaten haben sich dafür ausgesprochen, dass auch das Abitur auf dem Niveau vier anzusiedeln ist.

Durch solche Behauptungen isoliert sich Deutschland in Europa und vermittelt das Bild, dass die Deutschen mit ihrem Abitur etwas Besseres sein wollen. Meine Damen und Herren, als Europäerin sage ich Ihnen: Dies ist nicht der Weg in ein gemeinsames und solidarisches Europa.

In Abgrenzung zu einer dualen Ausbildung hebt die KMK hervor, dass man durch ein Abitur über vertieftes fachtheoretisches Wissen verfüge und deshalb auf der Stufe fünf einzuordnen sei. Es stellt sich hier die Frage, warum die Kompetenzen einer Tischlerausbildung weniger wert sein sollen als die eines Abiturs. Ich komme aus einer Tischlerfamilie und ich selbst habe jahrelang Tischler unterrichtet. In der Ausbildung erwerben sie nicht nur breite fachtheoretische Kenntnisse, sondern beraten Kunden, kalkulieren Preise, planen selbsttätig Arbeitsabläufe, programmieren Werkstücke an CNC-Maschinen, sind in die Strukturen der Arbeitswelt eingebunden und erwerben nach einer theoretischen Prüfung mit fünf Prüfungsfächern und einer praktischen Prüfung mit der Planung, Zeichnung und eigenständigen Herstellung eines Werkstückes die volle Berufsfähigkeit.

Fazit: TischlerInnen und AbiturientInnen lernen ganz unterschiedliche Dinge, aber es ist vermessen zu behaupten, dass die erworbenen Kompetenzen eines Tischlers geringer sind als die eines Abiturienten.

Die KMK pocht darauf, dass ein Abiturient alle Kompetenzen der Stufe fünf durch das Abitur erreicht hat. Geht die KMK wirklich davon ausgeht, wie auf Stufe fünf vorgesehen , dass ein Abiturient „andere anleiten und mit fundierter Lernberatung unterstützen“ kann?

Aber, meine Damen und Herren, es geht weniger um all diese Einzelfragen. Die zentrale Frage ist: Ist die KMK bereit, von ihrem hohen Ross abzusteigen und die Gleichwertigkeit von beruflicher und allgemeiner Bildung zu akzeptieren? Wir fordern die KMK auf: Beenden Sie Ihr Denken von oben und unten, von besser und schlechter, denn der Zug der Zeit ist schon auf einem anderen Weg.
Wie verhalten sich nun die Fraktionen zu dem Konflikt, um die Stufen vier und fünf des DQR? Alle sprechen sich für die Gleichwertigkeit und somit für die Stufe vier für die allgemeine und berufliche Bildung aus. Alle begrüßen den Wechsel von abschlussorientierter Wertigkeit hin zu ergebnisorien-tierten Kompetenzen. Doch wenn die KMK nicht zustimmt sprechen sich SPD, CDU/CSU und FDP dafür aus, dass auf die Einordnung der allgemeinen Schulabschlüsse verzichtet werden soll.

Auch wenn der Bundestag keine Entscheidungskompetenz beim DQR hat, so ist es doch bezeichnend, welches Bild SPD, CDU/CSU und FDP hier abliefern: Sie sind nicht bereit, sich klar und deutlich hinter die Gleichwertigkeit zu stellen. Sie nehmen davon Abstand, dass es Inhalt und Ziel des DQR ist, alle, ich betone: alle Abschlüsse und Qualifikationen mit einzubeziehen. Und ich kann hier nur feststellen: Diese Fraktionen sind nicht in der Lage Konflikte auszutragen, klare Entscheidungen zu treffen. Und die Annahme, dass die KMK schon noch nachziehen wird, mag wünschenswert sein, hat aber nichts mit der zugespitzten Realität zu tun.

Meine Damen und Herren von SPD, CDU/CSU und FDP, Sie sind in dieser Frage weder Fisch noch Fleisch und liefern ein fatales Signal an Europa: Deutschland geht wieder einen Sonderweg und deutsche Abschlüsse sollen wieder über europäischen Abschlüssen stehen.

Im Gegensatz zu dieser Konfliktvermeidungsstrategie setzt DIE LINKE klare Signale für eine gleichwertige Bildung auf europäischer Ebene und für ein solidarisches Europa: Gleichwertigkeit von allgemeiner und beruflicher Bildung, jetzt und ohne Wenn und Aber.

Vielen Dank.