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Klägliche erste Schritte eines Marathons

Rede von Martina Bunge,

Rede im Bundestag zur Debatte zum Versorgungsstrukturgesetz Bundestagsdrucksache 17/6909) und zu den Anträgen der Fraktion DIE LINKE: "Wirksamere Bedarfsplanung zur Sicherung einer wohnortnahen und bedarfsgerechten gesundheitlichen Versorgung" (Bundestagsdrucksache 17/3215) und "Moratorium für die elektronische Gesundheitskarte" (Bundestagsdrucksache 17/7460).

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Nun wollen Sie es verabschieden, Ihr sogenanntes Versorgungsstrukturgesetz.

(Heinz Lanfermann (FDP): Werden wir!)

Dringender Handlungsbedarf besteht, um die gesundheitliche Versorgung überall, in Stadt und Land, für jede und jeden, die oder der Hilfe braucht, wirklich flächendeckend zu sichern.
Doch was folgt aus dem heutigen Gesetz, beispielsweise für den ländlichen Raum,

(Karin Maag (CDU/CSU): Nur Gutes!)

wo sich Omi und Opi fragen: Mein Arzt geht in Rente; wohin gehe ich? Ebenso schaut die junge Lehrerin, die mit Mann und den Lütten ein Bauernhaus am Rande des Dorfes ausbauen will, darauf, ob Kindergarten, Schule und Arztpraxis vorhanden sind. Was kommt für die Erkrankten heraus, die derzeit im Ruhrgebiet 17 Wochen und in Mecklenburg-Vorpommern gar 18 Wochen auf ein Erstgespräch bei einem Psychotherapeuten warten? Was kommt heraus für Menschen mit Behinderungen, beispielsweise die junge Frau mit geistiger Behinderung, die ohnehin vor Männern in weißen Kitteln einen Horror hat und nun noch beim Zahnarzt den Mund aufmachen soll? Leider kommt dabei wenig zur Lösung dieser Probleme heraus.
Der vorliegende Gesetzentwurf ist alles andere als ein großer Wurf. Das Gesetz beinhaltet erste klägliche Schritte eines notwendigen Marathons. Kein Grund, sich zu rühmen!

(Beifall bei der LINKEN)

Sie rühmen sich damit, wie es eingangs Herr Lanfermann wieder getan hat, erstmalig kein Kostendämpfungsgesetz gemacht zu haben. Ja, Ihr Gesetz bringt Mehrkosten in noch unkalkulierbarer Höhe mit sich. Diese nehmen Sie einfach hin. Warum? Sie nehmen diese Mehrkosten hin, nachdem Sie mit Zusatzbeiträgen, der Kopfpauschale durch die Hintertür, dafür gesorgt haben, dass alle Ausgabensteigerungen allein von den Versicherten getragen werden müssen: Arbeitgeber und Staat sind von den Zahlungsverpflichtungen ausgenommen. Da lassen sich leicht Regelungen für Zuwächse beim Honorar der Ärzte und Zahnärzte machen. Schlimm dabei ist, dass Ihr Honorarplus nicht einmal die Ärztinnen und Ärzte erreicht, die es wirklich brauchen. Das alles hat mit Gerechtigkeit nichts zu tun.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Kommen wir zurück zu den Regelungen. Viele Berufsgruppen scheinen diese Bundesregierung gar nicht zu interessieren. Sie scheinen gar nichts mit gesundheitlicher Versorgung zu tun zu haben. Kein Wunder, dass wir haufenweise Briefe von Physio-, Ergo- und Psychotherapeuten erhalten. Kein Wunder, dass sich die Pflegeverbände fragen, ob denn die Pflege neuerdings nicht mehr zur Versorgungsstruktur zählt.
Aber auch die ärztliche und psychotherapeutische Versorgung der Bevölkerung wird sich mit diesem Versorgungsgesetz nicht ausreichend verbessern. Sie wird damit auch nicht zukunftssicherer. Nach wie vor wissen wir nicht, wie viele Ärztinnen und Ärzte, wie viele Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten wir eigentlich brauchen. Es hätte Mut erfordert, die Bedarfsplanung endlich vom Kopf auf die Füße zu stellen. Aber Mut hat diese Bundesregierung nicht.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD - Zuruf des Abg. Heinz Lanfermann (FDP))

Wir haben mit unserem Antrag gezeigt, worum es geht:
Alle Gesundheitsberufe müssen in die Bedarfsplanung einbezogen werden, auch die Pflegeberufe, auch die Heilberufe, auch die Hebammen. Gesundheitsversorgung ist mehr als ärztliche Versorgung. Fehlanzeige bei Ihnen!
Die Ermittlung des gesundheitlichen Bedarfs muss auf eine wissenschaftliche Basis gestellt werden, statt bei den Ärzten Zufallszahlen aus dem Jahre 1993 und total unterdeckte Zahlen bei den Psychotherapeuten aus dem Jahre 1999 einfach fortzuschreiben. Fehlanzeige bei Ihnen!
Es muss endlich sektorenübergreifend geplant und versorgt werden. Was nützt eine gut durchgeführte Operation im Krankenhaus, wenn die Nachsorge im Wohnumfeld nicht gesichert ist? Fehlanzeige bei Ihnen!

(Wolfgang Zöller (CDU/CSU): Quatsch! Was haben Sie denn gelesen?)

Wir müssen endlich dafür sorgen, dass das Geld dahin fließt, wo der Bedarf am größten ist, und nicht dorthin, wo die meisten Ärzte sind.
(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)
Nur so könnte es gelingen, bei der Attraktivität strukturschwachen Regionen einen Schub zu geben und eine einheitliche Entwicklung in unserem Land zu befördern.
Thema Barrierefreiheit. Auch bei der gesundheitlichen Versorgung von Menschen mit Behinderungen herrscht trotz der eingefügten Miniregelung letztendlich Fehlanzeige. Es lagen gute Vorschläge vor, endlich die zum Teil beschwerliche ärztliche und schlechte zahnärztliche Versorgung von Menschen mit Behinderungen zu verbessern. In der UN-Behindertenrechtskonvention wird gefordert, hier etwas zu tun. Beschämend, dass Deutschland mit dieser Bundesregierung nicht schneller vom Fleck kommt.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Ich kann nur wiederholen, was wir seitens der Opposition schon bei der Verabschiedung des letzten Gesetzes gesagt haben -

(Heinz Lanfermann (FDP): Weil Sie zu jedem Gesetz dasselbe sagen!)

das bekommen wir auch allabendlich bei Gesundheitsveranstaltungen immer wieder zu hören -: Das Beste an dem Gesetz ist, dass es keinen dauerhaften Schaden verursacht.
Gut, dass es ab 2013 die Chance gibt, die Versorgung ordentlich zu regeln. Wenn dann für eine optimale gesundheitliche Versorgung der Bevölkerung und für gute Arbeitsbedingungen aller im Gesundheitssystem Beschäftigten wirklich mehr Geld erforderlich sein sollte, wäre durch Einführung einer solidarischen Bürgerinnen- und Bürgerversicherung finanzieller Spielraum vorhanden, und zwar gerecht von allen getragen.
Ich danke für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)