- Es gilt das gesprochene Wort -
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen!Wir diskutieren heute über einen Antrag aus den Reihen der Koalition, dessen Stoßrichtung wir, auch das kommt vor, grundsätzlich teilen.
(Beifall der Abg. Kerstin Griese (SPD)
Nichts wäre schlimmer, als ausgerechnet den Schutz von Kindern vor Gewalt, Missbrauch und Vernachlässigung zum Gegenstand eines langwierigen parteipolitischen Hickhacks zu machen. Gerade deshalb freue ich mich über den relativ sachlichen und differenzierten Ton des Koalitionsantrags,
(Johannes Singhammer (CDU/CSU): Der ist komplett sachlich!)
der sich von der überhitzten Debatte der letzten Monate abhebt. Wer das von uns allen geteilte Anliegen, den Kinderschutz zu verbessern, auf die populistische Debatte um verpflichtende Vorsorgeuntersuchungen für Kinder und die Sanktionierung bei Nichtteilnahme reduziert, der findet vielleicht seinen eigenen Namen in den Schlagzeilen, verfehlt aber den Kern des Problems.
(Beifall bei der LINKEN)
Deshalb freut mich ebenfalls, dass nunmehr die Weiterentwicklung von Inhalt und Wirksamkeit der Vorsorgeuntersuchungen angeregt wird. Dieser neue, integrierende Ansatz, in dem mehr Verbindlichkeit bei den Vorsorgeuntersuchungen mit präventiven und helfenden Angeboten gekoppelt wird, findet unsere vollste Zustimmung.
Ich möchte aber auch daran erinnern, dass keine Kindheit im luftleeren Raum stattfindet. Jedes Elternhaus, jede Kinderkrippe, jeder Kindergarten und jede Schule ist Teil dieser Gesellschaft. Deshalb ist es auch richtig, nach der gesellschaftlichen Verantwortung für das gesunde Aufwachsen von Kindern zu fragen. Nur nach der Verantwortung der Eltern zu fragen, ist zu wenig.
(Beifall bei der LINKEN)
Zur gesellschaftlichen Verantwortung gehört aber auch der Blick auf die gesellschaftlichen Rahmenbedingungen. Dazu findet sich leider im Antrag der Koalition kein Wort. Das wundert mich auch nicht; waren Sie es doch, die in den letzten Jahren zum Beispiel mit Ihrer Hartz-IV-Politik die Lebensbedingungen von vielen Kindern und Familien verschlechtert haben.
(Beifall bei der LINKEN)
Es ist daher im Grundsatz zynisch, wenn Sie das Problem auf „Risikofamilien“ fokussieren, was auch immer diese Definition beinhalten mag. Damit leisten Sie der Stigmatisierung von Familien Vorschub, deren Lebenssituation durch, wie Sie es bezeichnen, „vielfältige bzw. schwerwiegende Risiken“ gekennzeichnet ist. Wenn ein umfassender Begriff der Kindesvernachlässigung zugrunde gelegt wird, dann wird schnell deutlich, dass wir es mit einem schichtenübergreifenden Problem zu tun haben. Für Vernachlässigung ist eine Vielzahl von Risikofaktoren verantwortlich. Die Ursachen liegen nur zum Teil in den Elternhäusern; viel öfter liegen sie in gesellschaftlich zu verantwortenden Defiziten.
Die Gefahr der Stigmatisierung besteht gerade dann, wenn der Umgang mit Sozialdaten nicht auf die fachlich befassten Krankenkassen und Jugendämter beschränkt bleiben soll, wie Sie vorschlagen. Das ist nicht nur datenschutzrechtlich sehr problematisch. Neben dem Gesundheitsdienst hätten dann praktisch alle Ämter Zugriff auf die kindesschutzbezogenen Daten.
(Marlene Rupprecht (Tuchenbach) (SPD): Nein!)
Ich glaube nicht, dass es die Kooperationsbereitschaft von Familien erhöht, wenn wir die sozialstaatlich ausgerichtete Jugendhilfe durch ein kontrollierendes Fürsorgesystem ersetzen.
(Johannes Singhammer (CDU/CSU): Das stimmt doch gar nicht!)
Ich befürchte vielmehr, dass Sie so einen Prozess auslösen, bei dem Einzelne sich noch mehr als jetzt dem Blick der Öffentlichkeit entziehen.
Wer den Kinderschutz stärken will, sollte nicht die Aufgaben der Jugendämter beschneiden und diese an Polizei und Gesundheitsdienst delegieren. Das geht an der Realität vorbei.
(Beifall bei der LINKEN)
Seit Jahren ist die Kinder- und Jugendhilfe massiven Kürzungen ausgesetzt. Das verheerende Ergebnis sehen wir heute: Den Anlaufstellen fehlen die Mittel, um qualifizierte Angebote machen zu können und schnell und gezielt einzugreifen. Wenn Sie ein System aufbauen wollen, das einen effektiven Schutz von Kindern gewährleistet, dann müssen Sie da anfangen, wo Sie in den vergangenen Jahren Rotstiftpolitik betrieben haben.
(Beifall bei der LINKEN)
Länder und Kommunen müssen finanziell in die Lage versetzt werden, eine handlungsfähige Kinder- und Jugendhilfe vorzuhalten. Die Jugendämter müssen so ausgestattet sein, dass sie die treibende Kraft für eine Vernetzung der verschiedenen Akteure sein können. Wir brauchen eine starke Jugendhilfelandschaft, ein Netzwerk aus Vereinen, Verbänden, Kinderärzten, Betreuungseinrichtungen und nicht oder Polizei und Gesundheitsamt.
Ein besserer Kinderschutz muss her, und das schnell. Wir dürfen es nicht bei einer Schaufensterpolitik belassen, aber auch nicht in blinden Aktionismus verfallen.
Vielen Dank.
(Beifall bei der LINKEN)