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Kinderrechte stärken

Rede von Jens Petermann,

189. Sitzung des Deutschen Bundestages, 19. Juli 2012
TOP 2: Beratung des Antrags der Fraktionen CDU/CSU, SPD und FDP
Rechtliche Regelung der Beschneidung minderjähriger Jungen
Drucksache 17/ 10331

Jens Petermann für die Fraktion DIE LINKE


Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Am 7. Mai 2012 verkündete das Landgericht Köln ein Urteil in einem Strafverfahren wegen Körperverletzung gegen einen Arzt, der eine Beschneidung bei einem vierjährigen Jungen aus religiösen Gründen auf Wunsch der Eltern vorgenommen hatte. Er wurde wegen nicht nachweisbarer Schuld vom Tatvorwurf freigesprochen. Ihm wurde zugute gehalten, dass er das Verbot nicht kannte und davon ausging, nichts Verbotenes zu tun. Diese Entscheidung hat mittlerweile zu einer lebendigen Debatte in der Öffentlichkeit geführt. Das war offensichtlich auch Grund für Union, SPD und FDP, einen sehr eiligen Entschließungsantrag vorzulegen, der eigentlich ohne Debatte durchgewunken werden sollte. Merkwürdig ist, dass das Papier schon gestern in einigen Medien kursierte, während es der Linksfraktion erst heute kurz nach 9 Uhr zugestellt wurde. Da blieb wohl ein wenig die Fairness im parlamentarischen Verfahren auf der Strecke.
                                           (Beifall bei der LINKEN)
Der Antrag fordert die Bundesregierung auf, im Herbst einen Gesetzentwurf vorzulegen, der klarstellt, dass eine religiös motivierte, medizinisch fachgerechte Beschneidung von Jungen grundsätzlich zulässig ist. Natürlich sind die Achtung der Religion und der Freiheit religiöser Betätigung etwas Selbstverständliches. Das eigentliche Problem liegt auf einer anderen Ebene; das ist hier schon angesprochen worden. Wie ist es um den Grundrechtsschutz des minderjährigen, religiös unmündigen Kindes auf körperliche Unversehrtheit und Selbstbestimmung gegenüber den Grundrechten der Eltern auf Religionsfreiheit und deren Elternrecht bestellt?
Für die Linke kann ich sagen, dass sie das Problem differenziert sieht. Aus juristischer Sicht ist das Urteil richtig, da es lediglich die bestehende Rechtslage aufgreift; denn jeder ärztliche Eingriff erfüllt juristisch gesehen den Tatbestand der Körperverletzung, auch eine Blinddarmentfernung. Eine Bestrafung des behandelnden Arztes oder der behandelnden Ärztin scheidet allerdings aus. Die Rechtfertigung liegt in der Einwilligung des Patienten in den ärztlichen Heileingriff. Weder ein Säugling noch ein vierjähriger Junge verfügen über die nötige Einwilligungsfähigkeit. Hier müssen die Eltern entscheiden. Vom Sorgerecht sind aber nur Erziehungsmaßnahmen gedeckt, die dem Wohle des Kindes dienen. Eine Entscheidung der Eltern zur Vermeidung einer religiösen Ausgrenzung kann die Einwilligung des kleinen Patienten nicht ersetzen, da keine medizinische Indikation vorliegt und der Eingriff nicht dem Kindeswohl dient.
Durch eine Beschneidung wird der Körper des Kindes dauerhaft und irreparabel verändert. Diese Veränderung läuft dem Interesse zuwider, später in freier Selbstbestimmung über eine Religionszugehörigkeit entscheiden zu können. Das Landgericht Köln stellte dies - zutreffend - fest. Die Grundrechte der Eltern aus Art. 4 Abs. 1 Grundgesetz Religionsfreiheit und Art. 6 Abs. 2 Grundgesetz elterliche Sorge werden begrenzt durch das Grundrecht des Kindes auf körperliche Unversehrtheit und Selbstbestimmung aus Art. 2 Abs. 1 und Abs. 2 Grundgesetz.
Dass dieses Problem lösbar ist, zeigen übrigens jüdische Gemeinden in Großbritannien. Dort wird das religiös geforderte frühkindliche Ritual der Beschneidung ins Schmerzlos-Symbolische verschoben und die Entscheidung über den tatsächlichen Eingriff dem Betroffenen selbst überlassen, wenn er als Jugendlicher einwilligungsfähig ist. Jeder, der sich zu dem Thema zu Wort meldet, muss am Ende mit seinem Gewissen ausmachen, ob das Grundrecht des Kindes auf körperliche Unversehrtheit und auf Selbstbestimmung, welcher Religion man angehören möchte, der Religionsfreiheit und dem Erziehungsrecht der Eltern untergeordnet sein soll.
                                         (Beifall bei der LINKEN)
Die religiöse Überzeugung des mündigen Menschen ist zu respektieren und zu schützen. Wir werben dafür, das frühkindliche Ritual der Beschneidung ins Schmerzlos-Symbolische zu verschieben und die Entscheidung über den chirurgischen Eingriff dem Betroffenen zu überlassen, sobald er als 14-jähriger Jugendlicher einwilligungsfähig ist.
Mit Ihrem Antrag haben Sie allerdings die Chance auf eine gesellschaftliche Debatte vertan. Die Linke kann darum nicht zustimmen.
Vielen Dank.
                                        (Beifall bei der LINKEN)