Zum Hauptinhalt springen

Kinderrechte in Deutschland vorbehaltlos umsetzen - Erklärung zur UN-Kinderrechtskonvention zurücknehmen“

Rede von Ulla Jelpke,

Deutschland hat die UN-Kinderrechtskonvention von 1992 nur mit einem Vorbehalt versehen ratifiziert. Dieser machte deutlich, dass man auch weiterhin inländische und ausländische Kinder unterschiedlich behandeln will. Gerade für Flüchtlingskinder hat das sehr negative Auswirkungen. Ulla Jelpke in der Debatte zu einem Entschließungsantrag der Fraktion Bündnis 90/Die Grünen :.

Werte Kolleginnen und Kollegen, die im Antrag der Fraktion der Grünen geforderte Rücknahme des Vorbehalts gegen die UN-Kinderrechtskonvention ist längst überfällig. Dieser Vorbehalt steht in seinem vierten Punkt einem wesentlichen Element von Menschenrechten entgegen: diese gelten immer für alle Menschen gleich, egal welcher Hautfarbe, Religion oder Staatsangehörigkeit. Der Vorbehalt formuliert dagegen an dieser Stelle, nichts könne das Recht der Bundesrepublik beschränken, „Unterschiede zwischen Inländern und Ausländern“ zu machen. Dies ist der Rückfall in das 19. Jahrhundert, als Grundrechte nur den Staatsbürgern zuerkannt wurden. Wir halten dagegen daran fest: die Nicht-Diskriminierung von eigenen und fremden Staatsangehörigen ist wesentlicher Kern der Menschenrechte. Sie ist das Herzstück des menschenrechtlichen Schutzsystems. Dass diese Nicht-Diskriminierung ausgerechnet für Kinder nicht gelten soll, ist ein Skandal! Abgesehen von dieser allgemeinen Feststellung interessiert hier jedoch vor allem: was ist die Folge dieses Vorbehalts, was ist die Folge der insgesamt mangelhaften Umsetzung der Kinderrechtskonvention? Zunächst: Die Konvention definiert als alle Menschen vor Vollendung des 18. Lebensjahres. Im Asylrecht und im Aufenthaltsrecht gelten Minderjährige aber ab Vollendung des 16. Lebensjahres als voll verhandlungsfähig, sie werden wie Erwachsene behandelt. Für unbegleitete Minderjährige bedeutet dies eine besondere Härte. Mit Vollendung des 16. Lebensjahres endet die Unterbringung im Rahmen der Jugendhilfe. Jugendliche in einer schwierigen Phase ihrer Entwicklung werden in die üblichen Flüchtlingsheime gesteckt, wo sie nicht den notwendigen Raum zur Entwicklung, erst recht keine Bezugspersonen oder angemessene Betreuung erfahren. Auch das Verfahren zur Altersfeststellung selbst ist fragwürdig: die Behörden wenden oft Methoden an, die für die Betroffenen höchst entwürdigend und medizinisch äußerst fragwürdig sind. Diese Praxis muss beendet werden! Werte Kolleginnen und Kollegen, nach einer Erhebung des Bundesinnenministeriums vom Mai 2005 befanden sich viel mehr Minderjährige in Abschiebehaft als bis dahin angenommen. Allein 100 waren es 2002 - 2004 durchschnittlich in Berlin. In NRW befanden sie sich im Durchschnitt zwei Monate in Abschiebehaft. Länder wie Bayern und Baden-Württemberg machten erst gar keine Angaben. Was haben Kinder und Jugendliche in einem Knast zu suchen, deren einziges „Vergehen“ war, in der Hoffnung auf den Schutz ihrer Rechte in die Bundesrepublik zu fliehen? Auch in vielen anderen Gesetzen ist abzulesen, dass der Gesetzgeber Flüchtlingsabwehr und Abschreckung über das Kindeswohl gestellt hat. Wir kritisieren schon seit Jahren die verminderten Sozialleistungen für Asylbewerber und Flüchtlinge, die Unterbringung in Sammelunterkünften, die Residenzpflicht, die völlig unzureichende Gesundheitsversorgung, das Flughafenverfahren, die Bedingungen der Abschiebehaft. Dies alles trifft Kinder und Jugendliche noch härter als Erwachsene. Dennoch hat keine Regierung seit in-Kraft-treten der Konvention Anstalten gemacht, hier zumindest für Flüchtlingskinder Erleichterungen zu schaffen. Flüchtlingskinder sind darüber hinaus noch weiteren Beschränkungen unterworfen: in einigen Bundesländern wird ihnen das Recht auf Schulbesuch versagt. 16-17-jährige erhalten keinen Vormund, der ihre Interessen vertreten kann - sie gelten ja schon als „erwachsen“. Das alles verletzt den in der Konvention festgelegten Vorrang des Kindeswohls in allen Gesetzgebungs- und Verwaltungsmaßnahmen! Um die Kinderrechtskonvention Zweck und Ziel nach tatsächlich umzusetzen, muss es ein völliges Umdenken geben. Der Schutzgedanke des SGB VIII muss Vorrang vor den aufenthaltsrechtlichen Regelungen haben. Für Gesetzgeber und Behörden darf es keine Rolle spielen, ob ein Kind nun „Inländer“ oder „Ausländer“ ist. Darüber hinaus fordern wir einige konkrete Schritte, die im Rahmen der anstehenden Änderung des Aufenthaltsrechts erfolgen können. Für unbegleitet ankommende minderjährige Flüchtlinge muss es ein bundesweit einheitliches „Clearingverfahren“ geben, wie Fachverbände schon länger fordern. Im Clearingverfahren soll geklärt werden, wie dem Wohl des Kindes am besten gedient ist. An dieser Stelle können wir von den Bundesländern lernen, in denen es ein solches Clearingverfahren bereits gibt. Außerdem muss es endlich Abschiebeschutz für Minderjährige aus Staaten geben, in denen ihnen die Zwangsrekrutierung als „Kindersoldaten“ droht.