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Kinderrechte haben Verfassungsrang

Rede von Diana Golze,

Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen!

Es ist erst wenige Tage her, dass die Sternsinger in Deutschland unterwegs waren.

(Marlene Rupprecht (Tuchenbach) (SPD): Ja!)

Sie haben an viele Türen geklopft, Spenden gesammelt und gute Wünsche überbracht. In diesem Jahr stand die ganze Aktion unter dem Motto: „Klopft an Türen, pocht auf Rechte!“
Viele von Ihnen haben sich sicherlich auch über diesen Besuch gefreut und die jungen Menschen mit einem Händedruck verabschiedet. Und dann? Ja, was dann? Was passiert hinsichtlich dieses „Pocht auf Rechte!“? Wo wird hier der politische Wille deutlich? Diese jungen Menschen haben auf Probleme aufmerksam gemacht, die in Deutschland nach wie vor existieren. Ich möchte mich heute aufgrund der knappen Redezeit auf drei beschränken:

Erstes Problem. Das Kindeswohl hat in der Praxis nach wie vor keinen Vorrang, auch wenn hier so oft davon gesprochen wird. Ich nenne drei ganz kurze Beispiele dafür:
Erstes Beispiel. Auch mit dem neuen Bundeskinderschutzgesetz werden wir weiterhin nur einen eingeschränkten Rechtsanspruch für Kinder und Jugendliche auf Beratung haben. Obwohl Frau Bergmann und der Runde Tisch „Sexueller Kindesmissbrauch“ gefordert haben, es müsse einen uneingeschränkten Rechtsanspruch auf Beratung für alle Kinder und Jugendliche geben, ist dieser Anspruch nicht ins Gesetz aufgenommen worden.

Zweites Beispiel. Kinder werden trotz des Urteils des Bundesverfassungsgerichts vom Februar 2010 wie kleine Erwachsene und, ganz speziell, wie kleine Erwerbslose behandelt. Sie dürfen nicht nach den Regelungen dieses Gesetzes beurteilt werden, aber in diesem Haus gab es keine Mehrheit für eine Änderung.

Drittes Beispiel. Angebote für Kinder und Jugendliche gelten vielerorts als sogenannte freiwillige Aufgabe und fallen deshalb immer ziemlich zu Beginn, wenn die Kommunen einsparen müssen, dem Rotstift zum Opfer.

Das sind für mich ganz eindeutige Beispiele dafür, dass das Kindeswohl in der Praxis eben keinen Vorrang hat. Ich sage es deshalb an dieser Stelle zum wiederholte Male: Wer es mit dem Kindeswohl ernst meint, der muss Kinder ernst nehmen.

(Beifall bei der LINKEN sowie der Abg. Katja Dörner (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN))

Zweites Problem. Die UN-Kinderrechtskonvention hat keinen wirklichen Verfassungsrang. Wir fordern deshalb ja nicht ohne Grund die Aufnahme der Kinderrechte auf Schutz, Förderung und Beteiligung ins Grundgesetz. Es geht eben um mehr als nur um eine symbolische Maßnahme. Ich zitiere deshalb an dieser Stelle sehr gerne den Minister der Justiz des Landes Brandenburg, Herrn Dr. Schöneburg, der gesagt hat:

Die Verfassung bindet den Gesetzgeber. Das macht den Rechtsstaat aus. Der Gesetzgeber ist an den Normenbestand der Verfassung gebunden. Insofern ist es wichtig, dass Kinderrechte in die Verfassung aufgenommen werden, damit sich der Gesetzgeber, wenn er Einfachgesetze erlässt, daran gebunden fühlt.
Es geht eben um mehr als nur um Symbolik. Es geht darum, den Gesetzgeber bei allem, was in diesem Hause beschlossen wird, zu binden.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich frage Sie von den Regierungsfraktionen: Wie wird nun die Bundesregierung, wie werden Sie mit der Entschließung des Bundesrates umgehen? Die Bundesländer haben sich mehrheitlich für die Aufnahme von Kinderrechten ins Grundgesetz ausgesprochen. Sie können sich also nicht mehr wie bei der Rücknahme der Vorbehalte gegen die UN-Kinderrechtskonvention darauf zurückziehen, dass die Bundesländer dies angeblich nicht wollen. Die Bundesländer wollen die Aufnahme von Kinderrechten ins Grundgesetz. Wie gehen Sie damit um? Welche Reaktion kommt von Ihnen? Ich habe bisher keine zur Kenntnis genommen.

Drittes Problem. Selbst die bereits existierenden Rechte von Kindern und Jugendlichen werden nicht bei allen Kindern und Jugendlichen angewandt. 16- und 17-jährige Flüchtlinge werden bereits an der Grenze aufgegriffen und sofort wieder abgeschoben. Die Jugendämter werden in diesen Vorgang überhaupt nicht einbezogen. Es gibt keine Dienstanweisung an die Bundespolizei, dass hier die Jugendämter einzubeziehen sind. Es wird nicht einmal eine Statistik darüber geführt, wie viele 16- und 17-Jährige aufgegriffen und wieder abgeschoben werden, und zwar in einem Land, in dem über alles Mögliche Statistiken geführt werden. Aber bei so einem wichtigen Thema gibt es keine Zahlen. Deshalb sagen wir: Auch nach der Rücknahme des letzten Vorbehalts gegen die UN-Kinderrechtskonvention sind gesetzliche Änderungen zum Schutz der betroffenen Kinder notwendig.

Zum Schluss. Man hat es sich auch nicht leicht gemacht, als es darum ging, die Gleichberechtigung von Mann und Frau in das Grundgesetz aufzunehmen. Damals gab es den Spruch: Frauen sind auch Menschen, und Menschenrechte stehen im Grundgesetz. Bitte machen Sie nicht länger den gleichen Fehler bei den Kindern.

Vielen Dank für Ihre Aufmerksamkeit.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)