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Kein weiterer Leistungsabbau bei den gesetzlichen Krankenversicherungen

Rede von Frank Spieth,

Es ist der Wille vieler Menschen in Deutschland eine gesetzliche Krankenversicherung schaffen, die gesund und nicht krank macht. Eine gesunde Krankenversicherung ist machbar, wenn wir das eigentliche Problem anpacken: das Einnahmeproblem. Die seit fast 30 Jahren bestehende Massenarbeitslosigkeit in Deutschland und die völlig verfehlten Rezepte zu ihrer Überwindung haben die Einnahmebasis der gesetzlichen Krankenversicherung nachhaltig beschädigt. Darüber hinaus gehen der gesetzlichen Krankenversicherung erhebliche Einnahmen verloren: durch ständige Kürzungen der Beitragszahlungen für Arbeitslose, durch den Verlust sozialversicherungspflichtiger Arbeitsplätze und die Zunahme von Minijobs, durch die stagnierenden Löhne und Gehälter, die Streichungen von Sonderzahlungen wie Weihnachts- und Urlaubsgeld und durch den Wechsel von gut Verdienenden zur privaten Krankenversicherung. Frank Spieth zu Fragen der Gesundheitspoltitik in der Haushaltsdebatte 2006.

Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Frau Ministerin! Finanzminister Steinbrück hat in seiner heutigen Einbringungsrede zum Bundeshaushalt 2006 angekündigt, sich als Finanzpolitiker mit den Ausgaben der gesetzlichen Krankenversicherung verantwortungsvoll befassen zu wollen. Aus langjähriger Erfahrung weiß ich: Wenn sich Finanzpolitiker mit den sozialen Sicherungssystemen befassen, muss man dies eher als eine Kampfansage und Bedrohung empfinden denn als ein sozial verträgliches Angebot zur Lösung der Probleme in der gesetzlichen Krankenversicherung. Mit der Erhöhung der Zuzahlung bei Arzneimitteln, der Eintrittsgebühr bei Ärzten und Zahnärzten, der Erhöhung der Zuzahlung bei Krankenhausaufenthalten und Kuren, der Abschaffung des Zuschusses für Brillen, der Abschaffung des Sterbegeldes und vielen weiteren Maßnahmen haben Gesundheitsministerin Schmidt, Herr Seehofer und die damals noch nicht existierende große Koalition massiv in das Leistungsangebot bei Krankheit eingeschnitten und versucht, über Kostendämpfung, also auf der Ausgabenseite, die Probleme in den Griff zu bekommen. Die Krankengeldzahlung und der Zahnersatz sind zwar als Leistungen in der gesetzlichen Krankenversicherung verblieben, müssen aber von den Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern sowie von den Rentnerinnen und Rentnern alleine mit 0,9 Prozent Sonderbeitrag finanziert werden. Vor diesem Hintergrund sage ich: Das Maß ist voll. (Beifall bei der LINKEN) Kein weiterer Leistungsabbau und keine weiteren Zuzahlungen mehr, jedenfalls nicht mit uns! Mit der bisherigen Politik wurden Arbeitslose, Sozialhilfeempfänger, Geringverdiener und Rentner mit kleinen Renten zum Teil von der Gesundheitsversorgung abgehängt. Aber die gesetzliche Krankenversicherung ist genau dafür da, allen Menschen bei Krankheit die erforderlichen und zweckmäßigen Leistungen zur Verfügung zu stellen, unabhängig davon, wie viel Geld sie im Portemonnaie haben. (Beifall bei der LINKEN) Wir haben es gemeinsam in der Hand. Wenn wir es politisch wollen - ich sage Ihnen: viele Menschen in Deutschland wollen dies -, dann können wir eine gesetzliche Krankenversicherung schaffen, die gesund und nicht krank macht. Eine gesunde Krankenversicherung ist machbar, wenn wir das eigentliche Problem anpacken: das Einnahmeproblem. Die seit fast 30 Jahren bestehende Massenarbeitslosigkeit in Deutschland und die völlig verfehlten Rezepte zu ihrer Überwindung haben die Einnahmebasis der gesetzlichen Krankenversicherung nachhaltig beschädigt. Darüber hinaus gehen der gesetzlichen Krankenversicherung erhebliche Einnahmen verloren: durch ständige Kürzungen der Beitragszahlungen für Arbeitslose, durch den Verlust sozialversicherungspflichtiger Arbeitsplätze und die Zunahme von Minijobs, durch die stagnierenden Löhne und Gehälter, die Streichungen von Sonderzahlungen wie Weihnachts- und Urlaubsgeld und durch den Wechsel von gut Verdienenden zur privaten Krankenversicherung. (Zuruf von der LINKEN: So ist es!) Der Einnahmeverlust der Krankenkassen wird jetzt noch zusätzlich durch die Tatsache verschärft, dass Rentenerhöhungen seit 2004 faktisch unterblieben sind. Dies trifft insbesondere Krankenkassen mit hohem Rentneranteil. Angesichts dieser Tatsache ist es aus unserer Sicht geradezu unverantwortlich, dass die Bundesregierung beabsichtigt, die Einnahmen aus der erst im Jahre 2004 beschlossenen Erhöhung der Tabaksteuer - mit diesen Einnahmen sollten ja versicherungsfremde Leistungen wie solche rund um Schwangerschaft und Mutterschutz finanziert werden - im kommenden Jahr zum Teil und ab 2008 komplett zur Sanierung des Bundeshaushalts einzukassieren. Das Vertrauen in die steuerliche Finanzierung der nicht beitragsgedeckten Leistungen der Krankenkassen wird damit nachhaltig erschüttert. Die Absicht des Kollegen Lauterbach - ich vermute, das ist nicht nur seine persönliche Meinung -, für die Krankenversicherung der Kinder, die bisher beitragsfrei mitversichert waren, eine Steuerfinanzierung einzuführen, hat vor diesem Hintergrund für die Finanzausstattung der Krankenkassen und die Solidarität die Langzeitwirkung eines gefährlichen Blindgängers. Dadurch wird eher die private Krankenversicherung gestärkt. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Wir haben volles Verständnis dafür, dass über die Krankenversicherung der Kinder und ihre Finanzierung diskutiert und entschieden wird. Allerdings fragen wir Sie: Wo bleiben bei Ihren Vorschlägen die bisher beitragsfrei mitversicherten Angehörigen? Millionen Frauen, die über kein eigenes Einkommen verfügen, verschwinden in dieser Debatte gleichsam im Bermudadreieck. Für Frau Müller in Rostock, Frau Schmidt in Konstanz, Frau Meier in Erfurt und Frau Schulz in Saarbrücken gilt eines gleichermaßen: ohne Arbeit kein Einkommen und ohne Einkommen keine eigene Krankenversicherung. (Beifall bei der LINKEN -Elke Ferner [SPD]: So ein Unsinn!) Denn diese Frauen haben nicht, wie Frau Ackermann, einen vermögenden Ehemann. Sie benötigen auch weiterhin den solidarischen Krankenversicherungsschutz der Versichertengemeinschaft. Das Vertrauen in die Steuerfinanzierung könnte unserer Meinung nach relativ einfach hergestellt werden: Erstens. Die Bundesregierung hält an dem Vorhaben der Finanzierung versicherungsfremder Leistungen aus der erhöhten Tabaksteuer fest und nutzt diese nicht zur Sanierung des Haushalts. Zweitens. Für die Bezieher des Arbeitslosengeldes I und II werden, wie bis 1995, wieder Beiträge auf der Grundlage des ursprünglichen Bruttoentgeltes entrichtet. Außerdem unterbleibt die Absenkung der Sozialabgaben für Hartz-IV-Empfänger. Drittens. Die Bundesregierung erhöht nicht, wie geplant, die Mehrwertsteuer um 3 Prozentpunkte auf 19 Prozent, sondern reduziert sie für Medikamente auf 7 Prozent. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) Mit diesen vertrauensbildenden Maßnahmen wäre in diesem Hause eine offene Debatte über die Zukunft der Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung möglich. Wir benötigen eine solidarische und soziale Bürgerversicherung, die einen umfassenden Gesundheitsschutz gewährleistet. Dafür ist von jedem und jeder und von allen Einkommensarten der gleiche prozentuale Beitrag zu entrichten. (Daniel Bahr [Münster] [FDP]: Und das über die Steuer?) Nur so sind Solidarität und Gerechtigkeit zwischen Gut- und Geringverdienern und zwischen Gesunden und Kranken zu gewährleisten. Schönen Dank. (Beifall bei der LINKEN)