Ich rufe die Frage 33 der Kollegin Heike Hänsel auf:
Welches gemeinsame Wertefundament sprach der Bundesminister des Auswärtigen, Dr. Frank-Walter Steinmeier, bei seinem letzten Besuch im Juli 2014 in Mexiko an, das Mexiko und Deutschland verbindet, angesichts der offensichtlichen Verstrickungen der politisch Verantwortlichen auf bundesstaatlicher Ebene und den Sicherheits-, Polizei- und Militärinstanzen mit der organisierten Kriminalität beim Verschwindenlassen der 43 Studenten von Ayotzinapa im Bundesstaat Guerrero, das den Abschluss eines Sicherheitsabkommens zwischen der Bundesrepublik Deutschland und Mexiko rechtfertigt (www.fr-online.de/meinung/mexiko-welche-sicherheit-,1472602,29153064.html)?
Frau Staatsministerin, bitte. Dr. Maria Böhmer, Staatsministerin im Auswärtigen Amt:
Die Kollegin Hänsel hat auf das Wertefundament abgehoben. Darauf darf ich zuerst eingehen. – Wenn die Bundesregierung von einem gemeinsamen Wertefundament mit Mexiko spricht, so ist damit nicht nur ein gemeinsames Wertefundament der beiden Regierungen, sondern grundsätzlich ein gemeinsames Werteverständnis der beiden Gesellschaften gemeint. Mexiko ist ein Land mit einer pluralistischen Gesellschaft, freien Medien, freier Meinungsäußerung und einer vom mexikanischen Volk frei gewählten demokratischen Regierung. Wir haben es dort mit sehr engagierten Menschenrechtsorganisationen zu tun und, wie wir derzeit angesichts der Demonstrationen sehen, mit einer sehr gut funktionierenden Zivilgesellschaft.
Die Vorfälle von Iguala, die mutmaßliche Ermordung der 43 Studenten im Bundesstaat Guerrero – das habe ich schon bei der letzten Fragestunde, in der wir das Thema gemeinsam erörtert hatten, erwähnt –, haben mich sehr erschüttert. Sie wissen, ich war vor Ort. Die Vorfälle haben in Mexiko, aber auch international eine außerordentlich breite öffentliche Diskussion ausgelöst. Präsident Peña Nieto hat in Reaktion auf diese Debatte
vor wenigen Tagen ein umfangreiches Maßnahmenpaket zur Reform des Sicherheitsapparates, insbesondere der kommunalen Polizeien, angekündigt. Er hat unterstrichen, dass sich Mexiko nach den Vorfällen von Iguala verändern müsse. Sie haben sicherlich genauso wie ich in großen deutschen Tageszeitungen gelesen, dass Mexiko an einem Wendepunkt steht. Wir sehen Mexiko als wichtigen Partner. Es geht jetzt darum, den Staat, insbesondere den Rechtsstaat, zu stärken, damit die Menschen in Sicherheit leben können. Wir haben Mexiko daher eine Zusammenarbeit im Bereich der Opferidentifizierung und der forensischen Ausbildung angeboten. An diesem Punkt bedarf Mexiko dringender Unterstützung. Die mexikanische Regierung hat das Angebot angenommen. In den nächsten Wochen werden wir besprechen, wie diese Zusammenarbeit ausgestaltet werden soll. Ich will noch ein Wort zum Sicherheitsabkommen sagen; auch darüber hatten wir uns in der Fragestunde am 15. Oktober ausgetauscht. Bei dem Sicherheitsabkommen, das noch nicht abgeschlossen ist, über das also noch verhandelt wird, müssen wir die vorgebrachten Argumente und die Situation vor Ort genau bedenken; das wird vonseiten der Bundesregierung sehr ernst genommen. Wir werden die Verhandlungen verantwortungsvoll unter besonderer Berücksichtigung der Menschenrechtslage führen.
Vizepräsident Johannes Singhammer:
Frau Kollegin Hänsel, Ihre Nachfrage, bitte. Heike Hänsel (DIE LINKE):
Danke schön, Frau Staatsministerin. – Sie waren in Mexiko. Auch ich war vor circa drei Wochen in Mexiko. Sie werden sicher auch von unterschiedlichsten Stellen die Information bekommen haben – das sagt selbst die Generalstaatsanwaltschaft –, dass es zwar sehr viele Reformen in Mexiko gibt – die Gesetzesgrundlage ist in vielen Punkten sehr fortschrittlich –, aber so gut wie keine Umsetzung. Das ist auch das große Problem bei dieser fast hundertprozentigen Straflosigkeit. Es gibt sehr viele Reformen im Justizbereich. Man könnte auch sehr viel machen; aber es passiert nichts. Sie sprachen von Meinungsfreiheit. Mexiko ist eines der Länder mit den meisten ermordeten Journalisten weltweit. Man kann zwar formal von Meinungsfreiheit sprechen. Wenn die Menschen diese aber real in Anspruch nehmen wollen, gefährden sie teilweise ihr Leben.
Ich möchte deshalb auf das Wertefundament und auf die vom Präsidenten angekündigten Reformen zurückkommen. Wie will die Bundesregierung darauf reagieren? Es gab schon so viele Reformen, die nicht in die Praxis umgesetzt wurden. Wie kommen Sie zu der Hoffnung, dass sich jetzt etwas ändern wird, dass es jetzt zu einer fundamentalen Veränderung in Mexiko kommt?
Dr. Maria Böhmer, Staatsministerin im Auswärtigen Amt:
Ich habe zitiert, was vonseiten mexikanischer Vertreter gesagt worden ist. Ich muss Ihnen auch sagen: Die Einschätzung hinsichtlich der Umsetzung von Reformen und der Umsetzung geltender Gesetze haben mir die Menschenrechtsorganisationen keinen Deut anders geschildert, als sie Ihnen offensichtlich geschildert worden ist. Angesichts einer 98-prozentigen Straffreiheit bei angezeigten Strafanzeigen darf man sich nicht zufriedengeben mit beschlossenen Gesetzen oder einer Strafrechtsreform, die in Gang gesetzt worden ist, aber nicht so weit gekommen ist. Jetzt sind konkrete Umsetzungen erforderlich. Das wird auch der Maßstab sein, an dem sich das Maßnahmenpaket des Präsidenten messen lassen muss. Nicht allein das, was auf dem Papier steht, sondern die Umsetzung ist das Entscheidende.
Vizepräsident Johannes Singhammer:
Frau Kollegin Hänsel, Sie haben die Möglichkeit einer zweiten Nachfrage.
Heike Hänsel (DIE LINKE):
Danke schön. – Ich möchte noch auf das Sicherheitsabkommen zu sprechen kommen, das Sie erwähnt haben. Es gibt viele Gerüchte. Es gibt die Aussage, das Abkommen sei auf Eis gelegt worden. Sie hingegen sagen, es werde daran gearbeitet. Deshalb möchte ich noch einmal nachfragen: Kann ich davon ausgehen, dass die Bundesregierung dieses Sicherheitsabkommen in nächster Zeit abschließen möchte? Wird bei einzelnen Punkten nachverhandelt? Wird zum Beispiel – wir kennen den Text leider nicht – über eine umfassende Menschenrechtsklausel diskutiert? Die Menschenrechtsorganisationen fordern, dass, wenn es ein Abkommen gibt, dieses gemeinsam mit Menschenrechtsorganisationen und einer sehr breiten Beteiligung erarbeitet wird, um neue Menschenrechtsverletzungen, die im Rahmen einer solchen Kooperation stattfinden könnten, weitgehend auszuschließen. Gibt es die Bereitschaft der Bundesregierung dazu?
Dr. Maria Böhmer, Staatsministerin im Auswärtigen Amt:
Frau Kollegin Hänsel, als ich in Mexiko war, habe ich natürlich sehr lange und ausführliche Gespräche mit den Menschenrechtsorganisationen geführt. Ich habe aber auch mit Vertretern der Bundesregierung und der einzelnen Länder gesprochen. Ich habe die Menschenrechtsorganisationen gefragt, wie sie zum Gedanken eines Sicherheitsabkommens stehen. Dazu haben sie sich grundsätzlich bejahend geäußert. Das habe ich mit großer Aufmerksamkeit registriert. Es wird aber sicherlich auch darauf ankommen, was in einem solchen Sicherheitsabkommen niedergeschrieben wird. Deshalb ist es für uns ganz wesentlich, zu sehen, was sich im Menschenrechtsbereich tut. Ich halte es für richtig, dass diese Gedanken und Forderungen mit einfließen.Wir sind hier in Verhandlungen. Ich habe aber nicht von einem baldigen Abschluss gesprochen. Vielmehr wird es entscheidend darauf ankommen, was hier miteinander verhandelt wird.
Vizepräsident Johannes Singhammer: Der Kollege Ströbele hat eine weitere Zusatzfrage.
Hans-Christian Ströbele (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN):
Frau Kollegin Böhmer, ich bin Ihnen dankbar, dass Sie nach der letzten Diskussion, die wir im Bundestag darüber geführt haben, versucht haben, das in Mexiko zur Geltung zu bringen, was hier diskutiert worden ist. Sie wissen, dass die Debatte in der Fragestunde, die wir hier geführt haben, in Mexiko durchaus wahrgenommen wird. Das Video ist 100 000-mal angeklickt worden. Das heißt, es wird durchaus wahrgenommen, wie wir in Europa und in Deutschland darüber diskutieren. Meine Frage ist: Haben Sie mit den Menschenrechtsorganisationen auch diskutiert und zur Kenntnis genommen, dass der Verdacht besteht, dass nicht nur einzelne Bürgermeister und Behörden in das organisierte Verbrechen, insbesondere in die Drogenmafiageschäfte, -morde und -Straftaten, verstrickt sind, sondern auch die Staatenregierungen – Mexiko besteht aus vielen Bundesstaaten – und die Zentralregierung? Gehen Sie mit mir in der Auffassung konform, dass ein Sicherheitsabkommen, das unter anderem mit der Unterstützung von Sicherheitskräften verbunden ist, erst dann abgeschlossen werden kann, wenn die Korruption und die Verstrickung aufgeklärt sind und sichergestellt ist, dass solche Leistungen aus Deutschland dort nicht für die Kriegsführung genutzt werden?
Dr. Maria Böhmer, Staatsministerin im Auswärtigen Amt:
Lassen Sie mich zuerst den letzten Punkt aufgreifen. Das Entscheidende ist, Herr Ströbele, dass Informationen und Daten – darum geht es Ihnen – nicht in falsche Hände geraten. Das ist auch für uns ein ganz zentraler Punkt. Daran gibt es keinen Zweifel. Die Reaktionen, auf die ich in Mexiko traf, waren sehr unterschiedlich. Ich fand es außerordentlich wichtig, ein sehr intensives und, wie gesagt, sehr langes Gespräch mit den Menschenrechtsorganisationen zu führen. Ich habe darüber hinaus nicht nur auf Bundesebene mit dem dortigen Staatssekretär für Menschenrechte gesprochen, sondern auch die Gelegenheit genutzt, in zwei Bundesstaaten Gespräche zu führen. Ich habe dabei gemerkt – das ist auch Ihnen bekannt, dass die Unterschiede von Bundesstaat zu Bundesstaat sehr groß sind. Ich betone noch einmal: Die Aufmerksamkeit, die wir in Deutschland der Menschenrechtssituation in Mexiko widmen, führt, glaube ich, in der Tat auch dazu, dass man dort jetzt anders reagiert. Aber zweifellos ist die Tatsache, dass die Menschen in Mexiko auf die Straße gegangen sind und das auch weiterhin tun, von entscheidender Bedeutung. Ich habe selbst vor Ort die Proteste der Studenten gesehen und verfolge sie weiter. Das alles mag auch dazu geführt haben, dass Staatssekretär Gómez Robledo, mit dem ich in Mexiko gesprochen habe, Ende letzter Woche in Berlin war, um persönlich die zehn Punkte zu erläutern. Aber ich habe mich nicht zurückgehalten; ich habe ihm gesagt: Es kommt jetzt darauf an, dass umgesetzt wird, was angekündigt worden ist.