Zum Hauptinhalt springen

Katrin Werner: Schluss mit dem familienpolitischen Desaster

Rede von Katrin Werner,

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Ja, Eltern und Kinder sind in dieser Krise besonders großen Belastungen ausgesetzt. Seit Monaten sind Schulen und zum Großteil Kitas geschlossen. Familien werden auf sich selbst zurückgeworfen und müssen die Probleme meist alleine lösen. Die Kontaktbeschränkungen bedeuten psychische Belastungen für alle. Eltern sind dauerhaft Mehrfachbelastungen ausgesetzt. Sie müssen Kinderbetreuung, Homeschooling und Lohnarbeit seit Monaten unter einen Hut bringen. Ihnen fehlt die langfristige Perspektive. Viele laufen schon jetzt auf dem Zahnfleisch. Bei Alleinerziehenden ist die Belastung besonders hart.

In dieser Zeit ist es das Mindeste, dass die Bundesregierung allen Eltern, die ihre Kinder zu Hause betreuen, eine einfache, verlässliche, dauerhafte finanzielle Sicherheit bietet,

(Beifall bei der LINKEN)

wenn sie ihrer Erwerbsarbeit nicht oder nur teilweise nachgehen können, weil sie ihre Kinder eben zu Hause betreuen müssen. Stattdessen bietet die Bundesregierung – das wurde schon angesprochen – einen komplizierten Wust an Maßnahmen, der sich auch noch alle paar Wochen ändert. Sie heißen Entschädigung nach Infektionsschutzgesetz, Erhöhung und Erweiterung der Kinderkrankentrage, und zwischendurch war auch ein bezahlter Sonderurlaub für Eltern im Gespräch. Der wurde aufgrund des massiven Widerstands von der Arbeitgeberseite begraben.

Und wissen Sie – mal kurz am Rande, – was jetzt das Ergebnis des Wirrwarrs ist? Arbeitgeber, die zuvor flexible Arbeitszeiten und bezahlte Freistellung für Eltern angeboten haben, nehmen diese jetzt zurück und nötigen die Eltern dazu, ihre Kinderkrankentage jetzt zu nehmen. Aber was ist dann den Rest des Jahres? Da brauchen wir dringend Nachbesserung; denn es ist ein Unding an dieser Stelle.

(Beifall bei der LINKEN)

Diese ganzen unterschiedlichen gesetzlichen Leistungen gelten noch nicht mal für alle Eltern. Sie werden in unterschiedlicher Höhe geleistet, sie sind befristet und an Bedingungen geknüpft, und sie ändern sich ständig. Um die Leistungen zu verstehen, braucht man also Zeit, man braucht Geduld, man braucht Durchhaltevermögen. All das haben viele Eltern einfach nicht mehr; denn sie gehen seit Monaten an ihre Grenzen und darüber hinaus. Sie haben schlicht keine Reserven mehr.

Ich verstehe das Problem der Bundesregierung nicht. Warum gibt es keine unkomplizierten, an den Bedürfnissen orientierten Unterstützungsleistungen? Dann muss man sich schon indirekt den Vorwurf gefallen lassen, dass man das Gefühl hat, man soll die Leistungen vielleicht gar nicht verstehen, weil sie niemand oder nur wenige in Anspruch nehmen können.

(Leni Breymaier [SPD]: Na, na, na!)

Die Linke hat bereits im ersten Lockdown gesagt: Wir brauchen ein Coronaelterngeld. Es muss allen Eltern ermöglicht werden, ihre Arbeitszeit zu reduzieren oder auszusetzen und dafür eine Lohnfortzahlung für die gesamte Dauer der Krise zu erhalten. Es muss unkompliziert und flexibel sein. Familien mit geringen Einkommen und Alleinerziehende müssen dabei besonders abgesichert werden. – Diesen Vorschlag hat die Große Koalition mehrfach abgelehnt. Stattdessen sind wir seit Monaten auf einem Zickzackkurs und erleben dazu noch ein Kommunikationsdesaster. Von einer Verlängerung der Unterstützung war beim Bund-Länder-Gipfel diese Woche nicht mal mehr die Rede. Viele Eltern schütteln, ehrlich gesagt, nur noch den Kopf.

Um die Wogen zu glätten und die besonderen Belastungen für Familien etwas auszugleichen, wird jetzt von einem erneuten Kinderbonus geredet. Wir sind für den Kinderbonus. Diesmal geht es um 150 Euro; im letzten Jahr gab es wenigstens noch 300 Euro. Damit wollen Sie die finanzielle Mehrbelastung ausgleichen? Kinderbetreuung und Homeschooling bedeuten doch Mehrausgaben für Strom, Wasser, Essen, Schulmaterialien, Spiele und Bastelzeug – da gibt es viele, viele Dinge. Ein „Kinderbönchen“ von 150 Euro reicht doch da bei Weitem nicht aus. Da müssen Sie wirklich nicht nur ein Schippchen, sondern riesengroße Schaufeln drauflegen.

(Beifall bei der LINKEN)

Oder führen Sie endlich eine Kindergrundsicherung ein, damit Kinder wirksam vor Armut geschützt werden!

(Beifall bei der LINKEN)

Und noch was: Sorgen Sie diesmal dafür, dass der Kinderbonus komplett bei den Alleinerziehenden ankommt, nämlich in dem Haushalt, wo das Kind überwiegend betreut wird.

Die Belastungen für Kinder sind riesig; die Studie wurde angesprochen. Jedes dritte Kind hat psychische Auffälligkeiten. Vor allen Dingen Kinder und Jugendliche aus ärmeren, bildungsfernen Familien sind betroffen. Ja, es ist schwierig, bei geschlossenen Kitas und Schulen alle Kinder zu erreichen. Deshalb müssen Kitas und Schulen bei Öffnungen ganz vorne stehen. Aber, wissen Sie, es reicht eben nicht aus. Es fehlen die langfristigen, krisenfesten Pläne. Wir laufen einfach auf eine massive soziale Krise zu, und wir müssen jetzt gegensteuern.

Wir brauchen die gesellschaftliche Infrastruktur und die soziale Sicherung; das muss ausgebaut werden. Wir hatten deshalb in den Haushaltsberatungen für dieses Jahr eindeutig mehr erwartet, Frau Giffey. Wir brauchen jetzt mehr Investitionen in die Jugend- und Schulsozialarbeit. Wir brauchen jetzt mehr Geld für Kitas, Horte und gemeinnützige Jugend- und Bildungsstätten. Und noch mal: Wenn nicht jetzt, wann dann?

Sehr geehrte Regierungskoalition, Sie haben viel zu wenig getan, um die Kinder und Jugendlichen aus ärmeren Familien besser zu unterstützen. Seit einem Jahr fordern Die Linke, aber auch viele Sozialverbände zum Beispiel einen monatlichen Coronazuschlag auf Hartz IV. Monatelang wurde nicht reagiert, um den Ärmsten der Gesellschaft zu helfen. Nun gibt es einen einmaligen Zuschlag von 150 Euro. Aber da kann man noch nicht mal sagen: Das ist ein Tropfen auf den heißen Stein.

Selbst jetzt, in dieser Zeit, halten Sie am Hartz-IV-System fest. Sie verfestigen damit die Armut. Sie beschneiden damit bei 1,9 Millionen Kindern und Jugendlichen die Bildungs- und Teilhabechancen. Am Rande – das muss schon noch mal gesagt werden –: Für die Lufthansa sind ziemlich schnell 9 Milliarden Euro parat. Bei den Ärmsten der Gesellschaft sparen Sie. Wir finden, damit verschärft sich die soziale Krise, und das ist beschämend.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich komme zum Schluss. – Hören Sie auf, in dieser Krise herumzueiern. Stellen Sie die Weichen für einen solidarischen Weg aus der Krise!

Kurz zu den Anträgen der FDP: Sie sind keine Alternative; denn Ihre Maßnahmen sollen ja auch nicht mehr kosten, als Mittel im Haushalt zur Verfügung stehen.

Damit schreiben Sie die Mangelverwaltung der Regierung fort, und so kommen wir nicht weiter.

(Beifall bei der LINKEN)