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Katrin Werner: Familien: Politik der kleinen Schritte reicht nicht

Rede von Katrin Werner,

Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Damen und Herren! Frau Ministerin Giffey! Schaut man sich den Haushalt des Familienministeriums an, stellen sich aus unserer Sicht schon einige Fragen. Es ist angebracht worden: Es gibt einen Aufwuchs der Gelder. – Aber die großen Probleme, die schon lange bekannt sind, bleiben aus unserer Sicht eben weitgehend unberührt. Es gibt seit Jahren steigende Kinderarmut, wachsende Einsamkeit, zu wenig Kitaplätze; die Kinder- und Jugendhilfe ist unterfinanziert.

Liebe Kolleginnen und Kollegen, das ist der große Berg an Problemen, den wir seit Jahren vor uns herschieben, und jetzt kommt die Krise dazu. Wo ist also die langfristige Idee? Wo sind die Strategien, um überhaupt die Auswirkungen der Krise auf die Kinder und die Familien abzufedern? Beim Blick auf den Haushalt könnte man meinen: Es ist alles so wie immer. – Man geht nicht auf die Pandemie und nicht auf die Krise ein. Aber wissen Sie, der Shutdown und die Einbußen der Eltern haben große Auswirkungen auf die Familien. Die Krisenfolgen sind noch nicht annähernd absehbar. Die sozialen Probleme, die psychischen Belastungen und Kinderarmut werden zunehmen. Dem muss die Politik mehr begegnen. Das sehen wir in Ihrem Haushalt für das nächste Jahr und darüber hinaus aber eben nicht. Mein Kollege ist darauf eingegangen.

Wir sind nicht die Einzigen, die das so sehen. Eine junge Mutter aus meinem Wahlkreis Trier schrieb mir. Bei aller Einsicht in die Notwendigkeit von Maßnahmen zur Eindämmung des Virus vermisst sie die Abfederung der Folgen und Langzeitfolgen für Kinder und Familien. Ich zitiere mit Erlaubnis des Präsidenten:

"Ich sehe Familien, die in kollektiver Einsamkeit landen, die niemanden mehr treffen. Es gibt Familien, wie meine, die das leider gewohnt sind. Als Familie mit behindertem Kind ist man nicht gerade in der Nahrungskette weit oben, was Zeit mit anderen Menschen verbringen betrifft. Aber es gibt Familien, denen das auf die Psyche geht und in Gewalt endet."

"Familien, die wegen der Pandemie neben der Einsamkeit noch in finanzielle Not geraten, weil sie entweder einen soloselbstständigen Elternteil haben oder in Kurzarbeit müssen und weil Hilfen entweder zu spät greifen oder gar nicht."

"Hier entsteht Frust und Not."

Und weiter schreibt die junge Mutter:

"Ist Ihnen bewusst, dass diesen Frust, diese Not oft auch die Kinder in den Familien zu spüren bekommen? Bewusst oder unbewusst? Ist Ihnen bewusst, dass diese Kinder auf Grund schlechter Erreichbarkeit der Jugendämter während der Pandemie sich keine Hilfe suchen können? Bei uns zum Beispiel darf das Jugendamt nur betreten werden, wenn telefonisch ein Termin vereinbart wurde. Was machen also die Kinder, die nie allein sind zum Telefonieren? Wer schützt diese Kinder?"

Frau Giffey, wir brauchen jetzt ein Zukunftsprogramm. Wir müssen die gesellschaftliche Infrastruktur und die soziale Sicherung ausbauen. Wenn nicht jetzt, wann dann? Wir brauchen jetzt eine Kindergrundsicherung, die alle Kinder vor Armut schützt. Wir brauchen jetzt mehr Investitionen in die Jugendsozialarbeit. Wir brauchen jetzt mehr Geld für Kitas und gemeinnützige Jugend- und Bildungsstätten. Und wir brauchen jetzt mehr Investitionen in Mehrgenerationenhäuser, um der Einsamkeit entgegenzuwirken.

(Beifall bei der LINKEN)

Wir brauchen jetzt eine stärkere Schuldnerberatung. Das wird in Zukunft notwendig sein.

Ich möchte Ihnen noch ein Thema aus dem Brief mitgeben. Es geht um das Thema „Gewalt in der Geburtshilfe“. Die Mutter aus meinem Wahlkreis schreibt mir – ich zitiere wieder –:

"Hier werden regelmäßig Frauen in ihren Menschenrechten verletzt und dennoch wird diese Form der Gewalt nicht einmal auf der Homepage des Familienministeriums erwähnt. Hat dieses in den letzten 8 Jahren nicht den Roses Revolution Day verfolgt und die Berichte gelesen? Dann bitte tun Sie dies, Frau Werner, und tragen es an die zuständige Ministerin."

Dieser Bitte bin ich damit nachgekommen und hoffe, dass man dazu demnächst noch mehr lesen kann.

Danke.

(Beifall bei der LINKEN)