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Katja Kipping: »Ein Mensch zu sein, der es verdient Glück zu empfinden«

Rede von Katja Kipping,

Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Rund 700 Abgeordnete könnten heute, wenn sie alle da wären, über diesen Gesetzentwurf abstimmen. Direkt davon betroffen sind über 7 Millionen Menschen in diesem Land. Also stimmen rund 700 Leute, die jeden Monat eine stattliche Diät bekommen, darüber ab, was den ärmsten 7 Millionen Menschen in diesem Lande zusteht. Das ist ein bemerkenswerter Vorgang.

(Kai Whittaker [CDU/CSU]: Ein demokratischer Vorgang! Ich fasse es nicht!)

Wir sollten nie vergessen, welche Auswirkungen unsere Entscheidungen auf die Ärmsten im Land haben.

(Beifall bei der LINKEN)

Wenn man Geld hat, kann man sich das kaum vorstellen: wie viel ein paar Euro bedeuten können, wie viel die Dinge bedeuten, die einem das Gefühl geben, ein Mensch zu sein, der es verdient, Glück zu empfinden. – Diese Worte stammen von der Autorin Anna Mayr, die unter den Bedingungen von Hartz IV aufwuchs.

Von dem Gefühl, ein Mensch zu sein, dem es zusteht, Glück zu empfinden, sind wir natürlich weit weg, wenn wir über diese Regelbedarfe reden; da reden wir eher über Mangel. Die Hartz-IV-Aktivistin Inge Hannemann, Sachverständige bei der Anhörung, brachte es wie folgt auf den Punkt: Leben mit Hartz-IV-Regelsätzen bedeutet, dauerhaft mit einem Taschenrechner im Kopf zu leben. – Wir als Linke wollen das ändern.

(Beifall bei der LINKEN – Dr. Matthias Zimmer [CDU/CSU]: Mit Rechenschiebern?)

Doch die Bundesregierung aus Union und SPD hat politische Festlegungen getroffen, die die Regelbedarfe weiter klein halten. Sie legen dabei unter anderem fest, welche Ausgaben Sozialleistungsbeziehern faktisch nicht zustehen. Darunter fallen Haltungskosten für ein Auto, auch im ländlichen Raum, Campingurlaub mit der Familie, eine Tasse Kaffee, wenn man sich mit Freunden in einem Café trifft, oder eine Haftpflichtversicherung.

Jetzt habe ich das zuständige Ministerium gefragt, warum es der Meinung ist, dass Sozialleistungsbeziehenden nicht eine Haftpflichtversicherung zusteht. Die Antwort des Ministeriums lautete – Zitat –: Es besteht keine gesetzliche Verpflichtung dazu. – Diese Logik ist entlarvend. Es besteht ja auch keine gesetzliche Verpflichtung dazu, sich gesund und vollwertig zu ernähren, keine gesetzliche Verpflichtung, sich mit Freunden zu treffen. Mit der Methode kann man die Regelbedarfe wahrlich kleinrechnen.

Seien Sie doch einfach ehrlich: Für die Union ist jede Erhöhung für die Ärmsten einfach ein No-Go. Offensichtlich ist Ihnen die gute Laune des Koalitionspartners wichtiger als die täglichen Nöte von 7 Millionen Menschen im Land. Ich finde das beschämend.

(Beifall bei der LINKEN – Matthias W. Birkwald [DIE LINKE], an die CDU/CSU gewandt: Ihr gönnt denen nicht das Schwarze unter dem Fingernagel! – Gegenruf des Abg. Kai Whittaker [CDU/CSU]: Blödsinn!)

Wir als Linke haben mit anderen politischen Setzungen eigene Berechnungen beim Statistischen Bundesamt in Auftrag gegeben. Demnach müsste der Regelsatz im Monat bei 658 Euro liegen, plus Wohnkosten, plus Stromkosten in tatsächlicher Höhe.

Jeder von Ihnen, der im Anschluss diesen Gesetzentwurf durchwinkt, ist am Ende mitverantwortlich dafür, dass über 7 Millionen Menschen gezielt in Armut gehalten werden, darunter arme Rentnerinnen und Rentner, Asylbewerberinnen und Asylbewerber, Menschen mit Behinderungen, die in Werkstätten arbeiten. Sie könnten aber auch heute und hier zeigen, dass der Bundestag eben nicht einfach durchwinkt, dass ihm die Sorgen und Nöte der Ärmsten nicht egal sind. Es geht um nicht weniger als um Millionen Menschen in diesem Land, und es geht am Ende um ihre leise Hoffnung darauf, sich als ein Mensch zu fühlen, der es einfach nur verdient, Glück zu empfinden.

Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)