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Junge Erwachsene müssen Rechenfehler der Regierung ausbügeln

Rede von Jörn Wunderlich,

Jörn Wunderlich zu der von der LINKEN. beantragten Aktuellen Stunde : Kürzungen bei Hartz IV zu Lasten junger Erwachsener Förderung und Hilfen für junge Erwachsene basieren in der Koalition auf erfundenen Vorwürfen des massiven Missbrauchs von Leistungen nach dem SGB II. Wer nicht selbst zu seinem Unterhalt beiträgt soll solange Kind bleiben, wie es der Regierung in die Finanzen passt. Soviel zum Selbstbestimmten und eigenverantwortlichen Leben in einer demokratischen Gesellschaft. Man darf als junger Erwachsener nur soviel, wie Müntefering und Co. zulassen! Man darf wählen gehen, der Stimmen wegen, mit der Bundeswehr an Auslandseinsätzen teilnehmen und man muss mobil und flexibel für den Arbeitsmarkt sein. Was man nicht darf- frei und selbst bestimmt -leben.

Jörn Wunderlich (DIE LINKE): Sehr geehrte Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Ich bin froh, dass ich nicht mehr in Ostfriesland lebe, wo es so schlimm ist. Zwangsfamilie. Wir alle in diesem Hohen Haus sprechen uns gegen Zwangsehen bzw. Zwangverheiratungen aus und Sie wollen durch die Novellierung des Gesetzes für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt durch die Hintertür wieder Zwangsfamilien einführen. Sieht so die Förderung von Familie aus? (Beifall bei der LINKEN - Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU): So ein Quatsch! Dr. Uwe Küster (SPD): Wunderling!) Hören Sie mir einmal zu! Es wird noch besser. (Dr. Uwe Küster (SPD): Es kann nicht besser werden!) Die Ausdehnung der Bedarfsgemeinschaft auf die unter 25-Jährigen und die Einschränkungen beim Erstwohnbezug sind völlig überzogen. Das sagt übrigens auch der DGB. Ich weiß nicht, wer von Ihnen bei der Expertenanhörung war. Ich war dabei und habe sie mir angehört. Es wird seitens der Regierung von ständigem und massivem Missbrauch dieser Altersgruppe gesprochen und mit Zahlen herumgeworfen. Woher kommen diese Zahlen? Diese Zahlen gibt es überhaupt nicht. In der Expertenrunde ist gesagt worden, dass es keine belegbaren Zahlen gibt. Ich war bei den Arbeitsgemeinschaften bei mir zu Hause im Kreis. Auch dort ist gesagt worden: Wir haben keine Zahlen. Es gibt keine Hinweise auf Missbrauch durch diese Altersgruppe. Das ist erstunken und erlogen. (Beifall bei der LINKEN) Sie haben als hehres Ziel benannt, junge Arbeitslose unter 25 keine drei Monate in der Arbeitslosigkeit zu belassen. Daran sollten Sie arbeiten; das ist das Ziel. Sie sollten die Betroffenen aber nicht weiter schröpfen und bluten lassen. Von der Schaffung von Arbeitsplätzen wird hier überhaupt nicht mehr gesprochen. Es geht doch nur um die Verwaltung von Arbeitslosen bei gleichzeitiger Kostendämpfung. Bestes Beispiel ist die Senkung der Bemessungsgrundlage für die Beitragsberechnung der Renten von ALG II Empfängern. Wenn seitens der CDU festgestellt wird ich zitiere , „dass die Kosten so explodiert sind, dass gehandelt werden muss“, dann ist es endlich an der Zeit, zuzugeben, dass die Berechnungen zur Hartz-Gesetzgebung verfehlt waren. Aber diese Größe fehlt der Koalition. Wie gehabt, sollen diese Fehler auf dem Rücken der Betroffenen ausgeglichen werden, und das durch weitere Eingriffe in Bürgerrechte. (Peter Weiß (Emmendingen) (CDU/CSU): Welches Bürgerrecht?) Das heißt, es kommt wieder zu Leistungsbeschneidungen, Verdrängungseffekten und Repressionen. Aber was kümmert das unseren Arbeitsminister? In diesem Zusammenhang möchte ich einmal an das Godesberger Programm erinnern, in welchem es unter anderem heißt ich zitiere : Die Sozialisten erstreben eine Gesellschaft, in der jeder Mensch seine Persönlichkeit in Freiheit entfalten und als dienendes Glied der Gemeinschaft verantwortlich am politischen, wirtschaftlichen und kulturellen Leben der Menschheit mitwirken kann. (Rolf Stöckel (SPD): Richtig! Da steht nichts über Transferleistungen!) Noch im Berliner Programm von 1989 heißt es: Die Sozialdemokratie führt die Tradition der demokratischen Volksbewegungen des neunzehnten Jahrhunderts fort und will daher beides: Demokratie und Sozialismus, hört! Selbstbestimmung der Menschen in Politik und Arbeitswelt. (Beifall bei der LINKEN Rolf Stöckel (SPD): Ja, keine Diktatur der Arbeit! Demokratie und Arbeit!) Zurück zum SGB II. Aus meiner Sicht will die Koalition das SGB II nur aus fiskalpolitischen Erwägungen ändern. Lebenslagen von Betroffenen werden überhaupt nicht berücksichtigt. (Stefan Müller (Erlangen) (CDU/CSU): So ein Quatsch!) Hier wird doch wieder nach dem Motto verfahren: Rechnet sich das überhaupt? Eine solche Politik ist weder kinder- noch familienfreundlich; sie kann es nicht sein. Das habe ich bereits Anfang Dezember in diesem Hause an diesem Pult gesagt und dazu stehe ich noch immer. (Gerd Andres (SPD): Donnerwetter!) Dass es auch andere Stimmen dazu gibt, vornehmlich die der Arbeitgeberverbände, wundert mich gar nicht. Vorrangig scheinen sie von dieser Änderung keine Vorteile zu haben. Denkt man aber einmal weiter und verliert man die Gesamtzusammenhänge nicht aus den Augen, stellt man schnell fest, dass sich alles zu einem bestimmten Bild zusammenfügt: Wenn junge Menschen ohne Chance auf einen sozialversicherungspflichtigen Arbeitsplatz finanziell so weit drangsaliert werden, dass sie auch bereit sind, im Niedriglohnsektor zu arbeiten, dann entlastet dies letztlich die Statistik der BA. (Gerd Andres (SPD): Aha, jetzt haben Sie es erkannt!) Und: Die Arbeitgeber stehen nicht mehr so sehr unter dem Erfolgsdruck Sie waren dabei, als all diese Programme aufgelegt wurden , ihrem nicht eingelösten Versprechen aus dem Bündnis für Arbeit nachzukommen, die Arbeitslosenzahlen zu senken. Im Gegenteil: Die Arbeitgeber werden in die Lage versetzt, die Löhne noch weiter zu drücken. In diesem Zusammenhang stellt sich mir die Frage ich warte wirklich auf eine Antwort : Wann kommt endlich der Vorschlag der Regierung, die Senioren ab 65 oder demnächst ab 67 wieder in die Haushalte der Kinder zu integrieren, natürlich unter Anrechnung der Einkommen der Familie auf die Rente? (Beifall bei der LINKEN) Das spart Renten und Wohnkosten, schafft gegebenenfalls auch kostenlose Kinderbetreuung. (Stefan Müller (Erlangen) (CDU/CSU): Das sind aber lange fünf Minuten!) Das Modell des Mehrgenerationenhauses hat sich dann automatisch erledigt. Der Kollege Dobrindt hat hier am 10. Februar erklärt Zitat , „dass junge Menschen mehr Freiheit und Selbstbestimmung brauchen“. (Stefan Müller (Erlangen) (CDU/CSU): Da hat er Recht!) Da hat er Recht . Das ist hoffentlich nicht so zu verstehen, dass junge Menschen ab 18 wählen dürfen oder als Soldaten ins Ausland geschickt werden können. (Zurufe von der CDU/CSU: Oh!) Es lebe der Sozialstaat! Ich danke Ihnen für Ihre Aufmerksamkeit. (Beifall bei der LINKEN)