Diana Golze in der Debatte über den von der Fraktion DIE LINKE. eingebrachten Entwurf eines Gesetzes zur Änderung des Jugendarbeitsschutzgesetzes
Sehr geehrter Herr Präsident! Sehr geehrte Kolleginnen und Kollegen! Ich begrüße auch die auf der Tribüne anwesenden Aktivistinnen und Aktivisten der Gewerkschaftsjugend(Beifall bei der LINKEN)
und sage ihnen, dass die Fraktion Die Linke geschlossen hinter ihrer Forderung nach einem Erhalt des gesetzlichen Jugendarbeitsschutzes steht.
(Dr. Guido Westerwelle (FDP): Wir nicht, damit das auch klar ist! Gegenruf von der LINKEN: Hört! Hört!)
Wen ich begrüße, darf ich ja wohl sagen.
Ich freue mich darüber, dass auch einige Abgeordnete aus anderen Fraktionen heute ein Zeichen gegen die Aushöhlung des Jugendarbeitsschutzes setzen.
(Dr. Guido Westerwelle (FDP): Demnächst kommt ihr noch mit Uniform!)
Ich hoffe aber auch - das sage ich an die Adresse der SPD -, dass Sie hier heute
(Dirk Niebel (FDP): Wo ist das Halstuch und das gelbe Käppi, das ihr immer aufhattet?)
nicht nur wohlfeile Lippenbekenntnisse abgeben. Sie schwören öffentlich Eide auf den Erhalt des gesetzlichen Jugendarbeitsschutzes,
(Ernst Burgbacher (FDP): Sie sind auch Aktivistin!)
während im sozialdemokratisch geführten Arbeitsministerium munter die Fundamente des Gesetzes untergraben werden.
(Beifall bei der LINKEN)
In den Anhörungen der Bund-Länder-Arbeitsgruppe, die seit September 2006 tagt, wird deutlich, dass es bei der geplanten Novellierung buchstäblich um den Kern des gesetzlichen Jugendarbeitsschutzes geht. Die Wochenend- und Nachtarbeitsverbote werden durch die Beamten aus den Ländern und aus dem Müntefering-Ministerium ebenso in Frage gestellt wie die Existenz der Ausschüsse für Jugendarbeitsschutz. Für uns sind die Schutzrechte von Jugendlichen aber keine Manövriermasse im Koalitionspoker, sondern politischer Kerninhalt. Deshalb sagen wir heute mit roten Buttons „Stopp!“ und erklären uns mit den Protesten der Gewerkschaftsjugend solidarisch.
(Beifall bei der LINKEN)
Eine Novellierung, eine Reform des Jugendarbeitsschutzes heißt für uns nicht weniger, sondern mehr und bessere Schutzrechte für Jugendliche. Deshalb wird hier und heute dem Bundestag das erste Mal seit Jahren eine Initiative zur weitreichenden Verbesserung des gesetzlichen Jugendarbeitsschutzes vorgelegt von der Linksfraktion.
(Beifall bei der LINKEN)
Das Parlament und seine Gäste müssen sich heute aber auch einmal mehr mit den neoliberalen Evergreens der FDP befassen. Ihr Refrain lautet, dass die Schutzrechte von Jugendlichen nur Ausbildungshemmnisse seien. Wie unsinnig solche Behauptungen sind, zeigt schon die Tatsache, dass seit 1976 mehrere Male am Jugendarbeitsschutz gesägt wurde. Im Jahr 2006 waren aber die Chancen von Jugendlichen auf einen betrieblichen Ausbildungsplatz schlechter denn je. Weniger Jugendarbeitsschutz schafft keinen einzigen neuen Ausbildungsplatz.
(Beifall bei der LINKEN)
Liebe Kolleginnen und Kollegen der FDP, ein kleiner Rat am Rande: Sie legen heute zum dritten Mal seit 2003 dieselbe Initiative vor.
(Jörg van Essen (FDP): Weil sie immer noch richtig ist!)
Sie sollten das Copy-and-Paste-Prinzip aber nicht ganz so unbesehen anwenden. Sie wollen nämlich in Ihrem Gesetzentwurf noch am Jugendarbeitsschutzgesetz in der Fassung vom 21. Dezember 2000 herumdoktern. Das stimmte, wenigstens formal, noch, als Sie diesen Gesetzentwurf 2004 das letzte Mal eingebracht haben. Mittlerweile haben wir das Jahr 2007, und Sie müssten sich korrekterweise auf die zuletzt am 21. Januar 2005 geänderte Fassung beziehen.
(Lachen und Beifall bei der LINKEN Dr. Guido Westerwelle (FDP): Das werden wir sofort ändern!)
Ein kleiner Fehler, der viel über die Entstehungsweise Ihres Gesetzentwurfs besagt.
(Dr. Dagmar Enkelmann (DIE LINKE): Alte Kamellen!)
Bestellen Sie doch wenigstens Ihren Sekundanten aus dem Arbeitgeberlager, dass sie Ihnen formal korrekte Zuarbeiten machen.
(Beifall bei der LINKEN)
Ich komme aus dem Land Brandenburg, wo die Situation am Ausbildungsmarkt noch dramatischer ist als anderswo. Wer die Realität in den Betrieben kennt, muss zu der Schlussfolgerung kommen, dass nicht ein Abbau, sondern ein Ausbau des Jugendarbeitsschutzes auf die Tagesordnung gehört. Vor einer Woche hat die Gewerkschaftsjugend den „Berlin Brandenburger Ausbildungsreport 2006“ veröffentlicht, der bestätigt, was viele Gespräche vermuten lassen: Jeder fünfte Azubi in der Region macht regelmäßig Überstunden, und nur jeder zweite von ihnen erhält dafür einen Ausgleich. Nehmen wir doch zum Beispiel einmal das bei der FDP so beliebte Hotel- und Gaststättengewerbe. Jeder fünfte Azubi unter 18 muss in Brandenburg regelmäßig mehr als 40 Stunden pro Woche arbeiten, was nebenbei bemerkt illegal ist. Jeder fünfte Azubi lernt so am Beginn seines Arbeitslebens erst einmal, dass seine Schutzrechte mit Füßen getreten werden. Einer solchen Branche wollen Sie mit Ihrem Gesetzentwurf auch noch entgegenkommen? In meinen Augen ist das ein Hohn.
(Beifall bei der LINKEN Ernst Hinsken (CDU/CSU): Gehen Sie selbst einmal in die Gaststätte?)
Immer mehr Arbeitgeber beuten Auszubildende als billige Arbeitskräfte schamlos aus. Wenn das ein Ende haben soll, brauchen wir nicht weniger, sondern mehr Jugendarbeitsschutz. Vor allem müssen wir dafür sorgen, dass das Gesetz diejenigen erfasst, die es am Beginn ihres Arbeitslebens am nötigsten brauchen: die 1,6 Millionen Auszubildenden. Das ist der Kern unserer Initiative. Wir wollen den Geltungsbereich des Jugendarbeitsschutzgesetzes auf alle Beschäftigten ausweiten, die noch nicht 21 Jahre alt sind.
Lassen Sie mich erklären, was für diese Änderung spricht, bevor ich die Gegenargumente entkräfte. Der gesetzliche Jugendarbeitsschutz in Deutschland ist ungenügend. Jeder fünfte Arbeitsunfall betrifft die 15- bis 24 Jährigen. Ganz real heißt das: Alle drei Minuten von Montag bis Sonntag von 0 bis 24 Uhr - dreimal während meiner Redezeit - verunglückt ein junger Mensch am Arbeitsplatz; insgesamt verunglücken pro Jahr 165 000 junge Menschen. Europaweit liegt die Wahrscheinlichkeit, dass 18- bis 24 Jährige am Arbeitsplatz verletzt werden, um 50 Prozent über der anderer Altersgruppen. Der Gefahrenschwerpunkt liegt in der Frühphase von Ausbildung und Erwerbstätigkeit. Dann ist die Motivation hoch, während ein spezifisches Gefahrenbewusstsein erst herausgebildet wird. Ein wirksamer Jugendarbeitsschutz muss deshalb auch und vor allem Auszubildende erfassen.
Für unseren Vorschlag spricht die Tatsache, dass gegenwärtig drei von vier Auszubildenden vom gesetzlichen Arbeitsschutz gar nicht erfasst werden, ganz einfach, weil sie über 18 Jahre alt sind. Das durchschnittliche Alter für den Einstieg in eine betriebliche Ausbildung beträgt heute 18,8 Jahre. Ein Schutzgesetz, das diejenigen, die es am dringendsten brauchen, nicht mehr erfasst, ist wirkungslos und muss reformiert werden.
(Beifall bei der LINKEN)
Solange die Schutzgrenze bei 18 Jahren liegt, erhalten Unternehmen auch noch einen Anreiz, nicht mehr Haupt- oder Realschüler als Auszubildende einzustellen, sondern Abiturienten, weil für die das Jugendarbeitsschutz nicht mehr gilt.
(Andrea Nahles (SPD): Das ist der größte Unsinn des Jahres! Das ist eine Argumentation wie bei der FDP!)
Ein Gesetz, durch das so falsche Anreize gesetzt werden, muss - ich wiederhole es - reformiert werden.
Nicht zuletzt Ihre Politik, meine Damen und Herren von der Koalition, ist eine Aufforderung zur Ausweitung des Jugendarbeitsschutzes. Wer künftig bis zum 67. Lebensjahr arbeiten soll, sollte doch wenigstens am Anfang so geschützt werden, dass er oder sie überhaupt so lange arbeiten kann.
(Beifall bei der LINKEN)
Der Jugendarbeitsschutz von heute ist die soziale Sicherheit von morgen.
Nun sind die Einwände schon gekommen: Sie sagen, mehr Jugendarbeitsschutz schade den Chancen von Jugendlichen, einen Ausbildungsplatz zu finden.
(Dr. Guido Westerwelle (FDP): So ist es!)
Ich sage Ihnen, dass das allein deshalb nicht stimmt, weil die Arbeitgeber immer Ausreden finden werden, um ihre Ausbildungsverweigerung zu bemänteln.
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)
Kein Schutzrecht in diesem Land wäre eingeführt worden, wenn wir voher die Wirtschaft oder ihre Verbände um Erlaubnis gefragt hätten.
(Beifall bei der LINKEN)
Ein weiterer Einwand, der schon gemacht wurde, lautet, dass der Jugendarbeitsschutz den Einsatz von Auszubildenden so sehr behindere, dass die Ausbildungsziele nicht erreicht werden könnten. Das ist, gelinde gesagt, Unsinn, weil das Gesetz selbst unzählige Abweichungsmöglichkeiten enthält, durch die das verhindert werden kann.
Schließlich kam auch schon der Einwand, dass die Ausweitung des Jugendarbeitsschutzes auf alle Jugendlichen unter 21 Jahren den flexiblen Einsatz von jungen Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmern, die keine Auszubildenden sind, verhindere. Auch dieser Einwand hält einer Prüfung nicht stand. Schließlich können zentrale Abweichungstatbestände über Tarifverträge mit den Gewerkschaften geregelt werden. Dann müssten sich Verbände wie die DEHOGA auf ihre eigentlichen Aufgaben zurückziehen. Sie müssten dann nicht mehr ihre Energie und die Beiträge ihrer Mitglieder für die Initiierung solcher Gesetzesinitiativen verschwenden, sondern konstruktive Tarifverträge aushandeln.
(Beifall bei der LINKEN)
Dann müsste der DEHOGA nicht länger mit der Peinlichkeit leben, dass wie im November 2006 während des Verbandstages draußen die Arbeitnehmer gegen Armutslöhne protestieren und drinnen die Bosse mit den Herren Westerwelle, Glos, Kuhn und Müntefering bei Schnittchen und Sekt schwatzen.
(Beifall bei der LINKEN - Dr. Guido Westerwelle (FDP): Ich trinke tagsüber keinen Alkohol! Das ist Verleumdung! Willi Brase (SPD): War Lafontaine auch dabei?)
Zu guter Letzt werden wir sicher auch noch mit der neuen Einsicht beglückt, die Jugendlichen wollten ja eigentlich länger arbeiten, wenn sie das Gesetz nur ließe. Das ist von allen Argumentationen die zynischste; dabei missbraucht man die Ängste der Jugendlichen um ihren Ausbildungs- oder Arbeitsplatz, um den Abbau ihrer wichtigsten Schutzrechte zu ermöglichen.
(Beifall bei der LINKEN)
Ich fasse zusammen: Die Gesetzesinitiative der FDP lehnen wir als inhumanen Angriff auf die Schutzrechte von Jugendlichen ab.
(Dirk Niebel (FDP): Warum sagen Sie nicht gleich: völkerrechtswidrig?)
Den Plänen der Länder und des Bundes zur weiteren Aushöhlung des Jugendarbeitsschutzes werden wir unseren entschiedenen Widerstand entgegensetzen. Nach unserer Überzeugung gehört eine Ausweitung des gesetzlichen Jugendarbeitsschutzes auf die politische Tagesordnung. Die heute von uns vorgeschlagene Ausweitung des Schutzbereichs auf das 21. Lebensjahr kann hier nur der Anfang sein.
(Wolfgang Grotthaus (SPD): Bis 35! - Dr. Heinrich L. Kolb (FDP): Bis 65!)
Unsere Fraktion wird noch 2007 einen umfassenden Vorschlag für die Reform des Jugendarbeitsschutzgesetzes vorlegen. Wir werden vorher mit den Betroffenen - mit Jugendvertretern, Gewerkschaften und Jugendverbänden - darüber diskutieren; deren Stimme ist uns nämlich wichtig, anscheinend wichtiger als manch anderem in diesem Hause.
(Dr. Guido Westerwelle (FDP): Da ist absolut etwas dran!)
Vielen Dank.
(Beifall bei der LINKEN - Dr. Guido Westerwelle (FDP): Arbeiten ab 40 und Rente mit 50!)