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Jörn Wunderlich: Änderungen im Gesetzentwurf – leider ein Rückschritt

Rede von Jörn Wunderlich,

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! „Wohlwollende Beratung“, Herr Staatssekretär? Als ich den Referentenentwurf und den Gesetzentwurf das erste Mal auf den Tisch bekommen habe, habe ich mich zunächst gefreut,

(Renate Künast [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das kann nicht lange gewesen sein!)

steht doch dort in der Problembeschreibung – ich zitiere jetzt einmal –:

"Diese ... anspruchsvolle Aufgabe wird für die Strafgerichte in der täglichen Praxis noch dadurch erschwert, dass sie sich einer dauerhaft hohen Arbeitsbelastung ausgesetzt sehen ..."

Und:

"Der Staat ist ... von Verfassungs wegen gehalten, eine funktionstüchtige Strafrechtspflege zu gewährleisten, ohne die der Gerechtigkeit nicht zum Durchbuch verholfen werden kann."

Starke Worte, habe ich gedacht. Und: Jau, endlich hat es sich bis zur Regierung herumgesprochen, dass die Justiz personell unterbesetzt ist. Ich bin ja selbst Richter und weiß, wie die Arbeitsbelastung schon vor Jahren war. Nach Auskunft meiner Kollegen ist die Situation auch nicht besser, sondern schlechter geworden.

Jetzt geht es los, dachte ich. Aber dann fiel mir wieder der Föderalismus ein. Ich weiß ja auch, dass die Justiz Ländersache ist.

(Dr. Patrick Sensburg [CDU/CSU]: Immerhin!)

„Hei, wer hat denn da gehudelt?“, habe ich gedacht. Und: Wie will die Bundesregierung das denn regeln? Zwei Sätze weiter wurde ich dann aufgeklärt. Denn man beabsichtigt – Zitat –,

"… das bestehende Regelungsgefüge unter Wahrung der genannten Ziele des Strafverfahrens an die sich ändernden Rahmenbedingungen anzupassen."

Anders ausgedrückt: Man möchte versuchen, die Sache mit dem vorhandenen – zu wenigen – Personal doch noch einigermaßen zu regeln, damit, wie schon zitiert, der Gerechtigkeit zum Durchbruch verholfen werden kann.

(Hans-Christian Ströbele [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Genau!)

Im Vergleich zum Referentenentwurf, der sich stark auf die Stärkung der Beschuldigtenrechte konzentrierte, wurde der vorliegende Gesetzentwurf deutlich reduziert. So ist beispielsweise die Möglichkeit des Beschuldigten, einen Pflichtverteidiger zu beantragen, nicht mehr enthalten. Die erste Vernehmung des Beschuldigten kann unabhängig vom Tatvorwurf in Bild und Ton aufgezeichnet und später in der Hauptverhandlung vorgeführt werden. Bislang ging dies nur bei richterlichen Protokollen. Nun kennt man ja aus diversen Krimis – aus dem Tatort und was weiß ich, wie sie alle heißen – polizeiliche Vernehmungen. Wenn ich mir vorstelle, dass so etwas in echt passiert und aufgezeichnet wird, muss ich sagen: Ich möchte mir das nicht vorstellen. Kopfkino ist ganz schrecklich.

Entfallen ist auch das ursprünglich vorgesehene Verbot der Überwachung von Anbahnungsgesprächen zwischen inhaftierten Mandanten und Verteidigern. Warum?

Auch war zuvor vorgesehen, bei umfangreichen Verfahren die Termine mit der Verteidigung, der Staatsanwaltschaft und den Nebenklagevertretern zu erörtern – Sie haben es erwähnt, Herr Staatssekretär –, wobei mit „umfangreich“ gemeint war: mehr als drei Termine. Inzwischen ist dies nur noch ab mehr als zehn Terminen erforderlich. Das Recht des Verteidigers, eine Erklärung zur Anklage abzugeben, wurde ebenfalls auf entsprechend lange Verfahren reduziert. Gut, ob drei oder zehn Tage, darüber kann man streiten.

Ziel dieser Regelung soll ja unter anderem sein, spätere Streitigkeiten in der Hauptverhandlung zu vermeiden oder ihnen vorzubeugen. Späteren Streitigkeiten in der Hauptverhandlung vorbeugen? Hallo? Streitigkeiten in der Hauptverhandlung sind ja etwas ganz Neues. Ich selbst war über zwölf Jahre Strafrichter. Ich dachte, Staatsanwalt und Verteidiger sind immer einer Meinung, haben sich lieb, und am Ende muss man gar kein Urteil sprechen, sondern einen Vergleich herbeiführen.

(Dr. Patrick Sensburg [CDU/CSU]: Darüber sollten Sie noch mal nachdenken!)

– Für diejenigen, die es nicht verstanden haben: Das war Sarkasmus.

(Dr. Patrick Sensburg [CDU/CSU]: Aha!)

– Ich habe mir zwar gedacht, dass einige das nicht verstehen, aber eigentlich dachte ich, bei der SPD; aber gut.

Leider macht der Regierungsentwurf die guten Vorschläge, die im Referentenentwurf enthalten waren, rückgängig. Dagegen bleiben kritikwürdige Regelungen weiter enthalten. Typisch! Dass DNA-Ergebnisse künftig auch gegen Verwandte verwendet werden können, scheint jedenfalls problematisch. Ich sehe auch die Erfolgsaussichten von DNA-Reihenuntersuchungen stark infrage gestellt. Bislang gab es immer den Druck: Wenn ich mich weigere, dann gerate ich selber in Verdacht. Aber jetzt kann man sagen: Wenn ich mitmache, kann die ganze Verwandtschaft in Verdacht geraten. Ob Erfolg dann tatsächlich noch garantiert ist, bezweifle ich wirklich.

Die geltende Frist zur Stellung von Beweisanträgen schränkt ebenfalls die Möglichkeiten der Verteidigung ein. Ebenso ist die vorbehaltlos erweiterte Möglichkeit zur Verlesung ärztlicher Atteste zumindest zu hinterfragen.

Na ja, es folgen ja die, wie Sie schon sagten, guten Beratungen. Schauen wir einmal, was wir in den Beratungen noch retten können. Auf alle Fälle wäre, um eine funktionsfähige Strafrechtspflege zu gewährleisten, deutlich mehr Personal erforderlich, um der Gerechtigkeit endlich zum Durchbuch zu verhelfen. Zeit dafür wird es allemal.

Danke schön.

(Beifall bei der LINKEN)