Herr Kollege Kaster, Sie haben hier wörtlich gesagt, Gregor Gysi habe junge Menschen ans Messer geliefert.
(Manfred Grund (CDU/CSU): Das hat er nicht gesagt! - Wolfgang Wieland (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Ach!)
Ich fordere Sie auf, diesen ungeheuren Vorwurf zurückzunehmen.
(Beifall bei der LINKEN)
Das ist nicht die Art und Weise, wie wir in einem Parlament miteinander umgehen sollten. Das ist ungeheuerlich. Das können Sie nicht beweisen. Das nehmen Sie bitte im Namen der politischen Kultur zurück.
(Beifall bei der LINKEN)
Zuerst habe ich heute gedacht, ich lese nicht richtig. Wann läuft die Regelung des im Jahre 2006 novellierten Stasi-Unterlagen-Gesetzes aus, führende Beamte und Angestellte im öffentlichen Dienst, kommunale Wahlbeamte, ehrenamtliche Richter, Sportfunktionäre, Intendanten usw. usw. auf eine eventuelle Stasi-Vergangenheit zu überprüfen? Ende Januar 2010? In einem halben Jahr? Ende 2010? Weit gefehlt. Sie läuft 2011 aus, also in 23 Monaten. Deswegen müssen wir uns heute in einer Aktuellen Stunde mit diesem Thema befassen. Ich muss Ihnen ehrlich sagen: Das nenne ich eine Phantomdebatte, eine Gespensterdebatte.
(Beifall bei der LINKEN - Wolfgang Börnsen (Bönstrup) (CDU/CSU): So etwas ist nicht zum Lachen! Das ist eine Verhöhnung der Opfer! - Zuruf von der FDP: Pfui!)
In Wirklichkeit geht es Ihnen doch gar nicht um eine Gesetzesnovellierung; denn Sie haben ja keinen Antrag oder sonst etwas eingebracht; Sie hantieren nur mit ein paar Zeitungsmitteilungen. Es geht Ihnen um etwas ganz anderes: Es geht Ihnen um eine Debatte über Brandenburg, wo die SPD mit der Linken regiert, was Ihnen nicht gefällt, und es geht Ihnen um uns, Die Linke, insgesamt.
(Beifall bei der LINKEN Zuruf von der FDP: Das stimmt!)
Dann sagen Sie das doch endlich! Dann führen wir eine Debatte über die Linke und über Brandenburg, aber nicht eine Debatte über die Änderung eines Gesetzes, die erst in 23 Monaten auf der Tagesordnung steht. Das ist kein Thema für eine Aktuelle Stunde.
(Zuruf von der FDP: Das ist leider immer aktuell!)
Wir können gern über die Brandenburger Fälle von Stasi-Verstrickungen reden. Diese Fälle haben uns Linke schwer getroffen. Kennen Sie den Beschluss unserer Partei aus dem Jahre 1991? Wer für ein Amt kandidiert, muss offenlegen, ob es Stasi-Zusammenarbeit gab und welcher Art sie war. Thomas Nord zum Beispiel hat dies seit Jahren so gehalten: Er führt die Tatsache in seinem Flyer auf, den er in einer Auflage von 30 000 Exemplaren hat drucken lassen. Jeder, der ihn gewählt hat, wusste Bescheid. Thomas Nord wurde übrigens direkt gewählt; aber das nur nebenbei.
(Beifall bei der LINKEN)
Im Fall von Gerd-Rüdiger Hoffmann wussten die Wähler nicht Bescheid und die Partei Die Linke und die Fraktion im Landtag auch nicht. Gerd-Rüdiger Hoffmann wurde aus der Fraktion ausgeschlossen.
Wenn die Wahrheit jahrelang verschwiegen wird, hat das meiner Meinung nach nichts mit Überprüfungsregelungen zu tun, sondern mit Ängsten und mit der Verbreitung von Ängsten. Wenn wir Offenheit wollen und die wollen wir , müssen wir uns mit der Vergangenheit differenziert auseinandersetzen.
(Beifall bei der LINKEN)
Das ist aber etwas ganz anderes als die Diskussion, die Sie führen, und Ihr Vorstoß heute. Was wird heute hier gefordert? Die Überprüfung von Mitarbeitern im öffentlichen Dienst bis 2016 fortzusetzen,
(Zuruf von der FDP: Mindestens!)
mit der Option auf eine weitere Verlängerung. Das wären dann 25 Jahre Überprüfung oder noch länger.
Ich frage Sie: Soll es nie eine Verjährung für Stasi-Verstrickungen geben?
(Zuruf von der FDP: Am besten wäre das so!)
Zum Rechtsstaat gehört der Rechtsgedanke der Verjährung, im Strafrecht wie im Zivilrecht.
(Beifall bei der LINKEN Zuruf von der FDP: Mord verjährt nicht!)
Die Zeit spielt bei Fragen der Schuld eine entscheidende Rolle. Selbst die Tatbestände der gefährlichen Körperverletzung oder der schweren Freiheitsberaubung verjähren nach zehn Jahren. Bei schwerer Vergewaltigung ist die Tat ebenfalls nach zehn Jahren verjährt, und das darf bei der Einstellung in den öffentlichen Dienst nicht einmal geprüft oder ermittelt werden. Auch dort gibt es immer Betroffene, die diese Verjährung nicht verstehen. Der Rechtsstaat hat sie dennoch beschlossen.
Wissen Sie von der FDP eigentlich, was Burkhard Hirsch 1991 gesagt hat, nachdem beschlossen worden war, dass 15 Jahre lang überprüft werden soll? Ich zitiere:
Ich sage Ihnen, dass es ganz und gar unserer Rechtstradition widerspricht, einem Täter über einen so langen Zeitraum hinweg eine Tat … nachzuhalten: 15 Jahre! Wenn ich Zweifel am Gesetz habe, dann an diesem Teil, der einen Zug der Erbarmungslosigkeit hat und nicht die Kraft findet, zu sagen, dass in fünf oder sechs Jahren, jedenfalls in diesem Jahrhundert, die allgemeine Durchleuchtung der Vergangenheit endet …
Das war vor 19 Jahren, und das war die Stimme eines hochangesehenen FDP-Abgeordneten. Dem ist nichts hinzuzufügen.
(Beifall bei der LINKEN Gisela Piltz (FDP): Auch er irrt sich manchmal!)
Jetzt kommt unser Kredo als Linke, das wir das wird ja immer gefordert wie ein Mantra vor uns her tragen sollen: Ja, wir sind für die Aufarbeitung der DDR-Vergangenheit, und zwar je vertiefter und differenzierter, desto besser; aber wir sagen Nein zu weiteren Überprüfungsfristen für den öffentlichen Dienst. Wir haben schon die Verlängerung der Überprüfungsfristen über 2006 hinaus abgelehnt, weil wir dadurch das Prinzip der Verhältnismäßigkeit verletzt sehen. Für eine Verlängerung bis 2016 oder über 2016 hinaus gilt das erst recht.
Ich danke Ihnen.
(Anhaltender Beifall bei der LINKEN)