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Herstellung der institutionellen Unabhängigkeit der Justiz

Rede von Jens Petermann,

217. Sitzung des Deutschen Bundestages, 17. Januar 2012
TOP 32 a
Entwurf eines Gesetzes zur Änderung der Grundgesetzes – Herstellung der institutionellen Unabhängigkeit der Justiz
und Top 32 b
Entwurf eines Gesetzes zur Herstellung der institutionellen Unabhängigkeit der Justiz
Drucksachen 17/11701 und 17/11703
Jens Petermann für die
Fraktion DIE LINKE - Rede zu Protokoll

Sehr geehrte(r) Herr/Frau Präsident(in), Frau Ministerin, meine sehr verehrten Damen und Herren,
mit den Gesetzentwürfen zur Herstellung der institutionellen Unabhängigkeit der Justiz hat nun endlich ein Thema den Bundestag erreicht, das auf europäischer Ebene seit vielen Jahren auf der Tagesordnung steht. EU-Beitrittskandidaten müssen eine personell und institutionell unabhängige Justiz vorweisen. Das wäre für Deutschland ein Problem: Würde die Bundesrepublik heute einen Antrag auf Aufnahme in die Europäische Union stellen, müsste Brüssel die Aufnahme verweigern. Grund dafür ist unser Justizsystem, das aus dem 19. Jahrhundert stammt und den heutigen Anforderungen der Europäischen Union an eine unabhängige rechtsprechende Gewalt nicht mehr gerecht wird. Die Parlamentarische Versammlung des Europarates, in der unsere heutige Justizministerin Leutheusser-Schnarrenberger einst als Berichterstatterin agierte, hat am 30. September 2009 explizit von der Bundesrepublik Deutschland gefordert:
1. zur Sicherung der Unabhängigkeit der Justiz in der Zukunft ein System der gerichtlichen Selbstverwaltung unter Berücksichtigung der föderalen Struktur der deutschen Justiz einzurichten, und zwar nach dem Vorbild der bestehenden Justizräte in der überwiegenden Mehrheit der europäischen Staaten;
2. schrittweise die Gehälter von Richtern und Staatsanwälten sowie die zur Verfügung stehenden Mittel für Prozesskostenhilfe zu erhöhen;
3. die Möglichkeit der Minister der Justiz für die Strafverfolgung Anweisungen in einzelnen Fällen zu geben, abzuschaffen.
Nach mehr als drei Jahren muss sich die Bundesregierung fragen lassen, welche dieser Forderungen erfüllt wurde? Die Antwort lautet: keine, stattdessen sollen die Ansprüche auf Prozesskostenhilfe erschwert und gekürzt werden. In einer Antwort auf eine kleine Anfrage aus dem Jahre 2010 macht das Justizministerium im Hinblick auf die notwendige Änderung des Grundgesetzes deutlich, dass es nicht gewillt ist, die Forderungen des Europarates umzusetzen. Die Linksfraktion hat sich des Themas angenommen und zeigt, dass eine Umsetzung der Forderung möglich ist.
Gemäß Artikel 97 Absatz 1 Grundgesetz sind die Richterinnen und Richter „unabhängig und nur dem Gesetz unterworfen“. Bekanntermaßen ist damit die richterliche Unabhängigkeit gemeint. Der preußische Justizminister Leonhardt hatte einst zur Unabhängigkeit der Richter zutreffend bemerkt: „Solange ich über die Beförderung bestimme, bin ich gerne bereit, den Richtern ihre sogenannte Unabhängigkeit zu konzedieren.“ Das Zitat aus dem 19. Jahrhundert ist auch heute noch zutreffend und geeignet, die herrschenden Zustände zu beschreiben. An der Stellung der Richterinnen und Richter sowie Staatsanwältinnen und Staatsanwälte hat sich seither kaum etwas geändert. Auch heute hat die Politik die Justiz fest im Griff. Das geben die Entscheidungsträger in der Justiz natürlich nicht zu. Durch das Leugnen dieses Einflusses, funktioniert dieses System seit Jahrzehnten fast reibungslos. Und es sind nicht nur die hohen Justizämter, die nach Parteiproporz vergeben werden. Schon bei den Einstellungen und Beförderungen kann die Parteizugehörigkeit des Kandidaten unter Umständen eine entscheidende Rolle spielen. Nach meinem Verständnis ist damit bereits frühzeitig eine Beeinträchtigung der Unabhängigkeit möglich und findet auch statt.
Es werden zum Beispiel Vorgaben gemacht, nach denen die richterliche Arbeit durch die Gerichtspräsidenten zu bewerten ist. Auf Grund dieser Beurteilungen werden dann die Beförderungsstellen vergeben. Es ist nicht vorstellbar, dass Fachwissen, Denk- und Urteilsvermögen, Verhandlungsgeschick, Kooperationsbereitschaft oder Arbeitseinstellung bemessen werden, ohne gleichzeitig Aussagen über den Umgang mit dem „unabhängigen Amt“ zu treffen. Insofern ist es für die eigene Karriere dienlich, die Rechtsauffassung des Gerichtspräsidenten zu teilen. In der Folge kommt es dazu, dass sich die Fallbearbeitung auch an der Karrierenützlichkeit orientiert. Natürlich wird diese Tatsache von den entscheidungsbefugten Personen in den Gerichten bestritten.
Man hört indes immer wieder, die Justiz sei, trotz ihrer Abhängigkeit von der Exekutive, leistungsfähig. Das stimmt nur bedingt und liegt ausschließlich an dem hohen Einsatz der Richterinnen, Richter, Staatsanwältinnen, Staatsanwälte, Rechtspflegerinnen, Rechtspfleger sowie der Angestellten. Personell sowieso chronisch unterbesetzt, sind die meisten Gerichte auf dem baulichen und technischen Stand der 70er Jahre steckengeblieben. Dafür sind derzeit die Justizministerien zuständig, deren vornehmste Aufgabe es sein müsste, gegenüber der Legislative die hohe Bedeutung der dritten Gewalt auch über die Höhe des geforderten Budgets zu verdeutlichen. Doch hier lässt die Leidenschaft in manchen ministeriellen Amtsstuben all zu oft zu wünschen übrig. Negativbespiele gibt es en masse, wie die damalige Diskussion um die Auflösung des Bayerischen Obersten Landgerichts durch Herrn Stoiber, um Tatkraft und Sparsamkeit der neuen Landesregierung zu demonstrieren oder aber das Oberlandesgericht Koblenz in Rheinland-Pfalz, welches aufgelöst werden sollte, weil die Landesregierung ihren Wunschkandidaten für den Präsidentenposten nicht durchsetzen konnte und nun dem Gericht gezeigt werden sollte, dass es nur eine nachgeordnete Behörde sei und die Landesregierung doch am längeren Hebel säße. Ein besonders negatives Beispiel liefert Hessen ab, wo der derzeitige FDP-Justizminister die hessischen Richterinnen und Richter um Verständnis für Einsparungen bittet. Dabei geht es um Stellenabbau und Gerichtsschließungen. Und das obwohl die Justizhaushalte zu den kleinsten in Bund und Ländern gehören und bei hoher Deckungsquote (mindestens 30 Prozent) mit ein bis drei Prozent einen geringen Teil des Gesamthaushaltes ausmachen. Für eine Haushaltskonsolidierung ist diese Spielwiese der Finanzminister wirklich ungeeignet. Vor diesem Hintergrund ist es umso wichtiger, dass die selbstverwaltete Richterschaft ein eigenes Budget entwirft und dieses direkt mit dem Parlament verhandelt, den Ministern fehlt dazu in der Regel die unmittelbare Erfahrung.
Durch den Einfluss der Exekutive auf die rechtssprechende Gewalt wird der Gewaltenteilungsgrundsatz des Artikel 20 Absatz 2 Grundgesetz ad absurdum geführt. Artikel 92 Grundgesetz konkretisiert für die Judikative, dass die rechtsprechende Gewalt den Richtern anvertraut ist. Diese Verfassungsnormen sollen Machtkonzentration und Machtmissbrauch verhindern. Deshalb darf der, der Gesetze schafft nicht mit ihrer Durchsetzung betraut sein. Wer Gesetze ausführt, ist ein schlechter Schiedsrichter, wenn es um ihre richtige Anwendung geht. Und das ist auch der Grund, warum wir Legislative, Exekutive und Judikative unterscheiden. Dazu passt es eben nicht, wenn die Exekutive bestimmt, wem in der Judikative die Rechtsprechung übertragen wird, wer dort Karriere macht, wie viel Personal für wie viele Eingangszahlen erforderlich ist, welche technische Ausstattung und welchen baulichen Zustand die Gerichtsgebäude haben.
Unsere Kritik richtet sich nicht an die einzelnen Justizminister, die nun langsam erkennen sollten, dass das obrigkeitsstaatliche Modell der Justizverwaltung ein alter Zopf ist, der abgeschnitten gehört. Sie sind nur ein kleines Zahnrad im großen Getriebe. Meine Kritik richtet sich an politische Positionen, die krampfhaft an einem System festhalten, das mittlerweile 135 Jahre weitgehend unverändert als letzte Trutzburg des spätfeudalen Deutschen Kaiserreichs fortbesteht. Die Reformforderungen auch aus den Richterverbänden sind unüberhörbar. Die Zeit für eine gemeinsame Diskussion ist überreif.
Mit den vorgelegten Gesetzentwürfen lade ich Sie, verehrte Kolleginnen und Kollegen, herzlich dazu ein.