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Heike Hänsel: Deeskalation statt weitere Eskalation um Ukraine

Rede von Heike Hänsel,

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Kollegen und Kolleginnen! Die Kriegsgefahr in der Ukraine wächst tatsächlich, und die Linke setzt sich dafür ein, dass sich sowohl ukrainische als auch russische Truppen zurückziehen und wir zur Deeskalation zurückkommen.

(Beifall bei der LINKEN)

Wer sich aber die Äußerungen der Bundesregierung anhört und auch – das muss ich sagen – Ihre Rede, Herr Roth, der fühlt sich doch eigentlich unwillkürlich an das Bibelwort erinnert: Warum siehst du den Splitter im Auge deines Bruders, aber den Balken in deinem Auge bemerkst du nicht?

(Frank Steffel [CDU/CSU]: Die Bibel lassen Sie bitte weg in diesem Zusammenhang!)

Wenn man so einseitig, Herr Roth, den russischen Aufmarsch kritisiert, dann muss man sich doch auch mal einige andere Fragen stellen, zum Beispiel wie das größte US-Manöver seit Jahrzehnten in Osteuropa, Defender Europe 21, das jetzt aktuell mit NATO-Unterstützung stattfindet, mit 30 000 Soldaten, an dem auch die Bundeswehr und ukrainische Soldaten sich beteiligen, in Russland wahrgenommen wird. Wie wird es wahrgenommen, wenn Deutschland durch das Trainieren schneller US-Truppenverlegung von der West- an die Ostflanke der NATO Krieg übt gegen Russland? Wie wird die NATO-Reforminitiative 2030 aufgenommen, die Russland als die größte militärische Bedrohung für die NATO beschreibt? Und wie wird der NATO-Aufmarsch im Schwarzen Meer wahrgenommen, der jetzt durch britische Kriegsschiffe noch verstärkt werden soll? Wie wird die Aufrüstung der Ukraine durch die USA und durch Erdogan mit Kampfdrohnen wahrgenommen und wie das Dekret des ukrainischen Präsidenten Selenskyj vom 24. März, die Krim und die Ostukraine militärisch zurückerobern zu wollen, wie seine Forderung nach einem schnellen NATO-Beitritt als direkter Nachbar Russlands? Wie wird all das aufgenommen? Wie werden die Äußerungen des ukrainischen Botschafters in Deutschland aufgenommen, sich unter Bruch des Atomwaffensperrvertrags Atomwaffen besorgen zu wollen? Und wie wird das Dekret der Ukraine von Anfang des Jahres aufgenommen, das den Gebrauch der russischen Sprache im öffentlichen Raum, zum Beispiel auch in Geschäften, zurückdrängen soll, und wie die Maßgabe der ukrainischen Regierung, sich nicht mehr an das Minsker Abkommen zu halten und die Rechte der Minderheiten in der Ukraine weiter beschneiden zu wollen?

Wer über all diese Fragen nicht reden will, der kann auch nicht glaubwürdig die russische Seite auffordern, zu deeskalieren.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der AfD – Frank Steffel [CDU/CSU]: Wer ist denn wo einmarschiert?)

Entspannungspolitik kann nur gelingen, wenn Sicherheitsinteressen, die auf beiden Seiten bestehen, auch gegenseitig anerkannt werden. Angesichts der globalen Herausforderung der Pandemie, aber auch des Klimaschutzes – und da ist der heutige Gipfel ja ein positives Beispiel – können wir uns keinen neuen kalten Krieg leisten. Der Feind heißt doch nicht Russland, sondern Corona.

(Beifall bei der LINKEN – Alexander Graf Lambsdorff [FDP]: Da fallen einem schon keine Zwischenrufe mehr ein, so absurd ist das!)

Wir müssen doch jetzt alles darauf konzentrieren, dass es eine Truppenentflechtung gibt und eine Rückkehr sowohl der russischen als auch ukrainischen Truppen in die Kaserne. Da ist es ein Hoffnungsschimmer, dass an diesem Montag der Waffenstillstand in der Ukraine vom Normandie-Format bekräftigt wurde. Wir begrüßen ausdrücklich den Vorschlag des ukrainischen Präsidenten Selenskyj für ein bilaterales Treffen mit dem russischen Präsidenten Wladimir Putin. Warum unterstützen und befördern wir diese Angebote nicht stärker?

(Beifall bei der LINKEN)

Reden statt drohen, das muss doch unser gemeinsames Interesse sein.

Hier sehen wir leider viel zu wenig bilaterale Initiativen der Bundesregierung. Stattdessen wird wieder neuen Sanktionen das Wort geredet; ganz vorne dabei neben der Union leider auch die Grünen. Und es gibt dann für immer neue Sanktionen immer neue Begründungen. Das ist doch keine Kunst der Konfliktlösung; das ist immer nur Eskalation. Man stelle sich nur einmal vor, wir würden so gegenüber den USA Politik machen. Dann müssten wir sofort Sanktionen wegen des Weiterbetriebs des US-Folterlagers in Guantánamo verhängen.

(Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]: Richtig so!)

Und wir müssten mit Blick auf den strukturellen Rassismus staatlicher Institutionen in den USA umgehend Strafmaßnahmen gegen einzelne Personen dort verhängen.

(Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]: Das will der Roth nicht hören!)

Warum können wir uns gegenüber Russland nicht einmal von der Logik der Konfrontation verabschieden?

Meine Fraktion hat vorgeschlagen, anlässlich des 80. Jahrestags des Überfalls der deutschen Wehrmacht auf die Sowjetunion am 22. Juni endlich, wie mit Frankreich, einen Freundschaftsvertrag mit Russland zur historischen Aussöhnung abzuschließen, zum Beispiel, um den Jugendaustausch, Städtepartnerschaften und wirtschaftliche Kooperationen zu verstärken und für ein System beidseitiger Sicherheit in Europa den vertraglichen Boden neu zu bereiten. Die historische Aufgabe der Aussöhnung mit der russischen Föderation und mit anderen ehemaligen Sowjetrepubliken steht noch aus. Es wäre ein gravierendes Versagen in der Geschichte, wenn die Bundesregierung sich dieser Aufgabe verweigert.

Danke.

(Beifall bei der LINKEN – Frank Steffel [CDU/CSU]: Ich würde gern ihre Nebeneinkünfte sehen! – Dr. Alexander S. Neu [DIE LINKE]: Das ist die andere Seite der Wahrheit!)