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Heidrun Bluhm-Förster: Osten ohne Lobby in der Bundesregierung

Rede von Heidrun Bluhm-Förster,

Sehr geehrter Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Es gibt so einige Punkte, die mich mit Blick auf die Politik des Ministeriums für Wirtschaft und Energie immer noch in Erstaunen versetzen können.

Erstens hatten Sie, Herr Minister, offenbar Glück, dass Ihr Etatentwurf durch die Ausschüttung des sogenannten Klimakabinetts noch richtig nachgebessert werden konnte und jetzt, wie Herr Mattfeldt bereits gesagt hat, circa 9 Milliarden Euro beträgt.

Zweitens blieb Ihre Schwerpunktsetzung auf Digitalisierung und künstliche Intelligenz weiterhin positiv in der öffentlichen Debatte, obwohl die veranschlagten Haushaltspositionen deutlich hinter den Anforderungen der Wirtschaft zurückbleiben.

Drittens war es dem Wirtschaftsministerium gelungen, die Begleitung der Regierungskommission „Gleichwertige Lebensverhältnisse“ so zu kommunizieren, als würde wirklich etwas für die strukturschwachen Regionen, die ländlichen Räume und den Osten getan werden.

Das Gegenteil ist allerdings der Fall, und das will ich heute in meinem Redebeitrag noch einmal besprechen. Wie wir wissen, gibt es in Ihrem Hause, Herr Minister, einen Beauftragten für die neuen Bundesländer, der ja im 30. Jahr der deutschen Einheit nicht mehr so neu ist und bei dem sich viele Menschen mittlerweile fragen: Was macht der eigentlich den ganzen Tag? Das frage ich mich auch. Dieser Beauftragte, Herr Hirte, wurde am 25. September 2019 auf „Spiegel Online“ mit der Überschrift zitiert: „Der Zustand im Osten ist viel besser, als wir uns das alle vorgestellt hätten.“

(Lachen bei der LINKEN – Andreas Mattfeldt [CDU/CSU]: Hat er recht!)

Ich lasse an dieser Stelle einmal beiseite, wer „wir“ sein soll und was „wir“ uns alle vorgestellt haben sollen. Man kann natürlich auch weiterhin Kollektivbeschimpfung betreiben. Herr Hirte sagt nämlich in diesem Artikel weiter, die – von ihm offenbar lediglich gefühlte – Benachteiligung des Ostens liege daran, „dass die Ostdeutschen das Pech hatten, 40 Jahre auf der falschen Seite der Geschichte gestanden zu haben“. Das soll heißen: Nun meckert nicht so viel im Osten, wir geben uns Mühe, und gerade jetzt, wo wir ab 2021 den Soli streichen wollen, erst recht.

Schauen wir einmal auf Tatsachen. Wem gehört der Osten? Ich sage: Der Osten gehört dem Westen. Es begann Anfang der 90er-Jahre mit der verheerenden Lösung: „Rückgabe vor Entschädigung“. Bis heute wird der Ausverkauf des Ostens als angeblich selbstgemachte Strukturschwäche kleingeredet. Die Privatisierung kommunaler Aufgaben, wie Krankenhäuser, Wasser- und Abwasserbetriebe, tat ihr Übriges. Natürlich gehören diese Bereiche heute oft Westkonzernen oder internationalen Fonds.

Wohnungen mussten privatisiert werden, um Altschuldenhilfe zu bekommen oder kommunale Haushalte zu sanieren. Da hat nur selten ein Ostdeutscher zuschlagen können.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Mindestens 300 sich im Regionalmarkt Ost selbst tragende Firmen haben ihren Stammsitz im Westen. Die Bodenspekulation westdeutscher und internationaler Investmentfonds auf ostdeutschem Grund und Boden blüht weiterhin ungebrochen. Im „manager magazin“, und zwar sinnigerweise in der Onlineausgabe vom 3. Oktober 2019, wird aufgezählt, dass unter den 25 größten Unternehmen in Ostdeutschland ganze zwei mit ostdeutschem kommunalen Versorgungsauftrag als originär ostdeutsch angesehen werden können, der Rest aber von Konzernzentralen in Westdeutschland oder aus dem Ausland gelenkt wird.

"„Woran es in den neuen Ländern mangelt, sind große Unternehmen mit strategischen Unternehmensfunktionen, also vor allem mit Forschung und Entwicklung“, heißt es in einer Analyse des Leibniz-Instituts für Wirtschaftsforschung Halle (IWH). Solche Funktionen seien zumeist in Konzernzentralen angesiedelt – „es gibt aber in Ostdeutschland kaum Konzernzentralen“."

Beispiele dafür sind die Jenoptik AG, Rotkäppchen-Mumm oder die Lintec AG.

"Tatsächlich finden sich"

– so das Blatt weiter -

"im Ranking ... über die 500 umsatzstärksten Unternehmen Deutschlands ohne Berlin nur 16 aus den fünf Ost-Ländern. ... Sachsen kommt auf acht Einträge. Zum Vergleich: Baden-Württemberg ist ganze 70-mal vertreten. Vor der deutschen Teilung waren beide Länder … gleich stark."

Die Linke fordert in ihrer Wirtschaftspolitik seit Langem: ernsthafte Strukturanpassung durch Schaffung von Rahmenbedingungen für eine sich selbst tragende Wertschöpfung,

(Beifall bei der LINKEN)

Gleichstellung der Löhne, Tarifabschlüsse und Renten, Wiederherstellung einer eigenständigen funktionierenden kommunalen Infrastruktur und vor allem die Gleichbehandlung von Ost und West in der Besetzung von Führungspositionen.

(Beifall bei der LINKEN)

Stattdessen gehen wieder zwei neu zu gründende Institute nach Geesthacht und Oldenburg, angeblich weil es dafür im Osten keine Basis gibt – sie ist wegrationalisiert worden.

(Andreas Mattfeldt [CDU/CSU]: Der Osten hat so viele Institute gekriegt!)

Die Fraktion Die Linke muss feststellen, dass der Haushalt des Wirtschaftsministeriums bezüglich der Strukturpolitik in den strukturschwachen Regionen enttäuschend ist. Daher werden wir unsere Zustimmung heute nicht geben können.

Danke schön.

(Beifall bei der LINKEN – Zurufe von der CDU/CSU: Oh!)