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Haushaltsplan Gesundheit 2007

Rede von Frank Spieth,

Der gesundheitspolitische Sprecher der Fraktion DIE LINKE. zum Bundeshaushalt 2007

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Das Wort hat der Kollege Frank Spieth, Fraktion Die Linke.

(Beifall bei der LINKEN)

Frank Spieth (DIE LINKE):
Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Kollege Schurer, es ist immer wieder erfreulich, Ihnen als Haushälter beim Thema Gesundheitspolitik zu lauschen. Ich frage mich nur, ob das, was Sie hier in vielen Passagen richtigerweise sagen, auch in Übereinstimmung zu bringen ist mit dem, was Ihr Koalitionspartner zur Gesundheitsreform gerade am Beispiel des Morbiditäts-, also des krankheitsorientierten Risikostrukturausgleichs gesagt hat. Ich stelle dort ganz erhebliche Differenzen fest und verstehe insofern Ihre Dankesarie am Ende Ihrer Rede nicht. Die Ausführungen widersprechen ein ganzes Stück dem, was in dem GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz niedergeschrieben ist, und geben eher zu nachhaltigem Stirnrunzeln Anlass als zu Dankesreden an Ihren Koalitionspartner. Aber ich stelle anheim: Es ist Ihr gutes Recht, dies hier zu tun.

Meine Damen und Herren, die Bundesregierung hat mit der Koalitionsvereinbarung vom 11. November 2005 ein ausdrückliches Bekenntnis zur Sicherung einer nachhaltigen Finanzierung der gesetzlichen Krankenversicherung abgegeben. In dem uns vorliegenden Entwurf zum Bundeshaushaltsplan für das Haushaltsjahr 2007 und im Finanzplan des Bundes für die Jahre 2006 bis 2010 suche ich dazu vergebens die entsprechenden Grundlagen.

Sie sprechen davon, dass den Bürgerinnen und Bürgern ein modernes und leistungsfähiges Gesundheitswesen mit hochwertiger Gesundheitsversorgung bereitgestellt wird, und weisen zu Recht darauf hin, dass dieser Sektor mit 4,2 Millionen Beschäftigten eine dynamische Wirtschaftsbranche ist. Nun könnten wohlmeinende Bürger oder Bürgerinnen zu der Auffassung kommen, dass Sie dann auch alles tun werden, um dieses System zu stabilisieren und mit einer nachhaltigen Finanzreform die dazu erforderlichen Voraussetzungen zu schaffen. Leider weit gefehlt. Im Einzelplan 15 des Bundesministeriums für Gesundheit vermissen wir die dazu notwendigen Schlussfolgerungen. Wir finden das genaue Gegenteil.

Wir haben Sie schon vor Monaten durch Anfragen und durch Debattenbeiträge hier im Hause darauf aufmerksam gemacht, dass den gesetzlichen Krankenkassen im Jahre 2007 infolge der weitgehenden Beseitigung von Urlaubs- und zum Teil auch von Weihnachtsgeldzahlungen sowie von Lohnkürzungen und von Kürzungen der Versicherungsbeiträge für Bezieher von Arbeitslosengeld I und II erhebliche Einnahmeverluste entstehen.

Wir haben Sie außerdem darauf hingewiesen, dass im kommenden Jahr durch die Umsetzung der Arbeitszeitrichtlinie für Krankenhausärzte, durch die Erhöhung der Mehrwertsteuer, durch die zu erwartenden Ausgabensteigerungen bei Arzneien sowie durch weitere zusätzliche Leistungen bei den Krankenkassen finanzielle Mehrbelastungen eintreten werden, ganz zu schweigen von der Tatsache, dass Sie zukünftig den Krankenkassen auch noch die Investitionen in den Krankenhäusern zumuten wollen.

Gleichzeitig kürzen Sie den Bundeszuschuss an die Krankenkassen von 4,2 auf 1,5 Milliarden Euro. Zur Erinnerung: Dieser Bundeszuschuss stammt aus der im Jahre 2004 vorgenommenen Erhöhung der Tabaksteuer und sollte zur Finanzierung von Mutterschaftsleistungen eingesetzt werden. Alles in allem entsteht den Krankenkassen im Jahre 2007 eine Finanzierungslücke von 10 bis 13 Milliarden Euro. Immerhin 7 Milliarden Euro werden von Ihnen zugegeben. Wir fragen uns, wie Sie diese Lücke schließen wollen, die Sie zu einem ganz wesentlichen Teil zu verantworten haben. Auf diese Fragen geben Sie mit Ihrem Haushaltsplan, den milliardenschweren Kürzungen und
der Mehrwertsteuererhöhung die falsche Antwort.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich habe an dieser Stelle schon mehrfach dazu aufgefordert, dem deutschen Gesundheitswesen eine stabile Finanzgrundlage zu geben. Aus meiner Sicht, meine Damen und Herren von der großen Koalition: Fehlanzeige! Ihre konkrete Politik mit diesem Haushalt und mit dem uns vorliegenden GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz wird nur eines realisieren: die Versicherten mit einem Einkommen unter 3 562,50 Euro im Monat nachhaltig über Beitragserhöhungen zur Kasse zu bitten.

Wir haben in diesem Jahr Vorschläge gemacht, wie wir zu einer sozial gerechteren Finanzierung der Einnahmen
kommen können. Wir, die Linke, wollen mit einer solidarischen Bürgerinnen- und Bürgerversicherung,
die alle in Deutschland lebenden Menschen in der gesetzlichen Krankenkasse versichert, dafür Voraussetzungen
schaffen.
Wir wollen, dass von allen Einkommensarten, also von Arbeits- und Vermögenseinkommen, Beiträge eingezogen werden und dass sie mit dem gleichen Prozentsatz belastet werden. Damit könnten Überlastungen von Menschen mit geringem Einkommen vermieden werden. Man müsste den Gutverdienenden und den Vermögenden in dieser Gesellschaft allerdings Solidarität zur Finanzierung unseres Gesundheitswesens abverlangen.

(Beifall bei der LINKEN)

Nur so kann der alte Grundsatz in der gesetzlichen Krankenversicherung erhalten werden, dass Gesunde für Kranke, Junge für Alte und Reiche für Arme eintreten.
Das, meine Damen und Herren von der großen Koalition, verlangt aber die Auseinandersetzung mit Privilegien und mit den Privilegierten in dieser Gesellschaft. Dazu haben Sie leider keinen Mut.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich finde es skandalös, dass wir mehr und mehr auf eine Dreiklassengesellschaft im Gesundheitswesen zusteuern. Privatpatienten erhalten in den Krankenhäusern alle erforderlichen und zweckmäßigen Leistungen, während gesetzlich Krankenversicherte zunehmend eingeschränkte Leistungen erhalten. So ist jedenfalls die Aussage vieler Klinikärzte. Privatversicherte erhalten bei vielen niedergelassenen Ärzten vorrangig Termine, während gesetzlich Krankenversicherte zum Teil monatelang auf einen Facharzttermin warten müssen.

Aber damit nicht genug: Zuzahlungsregelungen, Krankenhaustagegeld, Eintrittsgebühren bei Ärzten haben die verhängnisvolle Wirkung, dass immer mehr Menschen von der gesundheitlichen Versorgung abgehängt werden. Langzeitarbeitslose, die keinen Anspruch auf Arbeitslosengeld II haben, werden aufgefordert, sich privat zu versichern, ohne zu wissen, woher sie das dafür erforderliche Geld nehmen sollen. Zehntausende sind auf diese Art und Weise aus dem Schutz der gesetzlichen Krankenversicherung herausgefallen. Dies wollen Sie zwar ändern, aber die notwendigen Gelder dafür stellen Sie auch in diesem Haushalt nicht bereit.

Die Politik der Beitragserhöhungen, der Leistungsausgrenzungen und der Zuzahlungen, die schon unter Helmut Kohl begonnen hatte und von Gerhard Schröder fortgesetzt wurde, wird mit den aktuellen Maßnahmen und dem GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetz konsequent fortgesetzt. Sie versprechen zwar das Gegenteil. Aber die Anhörungen in den letzten Tagen haben die entsolidarisierenden und unsozialen Wirkungen des GKV-Wettbewerbsstärkungsgesetzes eindeutig bestätigt.

Wir haben mit unseren Änderungsanträgen zum Einzelplan 15, Gesundheit, ein Sofortprogramm zur Finanzierung und Stabilisierung der gesetzlichen Krankenversicherung gefordert. Wir wollen, dass die Einnahmeverluste, die Mindereinnahmen sowie die Mehrausgaben im Jahre 2007 mit 7,95 Milliarden Euro zusätzlich ausgeglichen werden. Gleichzeitig erwarten wir, dass Sie die Entschuldung der gesetzlichen Krankenkassen in Höhe von 4,8 Milliarden Euro durch einen Bundeszuschuss aus den erhöhten Steuereinnahmen dem Einzelplan 15 zuordnen. Uns reicht die - gnädig zugestandene - 1 Milliarde Euro aus dem zusätzlichen Steueraufkommen nicht aus; denn Sie haben den Bundeszuschuss vorher um 2,7 Milliarden Euro gekürzt. Ich bitte um Zustimmung zu unseren Änderungsanträgen.

(Beifall bei der LINKEN - Daniel Bahr
[Münster] [FDP]: Das wird nichts!)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Nächster Redner ist der Kollege Norbert Barthle,
CDU/CSU-Fraktion

(…..)

Auszug aus der Rede von Bundesministerin Ulla Schmidt (SPD):

… Herr Spieth, Sie sprechen hier von 10 Milliarden Euro. Hat eigentlich einer von Ihnen, die Sie die Debatten
unterstützen, die auch von den Verbandsvertretern initiiert werden, darüber nachgedacht, was in diesem Lande eigentlich los wäre, wenn es stimmen würde, dass jedes Jahr 10 oder 15 Milliarden Euro zusätzlich in die gesetzliche Krankenkasse fließen müssten, um Gesundheitsversorgung zu organisieren?

(Frank Spieth [DIE LINKE]: Sie geben doch
selbst 7 Milliarden dazu!)

Ich glaube, dass man über die Risiken reden muss. Aus Gründen der Redlichkeit muss man aber auch Folgendes sagen - ich richte das an die Adresse der Verbandsvertreter der Krankenkassen -: Erstens. Wir haben in diesem Jahr erstmals wieder steigende Einnahmen, weil wir ein Mehr an sozialversicherungspflichtiger Beschäftigung haben. Das kommt als Plus in der Rentenversicherung und in der Bundesagentur für Arbeit an und auch als Plus in den gesetzlichen Krankenversicherungen. Das ist mehr als das, was wir und die Wirtschaftsweisen vor drei Monaten prognostiziert haben.

Zweitens. Zu Beginn dieses Jahres drohte eine Steigerung der Arzneimittelausgaben um 2 Milliarden Euro. Mit unserem Gesetz zur Verbesserung der Wirtschaftlichkeit in der Arzneimittelversorgung haben wir dafür gesorgt, dass jetzt, nach dem dritten Quartal, praktisch keine Steigerung der Arzneimittelausgaben eintritt. Auch das kann man quasi als Zusatzeinnahme werten. Drittens. 1 Milliarde Euro mehr Steuermittel. Viertens. Für das nächste Jahr haben wir - konservativ gerechnet - Einsparungen von 1,3 Milliarden Euro beschlossen. Herr Kollege Spieth, irgendwann werden sich auch die Vorsitzenden der Krankenkassen einmal dafür zu verantworten haben, wohin das Geld fließt,
wenn es nicht in die Versorgung kranker Menschen fließt.

(Frank Spieth [DIE LINKE]: Das wissen Sie
doch ganz genau!)

Was soll der Gesetzgeber denn tun, wenn auf der anderen Seite, vor Ort, auf diese Entwicklungen offensichtlich
nicht reagiert wird? So geht das nicht! Vor diesem Hintergrund kann in diesem Land keine seriöse Debatte darüber stattfinden, welche Reformen notwendig sind, um eine gute Gesundheitsversorgung für die Menschen in Ost und West, in der Stadt und auf dem Land sicherzustellen. Diese Debatte wollen einige immer noch nicht führen.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Frau Ministerin, gestatten Sie eine Zwischenfrage des Kollegen Spieth?

Ulla Schmidt, Bundesministerin für Gesundheit:
Das führt zu weit.

(Frank Spieth [DIE LINKE]: Eine offene Auseinandersetzung
scheut sie!)

(…)

Lassen Sie mich zum Schluss sagen, Herr Kollege Spieth: Mich hat gewundert, dass Sie hier von Berichten sprechen, gesetzlich Krankenversicherte würden im Krankenhaus nicht ordentlich behandelt.

(Frank Spieth [DIE LINKE]: Sie haben nicht zugehört!)

Die gesetzlich Krankenversicherten erhielten keine Termine. Dies alles liege an den Lobbyinteressen.

(Frank Spieth [DIE LINKE]: Sagen Sie selbst! Ist das etwa falsch, weil ich es sage?)

Ich frage Sie jetzt einmal - Sie sind Verwaltungsratvorsitzender der AOK in Thüringen -:

(Daniel Bahr [Münster] [FDP]: Nebentätigkeit!)

Was tun Sie in Ihrer Krankenkasse, um die Interessen der Versicherten zu vertreten, und was tun Sie, um die Interessen der Versicherten durchzusetzen, wenn es für sie eine andere Behandlung gibt? Das müssen Sie sich einmal
fragen lassen.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten der CDU/CSU und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN
Frank Spieth [DIE LINKE]: Wir müssen den ganzen Quatsch doch ausbaden!)

Die Krankenkassen wurden nicht gegründet, um irgendetwas auszubaden. Die Krankenkassen führen im Moment mehr Diskussionen darüber, ob aus sieben Spitzenverbänden einer wird, und wehren sich dagegen, dass bei den Finanzströmen Transparenz einzieht, damit die Versicherten besser sehen können, wie die Krankenkassen mit ihren Geldern umgehen und welche Versorgungsangebote sie organisieren.

(Birgitt Bender [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Das ist wohl ein Witz!)

Das bringt uns nicht nach vorne. Ich sage Ihnen: Wir - auch ich - werden den Kampf darum führen, dass die Krankenkassen das tun, wofür sie da sind, nämlich die Interessen der Versicherten zu vertreten und dafür zu sorgen, dass so etwas nicht vorkommt. Denn das Gesetz erlaubt nicht, dass Menschen, die gesetzlich krankenversichert sind und hohe Beiträge zahlen, bei den Ärzten und Ärztinnen oder in Krankenhäusern schlechter behandelt werden als die Privatpatienten. Wenn Sie dabei mitmachen, sind Sie bei uns willkommen. Aber sich hier hinzustellen, das anzugreifen und selbst in einer verantwortlichen Position zu sein, das ändern zu können, das geht nicht.

(Beifall bei der SPD sowie bei Abgeordneten
der CDU/CSU)

Wir werden die Debatte weiterführen. Natürlich werden die Koalitionsfraktionen nach den Anhörungen an einigen Stellen Änderungen des Gesetzentwurfes auf den Weg bringen, wo man ihn besser formulieren kann. Man führt Anhörungen ja durch, damit man erfährt, wo etwas zu Entwicklungen führen könnte, die man nicht will. Wir werden jedoch nicht davon abrücken, dass wir diese Reform brauchen.
Ich würde mich freuen, wenn ich nur von einem von all denjenigen, die hier unsere Arbeit kritisieren, hören
würde, was er stattdessen tun würde.

(Dirk Niebel [FDP]: Hier! Sofort! - Frank
Spieth [DIE LINKE]: Wir haben Hunderte
Vorschläge!)

Ich möchte von einem Einzigen hören, was passieren würde, wenn wir die unverantwortliche Forderung, wir
sollten es ganz sein lassen, erfüllen würden.

(Dirk Niebel [FDP]: Ihre Bitte erfülle ich sofort!)

Um auf Ihre Krankenkasse einzugehen, sage ich Ihnen: Der AOK-Bundesverband ist der Auffassung, wir brauchten keine Reform. Es sei genug getan, wenn wir jedes Jahr 10 Milliarden Euro mehr in das System investierten. Aber ich sage Ihnen: Wer so etwas fordert, der muss gleichzeitig sagen, dass er nicht will, dass für unsere Kinder in Zukunft weiterhin das gilt, was für uns selbstverständlich war: dass man dann, wenn man krank ist, unabhängig von der Höhe des Einkommens eine gute medizinische Versorgung erhält. Wer so etwas fordert, der fährt das System gegen die Wand.
Vielen Dank.

(Beifall bei der SPD und der CDU/CSU)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Das Wort zu einer Kurzintervention gebe ich dem
Kollegen Spieth.

(Widerspruch bei Abgeordneten der SPD)

Frank Spieth (DIE LINKE):
Auch wenn es der SPD-Fraktion nicht gefällt, muss ich Ihnen, Frau Ministerin, Folgendes sagen:
Erstens. Ich finde es interessant, wenn Privatversicherte über die gesetzliche Krankenversicherung philosophieren und dabei sehr deutlich zeigen, wie viel Ahnung sie davon haben. Ich bitte Sie, zur Kenntnis zu nehmen, dass die AOK Thüringen, in deren Verwaltungsrat ich ehrenamtlich tätig bin

(Iris Gleicke [SPD]: Ich bin dort übrigens versichert!)

- ich bin allerdings nicht der Vorsitzende -, die höchste Versichertenzufriedenheit aller deutschen Krankenkassen
vorweisen kann.

(Iris Gleicke [SPD]: Dann erzählen Sie doch nicht immer so einen Unsinn! Ihr Motto ist wohl: Haltet den Dieb, er hat mein Messer im Rücken!)

Sie sollten sich von Ihrem großen Apparat wirklich besser informieren lassen.

(Beifall bei der LINKEN - Widerspruch bei der SPD)

Sie können jetzt so laut herummaulen, wie Sie wollen. Das, was ich gesagt habe, ist eine Tatsache, die von Dritten
und nicht etwa von uns festgestellt wurde.

Zweitens. Manchmal hat man wirklich den Eindruck, als wollten Sie uns in Ihrem Redebeitrag potemkinsche Dörfer zeigen: Die erwarteten Defizite, die im kommenden Jahr zu verzeichnen sein werden und die Sie noch vor kurzem selbst beschrieben haben, haben Sie auf einmal auf wundersame Art und Weise wegdekliniert. Es ist doch so, dass Sie die Beiträge im nächsten Jahr erhöhen wollen, weil Sie genau wissen, dass die Krankenkassen mit den vorhandenen Mitteln nicht auskommen. Aber Sie vermitteln den Eindruck, als stimme das nicht, und werfen uns vor, wir würden auf eine Art und Weise agitieren, die zumindest unsolide sei. Den Finger, den Sie auf andere richten, sollten Sie sich einmal genau ansehen. Denn drei Finger derselben Hand deuten auf Sie selbst zurück.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Drittens. In seiner Antwort auf unsere Kleine Anfrage geht Ihr Ministerium selbst davon aus, dass im kommenden
Jahr, im Jahre 2007, Einnahmeausfälle bzw. Zusatzbelastungen in Höhe von round about 7 Milliarden Euro entstehen werden. Wenn ich das Ergebnis Ihrer eigenen Berechnungen hier vortrage, Sie dann aber behaupten, diese Aussage sei falsch, dann fällt das, was den Wahrheitsgehalt Ihrer Antwort betrifft, auf Sie zurück.

Viertens. Der Abgeordnete Professor Lauterbach - weiß Gott kein Unbekannter in diesem Hause - behauptet, dass sich die Defizite, die im kommenden Jahr entstehen werden, in einer Größenordnung von 10 Milliarden Euro bewegen. Ist das alles falsch? Ist das alles nur das Wunschdenken der Opposition? Frau Ministerin, ich glaube, hier sind Sie jenseits der Realität.

(Beifall bei der LINKEN)

Vizepräsidentin Dr. h. c. Susanne Kastner:
Frau Ministerin, Sie können antworten.

Ulla Schmidt, Bundesministerin für Gesundheit:
Herr Kollege Spieth, ich bin alles andere als jenseits der Realität.

(Dirk Niebel [FDP]: Na ja! Ein bisschen
schon!)

Ich habe ganz klar gesagt: Wenn man über dieses Thema diskutiert, muss man auch zur Kenntnis nehmen, dass wir entgegen den Schätzungen zur finanziellen Situation eine positive Entwicklung zu verzeichnen haben und dass Verbesserungen festzustellen sind. Mehr erwarte ich auch von den Krankenkassen nicht. Es ist ein Beschäftigungszuwachs zu verzeichnen. Das dritte Quartal wurde nach allen Zahlen, die bisher von den Kassen vorliegen, mit einem Plus abgeschlossen. Im vierten Quartal wird die zweite Zahlung der Steuermittel für dieses Jahr in Höhe von 2,1 Milliarden Euro erfolgen.

Ebenfalls sind im vierten Quartal die Zuwächse im Zusammenhang mit den Einmaleinnahmen zu berücksichtigen. Ich habe gesagt, dass das AVWG, das Gesetz zur Verbesserung der Wirtschaftlichkeit in der Arzneimittelversogung, größere Auswirkungen hat, als von uns prognostiziert wurde; denn mein Ministerium rechnet immer sehr konservativ.

(Daniel Bahr [Münster] [FDP]: Ach was! Das ist aber ganz neu! - Frank Spieth [DIE LINKE]: Ja, ja! „Konservativ“, das stimmt!)

Ich glaube, Sie von der Linken waren gegen dieses Spargesetz. - Wir wollen nämlich nicht den Eindruck erwecken, es seien mehr Einsparungen vorgenommen worden, als es tatsächlich der Fall war. Der erste Fakt ist: Angesichts essen, dass wir den Krankenkassen 1 Milliarde Euro mehr zur Verfügung stellen, muss man zur Kenntnis nehmen, dass sich der Worst Case, nämlich ein Risiko in Höhe von 5 Milliarden Euro, verringert hat.

Der zweite Fakt ist: Die Beiträge erhöhen nicht wir, sondern die Krankenkassen.

(Daniel Bahr [Münster] [FDP]: So ein Blödsinn! Sie sollten einmal ins Gesetz gucken! - Weitere Zurufe von der FDP: Das wollen Sie ja ändern! - Aber nicht mehr lange!)

Wer erhöht denn nächstes Jahr die Beiträge? Das sind doch nicht wir!

(Dirk Niebel [FDP]: Sie haben doch die ganze Zeit das Gegenteil gesagt!)

Das, was ich gesagt habe, ist richtig. Denn ich stehe zu dem, wofür ich jetzt verantwortlich gemacht werde.

(Birgitt Bender [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Lassen wir doch die Steuermittel weg!)

Ich sage noch einmal: Das GMG war nötig, weil die Krankenkassen mit mehr als 8 Milliarden Euro verschuldet
waren und die Schulden abbauen mussten. Das ist erfolgreich angegangen worden; aber es gibt noch Restschulden.

Wir werden jetzt noch einmal zwei Jahre Zeit geben, damit die Krankenkassen die restlichen Schulden auf einem vernünftigen Weg abbauen. Selbstverständlich wird es dazu auch Beitragsanhebungen geben müssen, aber nur bis die Altschulden abgebaut sind. Deshalb, Kollege Spieth, können Sie sich da nicht einfach herauswinden. Ich glaube, dass die Krankenkassen gut daran tun, sich darauf einzustellen, sich mehr um die Versorgung ihrer Versicherten zu kümmern. Ich kenne gute Krankenkassen und ich kenne schlechtere. Ich sage Ihnen: Die AOK Rheinland/Hamburg hat mir sehr gefallen, weil sie ihren Versicherten jetzt den Service anbietet, sich um zeitnahe Termine beim Arzt zu
kümmern.
Sie will sich engagieren, sie will es nicht hinnehmen, dass ihre Versicherten, die hohe Beiträge bezahlen, womöglich monatelang auf einen Termin beim Arzt warten müssen, während privat Versicherte vorgezogen werden.

(Dirk Niebel [FDP]: Also passiert es doch!)

Wenn Sie das bei der AOK Thüringen auch machen, werde ich das auch loben.
Danke schön.

(Beifall bei Abgeordneten der SPD)