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Haushaltskonsolidierung: Streichungen erfordern gleichzeitig kluge Investitionen

Rede von Steffen Bockhahn,


Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren!

Ich habe gerade gelernt, dass die FDP es für radikal-sozial hält, wenn künftig im Gesundheitswesen ein Bankdirektor den gleichen Zuschlag zahlt wie eine Angestellte an der Kasse bei Lidl oder Schlecker.
(Zuruf von der FDP: Das ist falsch!)


Das ist die Sozialpolitik der FDP. Das finde ich total schlau. Aber mit sozial hat das ganz sicher nichts zu tun.
(Beifall bei der LINKEN - Florian Toncar (FDP): Das hat auch keiner gesagt! Wie müssen zuhören!)


Wir reden gar nicht so sehr über das Sparpaket der Bundesregierung, sondern über einen Antrag, bei dem es um die Frage geht, wie der Haushalt saniert und zukunftsfähig gemacht werden kann. Diese Fragestellung ist völlig richtig; denn man muss diesen Haushalt sanieren. Es ist auch klar: Dieser Haushalt stellt definitiv nicht die richtigen Weichen, um etwas Besseres für die Zukunft zu erreichen. Wir müssen diesen Haushalt also konsolidieren. Das geht nur dann, wenn man einerseits streicht und andererseits klug investiert und sich Gedanken über Einnahmeerhöhungen macht. Bei all dem muss aber der Ausgleich durch einen verantwortlichen Umgang mit Steuergeldern und der Erfüllung der Aufgaben des Staates gewährleistet werden. Das ist gegenwärtig mit Sicherheit nicht der Fall.

Wir brauchen Investitionen in gesellschaftlich notwendige Arbeit, die keine Profite bringt. Warum sage ich das? Weil wir momentan, wenn wir über Investitionen reden, eher selten an soziale Bereiche denken und weil wir eher selten daran denken, wie wir Menschen in Bereichen in Arbeit bringen können, für die es keinen Markt gibt. Aber es gibt Bereiche in dieser Gesellschaft, in denen es zwingend erforderlich ist, dass man sich um sie kümmert und dass dort Arbeit geleistet wird. Diese Arbeit muss finanziert werden. Ich glaube, es gibt in diesem Hause niemanden, der den Spruch „Arbeit statt Arbeitslosigkeit finanzieren“ falsch findet.Es scheint mir aber tatsächlich so, dass es unterschiedliche Ideen dazu gibt, wie man das richtig macht.

Wir schlagen Ihnen an der Stelle nachdrücklich vor, einen öffentlich geförderten Beschäftigungssektor einzurichten. Da kann man dann vernünftige Dinge tun, wie zum Beispiel eine Fahrgastbegleitung im öffentlichen Personennahverkehr einzurichten. Das hat es zum Beispiel in einigen Städten in Mecklenburg-Vorpommern gegeben, als Rot-Rot regiert hat und wir mit Mitteln aus dem Europäischen Sozialfonds vom Bund gab es nichts dafür einen öffentlich geförderten Beschäftigungssektor eingerichtet haben und dort beispielsweise im öffentlichen Nahverkehr älteren Damen und Herren dabei geholfen haben, ihre Station zu finden, Touristinnen und Touristen geholfen haben, den richtigen Weg zu finden, wo wir Menschen mit Behinderung geholfen haben, die Nahverkehrsmittel ordentlich nutzen zu können. Das ist Arbeit, die Sinn macht. Da wissen die Leute, warum sie aufstehen und warum sie zur Arbeit gehen. Sie bekommen dafür einen existenzsichernden Lohn aus öffentlichen Geldern. Wir haben dadurch große Vorteile: Zum einen haben wir einen gesellschaftlichen Nutzen, weil gute und notwendige Arbeit geleistet wird, und zum anderen haben wir Arbeit statt Arbeitslosigkeit finanziert.

Das hat natürlich weitere Vorteile: Diese Menschen, die dann nicht mehr arbeitslos sind, sondern vernünftige und sinnvolle Arbeit tun, zahlen auch wieder in die Sozialsysteme ein. Sie sind keine Belastung für die Sozialsysteme, sondern sie stärken sie. Dies sind keine Investition, die wir tätigen müssen quasi als Ansparabschreibung , damit diese Menschen irgendwann auch Rente bekommen, sondern sie tun selbst etwas dafür, dass sie Rente bekommen können, und zwar eine vernünftige Rente auf einem vernünftigen Niveau. Das lohnt sich, und damit sollte man weitermachen.

Es gibt noch viele andere Bereiche. Ich möchte hier nur Seniorenbetreuung oder Integrationslotsen nennen. Hier in Berlin, unter einer rot-roten Regierung, gibt es diese Integrationslotsen im öffentlich geförderten Beschäftigungssektor. Das ist eine notwendige und sinnvolle Arbeit, und da wird deutlich mehr getan und geschaffen, als es mit vielen anderen Programmen des Bundes momentan der Fall ist. Insofern lohnt sich auch so etwas. Hören Sie endlich auf damit, Ihre ideologischen Blockaden dagegen aufrechtzuerhalten, und fangen Sie an, mit uns über konkrete Projekte zu diskutieren. Wir haben da gute Vorschläge zu machen.

Es gibt dabei noch einen zweiten ganz wichtigen Aspekt, den man im Bereich dieser sozial vernünftigen und auch notwendigen Arbeit nicht außer Acht lassen sollte: Zurzeit müssen wir noch immer sehr viel Geld in den Ausgleich von Schäden durch gesellschaftliche Fehlentwicklungen investieren. Wie viel müssen wir in Programme investieren, um benachteiligte Jugendliche und benachteiligte Frauen und Männer in den Arbeitsmarkt zu integrieren, um sie überhaupt erst fähig zu machen, wieder etwas tun zu können? Wie viel haben wir mit Gewaltprävention und Ähnlichem zu tun? Ich sage Ihnen Sie wissen es selbst eigentlich ganz genau : Wenn wir mehr im Bereich der Prävention, wenn wir mehr im Bereich gesellschaftlich notwendiger Arbeit tun, dann werden die Kosten dafür radikal sinken. Das entlastet die Haushalte und gibt uns Gestaltungsspielraum.

Ein zweiter wichtiger Punkt ist, dass wir das Gewähren von Subventionen überprüfen und teilweise ändern müssen. Wenn man sich anschaut, was Sie für Geschenke an die Atomkraftlobby machen, kann einem nur schlecht werden. Sie sagen immer, wir brauchen diese Technologie, damit der Strom aus der Steckdose auch rauskommt. Ich sage Ihnen: Die Investition in Atomenergie behindert erstens eine ökologische Kehrtwende, und zweitens verhindert sie die Schaffung vieler neuer, produktiver Arbeitsplätze
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Es ist richtig, dass in jedem Kernkraftwerk Menschen arbeiten, die dafür gebraucht werden, das Kraftwerk sicher und in Betrieb zu halten. Aber schauen Sie sich bitte einmal die Belegschaften in den Atomkraftwerken an, und schauen Sie sich an, wie viele Menschen dagegen bei Unternehmen der Photovoltaik-Branche, im Bereich der Windenergie usw. beschäftigt sind. Wenn Sie sich allein diese Beschäftigungszahlen anschauen, müssten Sie begreifen, dass Sie momentan auf dem falschen Weg sind, dass wir Investitionen und Förderung von erneuerbaren Energien brauchen und nicht alte Dinosaurier weiter füttern müssen.

(Klaus-Peter Willsch (CDU/CSU): Die Kosten pro Arbeitsplatz sind höher als bei der Kohle!)

Insofern kann ich Ihnen nur empfehlen, Grundlagenforschung im Bereich der erneuerbaren Energien zu unterstützen und zu fördern. Das schafft einen Technologievorsprung, den wir brauchen, um uns weiter am Weltmarkt behaupten zu können.
Ich finde es immer ganz erstaunlich, dass gerade CDU/CSU und FDP sagen, es dürfe keine Bestandsgarantien und Ewigkeitsgarantien im Bereich der Sozialleistungen geben. Wenn das so ist, frage ich mich natürlich, warum Sie diese Bestandsgarantien gerade bei Ihren Lobbygruppen immer wieder aufrechterhalten wollen. Das kann so nicht sein.

Wir brauchen natürlich genauso einen Abbau von Subventionen bei energieintensiven Produktionen. Es ist einfach unsinnig, jemanden zu fördern, der sehr viel Energie verbraucht. Viel mehr Sinn würde es doch machen, die Unternehmen dafür zu belohnen auch wenn sie energieintensive Produktionen betreiben , wenn sie diesen Energieverbrauch runterfahren und so etwas für die ökologische Wende in Deutschland tun. Da können Sie etwas ändern. Das können Sie subventionieren: den Rückgang von Energieverbrauch. Aber einfach zu akzeptieren, dass viel Energie gebraucht wird, hilft nicht. Das muss man nicht weiter fördern.
Genauso ist es nicht notwendig, Flugbenzin nicht zu besteuern. Allein die Steuerfreiheit für Flugbenzin hat den Bund seit 2005 8,7 Milliarden Euro an Einnahmeausfällen beschert. Ich finde das nicht logisch. Ich finde das nicht begründbar. Sie können es mir bestimmt nachher erklären.
Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE): Ich glaube nicht, dass sie das erklären können!)


Ein ganz wichtiger Punkt ist natürlich, die Investitionsfähigkeit der öffentlichen Hand sicherzustellen, insbesondere die Investitionsfähigkeit der Kommunen. Da es so gewollt ist ich finde das im Grunde auch in Ordnung , dass der Bund über die Struktur der Einnahmen in Deutschland entscheidet, welche Einnahmen also die Kommunen, die Länder und der Bund bekommen, muss man sich natürlich auch Gedanken darüber machen, wie man sicherstellen kann, dass die Kommunen und die Länder überhaupt in der Lage sind, zu investieren.
Ich darf Sie hier an das Grundgesetz der Bundesrepublik Deutschland erinnern, in dem festgelegt ist, dass wir alle gemeinsam die Verantwortung dafür haben, gleichwertige Lebensverhältnisse überall in Deutschland zu schaffen. Das funktioniert nur, wenn die Kommunen überall in Deutschland in der Lage sind, zu investieren. Der Wettbewerbsföderalismus, den Sie momentan betreiben, ist hier definitiv der falsche Weg.

Ich darf Ihnen sagen, dass die Halbierung der Mittel für die Städtebauförderung, die Sie jetzt vorhaben, zu einem gigantischen Problemfall für die Kommunen in ganz Deutschland wird. Schauen Sie sich einfach nur die Investitionsplanungen der Kommunen an. Egal, ob in Baden-Württemberg oder in Mecklenburg-Vorpommern: Alle Kommunen ächzen darunter, dass aufgrund Ihrer Halbierung der Mittel für die Städtebauförderung zuverlässige Zusagen zurückgenommen wurden. Das ist im Übrigen städteplanerisch nicht sinnvoll, und das ist auch ökonomisch nicht sinnvoll, weil Sie dadurch den Handwerksbetrieben, die hier zum Zuge kommen würden, die Grundlage für ihre wirtschaftliche Tätigkeit entziehen.
Daneben wollen Sie im nächsten Jahr die Mittel im Bereich der energetischen Gebäudesanierung von 700 Millionen Euro auf 450 Millionen Euro kürzen. Ich bin mir nicht sicher, ob Ihnen das bekannt ist; deswegen sage ich Ihnen das noch einmal: Jedem einzelnen Euro, den Sie im Bereich der Gebäudesanierung investieren, folgen neun Euro an Folgeinvestitionen. Es ist ökonomischer Unfug, so etwas abzuschaffen. Hören Sie auf damit!

Ich muss natürlich auch noch etwas zur Schuldenbremse sagen; denn es ist ganz klar: So, wie Sie das momentan planen, werden Investitionen verhindert. Sie sagen: Ja, in besonderen ökonomischen Situationen kann man auch mehr Schulden machen. In diesem Haus hat niemand irgendwann einmal bestritten, dass man gerade im Bereich der Wirtschaftsförderung antizyklisch handeln muss. Wir alle wollen Wirtschaftsförderung betreiben, aber wir brauchen ein antizyklisches Handeln. Das tut ja selbst die Koalition. Sie sagen: Wir haben jetzt eine Krise und müssen etwas tun, um die Wirtschaft wieder in Schwung zu bringen. Wir gehen aber unterschiedliche Wege. Ich sage Ihnen: Wenn Sie antizyklisch handeln und investieren wollen, dann können Sie sich eine Schuldenbremse nicht leisten. So, wie das gegenwärtig geplant ist, wird das nicht helfen.

(Florian Toncar (FDP): Doch, sie hat auch eine Konjunkturkomponente!)

Herr Toncar, die Konjunkturkomponente habe ich gerade eben angesprochen. Dass Sie das nicht gehört haben, verzeihe ich Ihnen.
Wir müssen natürlich auch die Einnahmeseite berücksichtigen. Ich finde es gut, dass die Grünen sagen, sie wollen den Spitzensteuersatz wieder erhöhen. Ich kann es Ihnen aber nicht ersparen, zu fragen: Wer hat ihn denn reduziert? Das waren zuletzt doch Sie.

(Otto Fricke (FDP): Und Sie sagen auch nicht, auf wie viel!)

Eine wichtige Sache ist auch die Abgeltungsteuer, bei der wir uns wieder völlig einig sind. Es kann doch nicht sein, dass jemand, der Millionen und Abermillionen Euro durch Zinsen oder Spekulationsgewinne verdient bzw. bekommt verdienen kann man das schlecht , darauf nur 25 Prozent Steuern bezahlt, während jemand, der sich in einem Jahr 1 Million Euro hart erarbeitet hat damit spreche ich Sie an , dafür Steuern gemäß dem Spitzensteuersatz bezahlen muss. Das kann selbst aus Ihrer Sicht nicht sozialgerecht sein.

Wir brauchen natürlich auch eine andere Finanzierung der Sozialsysteme. Mit der Kürzung der Zuschüsse für die Arbeitslosen- und die Rentenversicherung betreiben Sie einfach ökonomischen Wahnsinn, weil Sie damit nichts anderes tun, als eine Last, die heute bekannt ist, den Generationen aufzubürden, die Sie eigentlich angeblich entlasten wollen. Wer soll denn die Grundsicherung und die Rente für diejenigen bezahlen, die heute keine Rentenansprüche mehr erwerben, weil Sie die Zahlung der Rentenversicherungsbeiträge für diese gestrichen haben? Das, was Sie hier machen, ist Wahnsinn und verrückt.
Ihre Arbeitsmarktpolitik, bei der es immer wieder um Mini- und Midijobs geht, ist genau der gleiche Wahnsinn. Sie zerstören damit die Sozialsysteme; Sie stärken sie nicht. Wenn Sie etwas Vernünftiges tun wollen, um die Sozialsysteme und damit auch den Staatshaushalt vernünftig in Ordnung zu bringen, dann sorgen Sie dafür, dass existenzsichernde Beschäftigung geschaffen wird, die sozialversicherungspflichtig ist. Alles andere hilft nicht; alles andere ist kompletter Unsinn. Das können Sie sich sparen.


Ich bin froh, dass jetzt ein Antrag vorliegt, über den wir diskutieren können und mit dem uns geholfen wird, gemeinsam Projekte zu entwickeln. Wir werden ihn jetzt beraten und vor der Abstimmung vielleicht noch zu gemeinsamen Ideen kommen. Dadurch wird im Zweifel mehr geholfen, als sich vorher irgendetwas vorzunehmen und sich hinterher zu wundern, dass es nicht geklappt hat.
Ich danke Ihnen.