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Hartz IV muss weg

Rede von Kornelia Möller,

Noch vor vier Jahren ließen sich die Sozialdemokrate von dem Grundsatz leiten, dass der wichtigste Weg zur Konsolidierung des Haushalts der Abbau der Arbeitslosigkeit ist, so sehen sie heute offenbar, vereint mit CDU und CSU, in der weiteren Senkung des Lebensniveaus arbeitsloser Menschen die entscheidende Quelle der Haushaltskonsolidierung. Der Arbeitsminister stellt sich dabei an die Spitze der Befürworter dieser Politik. Im Klartext: Die Schere zwischen Arm und Reich klafft weiter auseinander, und das mit sozialdemokratischem Segen. Das ist ein politischer Skandal: Konrelia Möller in der Huahaltsdebatte zum Einzelplan 11 Arbeit und Soziales:

Sehr geehrter Herr Präsident! Meine Damen und Herren! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir haben die höchste Zahl an Langzeitarbeitslosen, die die Bundesrepublik Deutschland je erlebt hat, und das muss sich wieder ändern. Dies verkündete Angela Merkel in ihrer Regierungserklärung. (Zuruf von der CDU/CSU: Sehr gut!) Inzwischen sind mehr als hundert Tage vergangen. Die Zahl der Langzeitarbeitslosen ist weiter gewachsen. Über zwei Millionen sind es nach den gestrigen Angaben der Kanzlerin. Die offizielle Gesamtzahl arbeitsloser Männer und Frauen liegt immer noch bei fast fünf Millionen. Mir fehlt jedes Verständnis, Frau Merkel. Sie haben anscheinend vergessen, Ihrem Finanzminister, Herrn Steinbrück, Ihre Zielstellung mitzuteilen. Denn der Haushalt 2006 ist als Instrument des Abbaus der Arbeitslosigkeit völlig ungeeignet. (Beifall bei der LINKEN) Impulse für die dringend notwendige offensive Beschäftigungspolitik? Fehlanzeige. Wenn es nicht mehr Arbeitsplätze gibt, dann laufen viele, vielleicht gut gemeinte Aktivitäten in der Arbeitsmarktpolitik bei der Vermittlung und Eingliederung ins Leere. Ich prophezeie Ihnen: Spätestens die geplante Erhöhung der Mehrwertsteuer wird die Binnenkonjunktur in verantwortungsloser Weise weiter schwächen und die Zahl der Arbeitslosen weiter in die Höhe treiben. (Beifall bei der LINKEN) Landauf, landab glaubt man Ihren vollmundigen Versprechen nicht mehr, Frau Merkel, Herr Steinbrück und Herr Müntefering. Eine ernüchternd niedrige Wahlbeteiligung belegt das anschaulich. Selbst dem Chef der Bundesagentur für Arbeit fällt es schwer, auch nur funktionsbedingten Optimismus zu verbreiten. Denn Anfang April wird er wieder verkünden müssen, dass es fast fünf Millionen arbeitslose Menschen gibt. Ich unterstelle einfach, dass es einige in Ihrem Regierungslager gibt, die an Vollbeschäftigung wirklich interessiert sind. Aber die, die tatsächlich das Sagen haben, die Bosse in Nadelstreifen, nutzen die Arbeitslosigkeit schamlos aus. Sie machen Druck auf die, die noch Arbeit haben. Dass nach dem Motto „Friss oder stirb!“ ein Stundenlohn von 4 Euro gezahlt wird, ist längst keine Seltenheit mehr. Aber der eigentliche Skandal in der Politik ist: Ließen sich die Sozialdemokraten noch vor Jahren von dem Grundsatz leiten, dass der wichtigste Weg zur Konsolidierung des Haushalts der Abbau der Arbeitslosigkeit ist, so sehen sie heute offenbar, vereint mit CDU und CSU, in der weiteren Senkung des Lebensniveaus arbeitsloser Menschen die entscheidende Quelle der Haushaltskonsolidierung. Der Arbeitsminister stellt sich dabei an die Spitze der Befürworter dieser Politik. Im Klartext: Die Schere zwischen Arm und Reich klafft weiter auseinander, und das mit sozialdemokratischem Segen. Wir haben Ihnen konkrete Vorschläge gemacht, die von Ihnen aber abgelehnt wurden. Abgelehnt wurde unser Antrag auf Übertragung der Mittel aus dem Jahr 2005 in das Jahr 2006. Dabei handelte es sich um einen Betrag in Höhe von rund 1 Milliarde Euro für Eingliederungsmaßnahmen innerhalb des Regelkreises ALG II. Hätten Sie zugestimmt, stünde heute 1 Milliarde Euro mehr für aktive Arbeitsmarktpolitik zur Verfügung. (Beifall bei der LINKEN) Es wären mehr Arbeitsgelegenheiten in der Entgeltvariante möglich, und die dringend nötige Weiterbildung von Langzeitarbeitslosen könnte stattfinden. Abgelehnt wurde auch unser Vorschlag zur Einbeziehung weiterer Branchen mit diskontinuierlicher Beschäftigung in die Regelung des Saisonkurzarbeitergeldes. Hätten Sie zugestimmt, gäbe es heute weniger saisonbedingte Arbeitslose. (Beifall bei der LINKEN) Abgelehnt wurde schließlich unser Vorschlag, das Arbeitslosengeld in den neuen Ländern rückwirkend zum Januar 2005 an das Niveau in den alten Ländern anzugleichen. Hätten Sie zugestimmt, hätten wir heute eine Stärkung der Binnennachfrage und dadurch eine verstärkte Nachfrage nach Arbeit. (Beifall bei der LINKEN - Zuruf von der CDU/CSU: Und mehr Schulden!) Das iso-Institut, eine der 20 Evaluierungseinrichtungen, hat sinngemäß festgestellt: Wer nicht leicht vermittelbar ist, fällt durch den Rost. (Zuruf von der FDP: Was heißt denn hier „sinngemäß“?) Denn die BA konzentriert ihre Vermittlungsbemühungen auf jene Arbeitsuchenden, die relativ leicht vermittelbar sind, weil sie zum Beispiel jung, gesund und gut ausgebildet sind. Damit keine Zweifel aufkommen: Auch wir sind für einen effektiven Einsatz der Mittel. Gerade deswegen ist es für mich als Ökonomin besonders verwunderlich, dass Sie noch immer glauben, mit betriebswirtschaftlichen Methoden neoliberaler Ausprägung eine Volkswirtschaft beleben und Arbeitsplätze schaffen zu können. (Beifall bei der LINKEN) Früher sagte man dazu: „den Bock zum Gärtner machen“. Aber früher gab es in diesem Parlament auch noch eine sozialdemokratische Partei. (Beifall bei der LINKEN - Carsten Schneider [Erfurt] [SPD]: Haha! Wie witzig!) Besonders hart hat es die Hartz-IV-Empfängerinnen und -Empfänger getroffen. Hans-Jürgen Marcus, der Sprecher der Nationalen Armutskonferenz, sagte gestern in Berlin, dass sich allein die Anzahl der Kinder unter 15 Jahren, die auf Sozialhilfeniveau leben, im Jahre 2005 von 1 Million auf rund 1,5 Millionen erhöht hat. Es gibt in Deutschland also 1,5 Millionen arme Kinder. Die Dunkelziffer schätzt er auf zusätzlich rund 200 000 Kinder. Als Grund für die steigende Anzahl armer Menschen in diesem Land nannte er die Arbeitsmarktreform Hartz IV. Meine Damen und Herren von der CDU/CSU, spätestens nach diesem Beispiel müssten Sie sich eigentlich an Ihre Verantwortung erinnern. Ich sage Ihnen: Beseitigen Sie diese Zustände! Denn Hartz IV ist ein schlechtes Gesetz. Hartz IV muss weg! (Beifall bei der LINKEN)