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Hartz IV ist unredlich

Rede von Oskar Lafontaine,

Zwei Drittel der Bevölkerung haben die Hatz- Gesetze abgelehnt. Heute, nach gut einem Jahr, muss festgestellt werden, dass diese Gesetze alle Ziele verfehlt haben, die mit ihnen verbunden waren. Es gab das Versprechen, dass 2 Millionen neue Arbeitsplätze entstehen und die Arbeitslosigkeit drastisch sinkt. Nichts davon ist erreicht worden. Oskar Lafontaine in der Debatte der Aktuellen Stunde zu Plänen der Bundesregierung zur grundlegenden Überholung von Hartz IV.

Oskar Lafontaine (DIE LINKE): Frau Präsidentin! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Der Herr Kollege Ramsauer von der CDU/CSU-Fraktion hat das Gesetz, über das wir jetzt reden, den größten sozialpolitischen Flop der Nachkriegsgeschichte genannt. Diese Bezeichnung ist sicherlich so gemeint gewesen, dass zu viel Geld ausgegeben werde. Für die Fraktion der Linken möchte ich sagen: Wir reden hier über den größten sozialpolitischen Kahlschlag der Nachkriegsgeschichte, der gegen die Mehrheit der Bevölkerung in Szene und ins Werk gesetzt worden ist. (Beifall bei der LINKEN) Es ist bedauerlich, dass dieses Parlament auf die vielen Demonstrationen, die gegen dieses Gesetz stattgefunden haben, nicht reagiert hat, als hätten wir es aus dem Auge verloren, dass dieses Parlament den Auftrag hat, die Mehrheit der Bevölkerung zu vertreten und entsprechende Gesetze zu machen. Zwei Drittel der Bevölkerung haben diese Gesetze abgelehnt. Heute, nach gut einem Jahr, können wir sagen, dass diese Gesetze alle Ziele verfehlt haben, die mit ihnen verbunden waren. Vergessen Sie nicht das Versprechen, dass 2 Millionen neue Arbeitsplätze entstehen und die Arbeitslosigkeit drastisch sinkt. Nichts davon ist erreicht worden. (Beifall bei der LINKEN) Die ganze Philosophie ist auf zweierlei zu reduzieren: Auf der einen Seite kürzen wir massiv die Leistungen für die sozial Schwächeren, auf der anderen Seite senken wir massiv die Steuern für Unternehmen und Reiche, was zu einem wirtschaftlichen Aufschwung führen soll. Dieser hat aber nicht stattgefunden. Es ist an der Zeit, dass die Mehrheit dieses Hauses ihre Politik grundlegend revidiert. (Beifall bei der LINKEN) Ich will nicht, dass in Vergessenheit gerät, dass dieses Gesetz von Anfang an auf einem grundlegenden Strickfehler beruhte, nämlich dem Zusammenlegen von Arbeitslosenhilfe und Sozialhilfe. Es darf nicht in Vergessenheit geraten, dass dieses Gesetz auch zu einer brutalen Enteignung der älteren Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer führt. Dazu wird leider nichts mehr gesagt; aber das ist der schlimmste Skandal, der mit diesem Gesetz verbunden ist. Ich sage es noch einmal: Ein 53 Jahre alter Durchschnittsverdiener hat 60 000 Euro in die Arbeitslosenkassen eingezahlt. Wenn er arbeitslos wird, bekommt er ein Jahr Arbeitslosengeld und damit 10 000 Euro zurück. Arbeitslosengeld II bekommt er nur dann, wenn er vorher seine Versicherung verscherbelt, sein Vermögen angreift, vielleicht sein Haus verkauft usw. Das ist und bleibt ein ungeheuerlicher Skandal, der niemals akzeptiert werden kann. (Beifall bei der LINKEN - Rolf Stöckel (SPD): Weil das eine Umlage ist und keine Kapitalversicherung!) Wenn es irgendeine Berufsgruppe gibt, bei der man sich eine solche Enteignung vorstellen kann, dann bitte ich darum, dass jemand aufsteht und diese Berufsgruppe nennt. Kann sich irgendjemand vorstellen, dass beispielsweise mit Unternehmen so verfahren würde und dann in diesem Hause eine Mehrheit aufrechtzuerhalten wäre? Dann gab es noch das klägliche Argument, das ich jetzt wieder höre, man habe das Prinzip einer Versicherung nicht verstanden. (Hartmut Koschyk (CDU/CSU): So ein Quatsch!) Nennen Sie mir eine einzige Versicherung  Feuerversicherung, Sachversicherung oder eine sonstige , bei der man, wie bei der Arbeitslosenversicherung, 60 000 Euro einbezahlt, aber nur 10 000 Euro zurückbekommt! Sie können sich noch so sehr herausreden; das ist kein sozialpolitischer Flop, sondern das ist und bleibt eine einzige sozialpolitische Sauerei, um das in aller Deutlichkeit einmal zu sagen. (Beifall bei der LINKEN - Hartmut Koschyk (CDU/CSU): So viel Blödsinn habe ich noch nie gehört!) Meine Damen und Herren, auch bei der wiederholten Beschwörung der Formel „Fördern und Fordern“ ist eines aus den Augen verloren worden. Ein amerikanischer Nobelpreisträger, Bob Solow, hat einmal gesagt, die Hartz-Gesetze hätten vielleicht dann einen Sinn gehabt, wenn zuerst die Konjunktur in Gang gekommen und massiv neue Arbeitsplätze entstanden wären und anschließend diese Politik ins Werk gesetzt worden wäre. Er hat gesagt, es sei ein Grundfehler, Druck auf die Arbeitslosen auszuüben, bevor überhaupt neue Arbeitsplätze geschaffen worden seien. Das gilt nach wie vor: Die neuen Arbeitsplätze fehlen in weiten Bereichen unserer Gesellschaft; aber der Druck auf die Arbeitslosen wird immer weiter verstärkt. (Beifall bei der LINKEN) Sie benutzen in diesem Zusammenhang den Begriff „Redlichkeit“; Sie sagen, man müsse redlich sein gegenüber denen, die Arbeit suchen, und die bestrafen, die sich nicht in ausreichendem Umfang darum bemühen. Angesichts des Begriffes der Redlichkeit will ich Sie an eines erinnern: (Hartmut Koschyk (CDU/CSU): Lafontaine und Redlichkeit, hahaha!) Es ist wahr, dass diejenigen, die Arbeit haben und sehr gering bezahlt werden, Ressentiments gegenüber denjenigen entwickeln, die keine Arbeit haben und trotzdem soziale Leistungen beziehen. Jeder, der sich in Wirtshäusern oder sonst wo mit Leuten unterhält, die davon betroffen sind, weiß das. Es ist aber nicht redlich, diese Ressentiments auszunutzen und zulasten der Arbeitslosen, die keine Arbeit finden, auszuschlachten. (Beifall bei der LINKEN) Nichts anderes tun Sie mit dieser Gesetzgebung und mit der ganzen Diskussion, es gehe um Kostenexplosion usw. Zur Unredlichkeit gehört ebenso, Frau Kollegin, dass Sie es versäumt haben, die gesamten Ausgaben im sozialen Bereich immer wieder zu saldieren. Es ist unredlich, auf der einen Seite darauf hinzuweisen, dass die Ausgaben für das Arbeitslosengeld II gestiegen sind, auf der anderen Seite aber zu verschweigen, dass in demselben Gesetzesrahmen die Ausgaben für das Arbeitslosengeld I massiv gesunken sind. Das ist in höchstem Maße unredlich. Sie benutzen diese Unredlichkeit, um immer weiteren Druck auf die Arbeitslosen auszuüben. (Beifall bei der LINKEN) Dass das Ganze ein unredliches Unterfangen ist, sieht man schon an den Überschriften. Da ist von „Fortentwicklung“ und von „Optimierung“ die Rede. Aber die Wahrheit ist doch die, dass Sie nach wie vor ihre gescheiterte Politik fortsetzen und weiterhin Druck auf die Arbeitslosen ausüben, statt  wie es Ihre Pflicht wäre  neue Arbeitsplätze zu schaffen. (Beifall bei der LINKEN)