Zum Hauptinhalt springen

Harald Weinberg: »Vorgeschmack darauf, wer am Ende der Coronakrise die Zeche zahlen soll«

Rede von Harald Weinberg,

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Für das Jahr 2021 wird vom Schätzerkreis ein Defizit in Höhe von 16 Milliarden Euro in der gesetzlichen Krankenversicherung prognostiziert. Wenn keine Maßnahmen ergriffen werden, dann müsse der Beitragssatz um 1,1 Prozentpunkte auf dann 16,8 Prozent ansteigen. Damit würde das 40-Prozent-Dogma bei der sogenannten Sozialquote gerissen, und das soll auf jeden Fall verhindert werden.

Wie wird das gemacht? Der Steuerzuschuss an den Gesundheitsfonds, aus dem die Krankenkassen ihre Zuweisungen beziehen, wird um 5 Milliarden Euro auf nun 19,5 Milliarden Euro in 2021 erhöht. Nun ja, die versicherungsfremden Leistungen, die bei den Kassen abgeladen werden, haben schon ohne Corona stark zugenommen und sind mit der Pandemie noch einmal deutlich ausgeweitet worden; man denke an die Testcenter für Urlaubsrückkehrer. Folglich haben die Kassen mehr erwartet; aber Finanzminister Scholz wollte wohl nicht mehr rausrücken. Das ist das Elend der Steuerfinanzierung: Plötzlich bestimmt der Finanzminister, welche Gesundheitspolitik gemacht wird.

Dann hatte Minister Spahn eine weitere Idee. Die Kassen sollen, sofern sie welche haben, ihre Finanzreserven abschmelzen und rund 8 Milliarden Euro an den Gesundheitsfonds zurückzahlen. Das widerspricht eigentlich einem anderen neoliberalen Dogma, nämlich dem Dogma des erwünschten Wettbewerbs der Kassen untereinander. Ganz böse Zungen werfen Spahn hier sogar sozialistischen Dirigismus vor.

(Matthias W. Birkwald [DIE LINKE]: Was? – Weitere Zurufe von der LINKEN)

Ich würde so weit nicht gehen, finde es jedoch heftig, wenn Minister Spahn mit einem flotten Spruch, Krankenkassen seien keine Sparkassen, mal eben die Beitragszahler für Coronaausgaben in Haftung nimmt, die die Allgemeinheit zu zahlen hätte, und zwar nach der jeweiligen Finanzstärke, also die Reichen und Vermögenden mehr als die Armen.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

So jedoch ist das ein Vorgeschmack darauf, wer am Ende dieser Krise ganz offensichtlich die Zeche zahlen soll. Das wird auf jeden Fall unseren Widerstand hervorrufen.

Der verbleibende Rest des Defizits soll über eine Anhebung des durchschnittlichen Zusatzbeitrags um 0,2 Prozentpunkte ausgeglichen werden, und das alles nur, um dann rechnerisch mit 39,95 Prozent um 0,05 Prozentpunkte unter der besagten Dogmagrenze von 40 Prozent zu bleiben – ein erstaunlicher Taschenspielertrick, der vielleicht bis zur Bundestagswahl hält, und das soll wohl auch erreicht werden. Nachhaltig jedoch ist es nicht.

(Beifall bei der LINKEN)

Dieses 40-Prozent-Dogma hängt ja mit der ständigen Rede von der Unfinanzierbarkeit des Sozialstaates zusammen. Dazu will ich Ihnen mal was sagen: Solange in diesem Land zugelassen wird, dass Spekulanten wie bei den Cum/Ex-Geschäften Steuern erstattet bekommen, die sie nie gezahlt haben, solange Milliardäre sich über Steueroasen vor einer ohnehin niedrigen Besteuerung drücken können, solange Konzerne mit Milliarden unterstützt werden, ohne dass man ihnen abverlangt, für Beschäftigungssicherung zu sorgen und auf Dividendenausschüttungen zu verzichten, und solange wir dem 2-Prozent-Ziel hinterherhecheln und jedes Jahr den Rüstungshaushalt weiter aufblähen – in diesem Jahr um 21 Prozent auf 50 Milliarden Euro –, solange das alles zugelassen wird, so lange sollten Sie über die Unfinanzierbarkeit des Sozialstaates schweigen.

(Beifall bei der LINKEN)

Aber auch wenn man bei der Krankenversicherung nicht stärker in die Steuerfinanzierung gehen wollte, gäbe es Alternativen zu diesem Verschiebebahnhof der Bundesregierung. Wir haben hierzu bereits mehrere Anträge gestellt – und wir werden noch weitere stellen –, die das Problem anders angehen: durch Anhebung oder Aufhebung der Beitragsbemessungsgrenze, durch eine Erweiterung des versicherungspflichtigen Personenkreises, durch eine Verbeitragung von großen Kapitaleinkünften und durch Überführung der Privatversicherten in die gesetzliche Krankenversicherung.

(Beifall bei der LINKEN)

Jede dieser Maßnahmen würde die finanziellen Spielräume der Krankenkassen erweitern, ohne dass die Beiträge angehoben werden müssten. Sogar eine Rücknahme von Zuzahlungen und Leistungskürzungen wäre möglich, ebenso die Entwicklung der Pflegeteilversicherung, wie wir sie jetzt haben, in eine Pflegevollversicherung.

(Beifall bei der LINKEN)

Das wäre dann eine echte Alternative, eine linke Alternative.

Apropos Alternative: Der Ex-Pressesprecher der AfD-Fraktion hat ja eine bemerkenswerte Wahrheit über das Programm dieser Partei ausgeplaudert, –

– als er sagte – das ist mein Schlusssatz –: Je schlechter es Deutschland geht, desto besser für die AfD. – Ich persönlich finde ja, dass da umgekehrt ein Schuh draus wird: Je schlechter es der AfD geht, desto besser für Deutschland.

Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD – Stephan Brandner [AfD]: Furioses Finale! – Gegenruf von der CDU/CSU: Aber wahr!)