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Harald Weinberg: #DiviGate ist ein Trugbild - der Skandal liegt in den Fallpauschalen

Rede von Harald Weinberg,

Vielen Dank, Herr Präsident. – Liebe Kolleginnen und Kollegen! Man fragt sich, was die Autorengruppe um Matthias Schrappe mit ihrem Geraune und ihrem Zusammenpanschen unterschiedlicher Zahlen aus unterschiedlichen Quellen eigentlich aussagen möchte. Was hier aufgeschrieben wurde, ist im Wesentlichen der Versuch von Wichtigtuerei. Springers Tagespostille „Die Welt“ hat ausführlich darüber berichtet und hat dafür viele neue Abos eingefahren.

Geschäftemachen mit Fake News ist ja bekanntlich Springers Kernkompetenz.

(Beifall bei der LINKEN – Zuruf von der SPD: Genau!)

Und aus Fake News Politik zu generieren, ist das Konzept der AfD. Seriöse Journalistinnen und Journalisten haben die vermeintlichen Argumente in den letzten Tagen zerlegt. Fachgesellschaften und Verbände haben ebenfalls fundierte Gegenargumente geliefert. Eine weitere ernsthafte Debatte zu diesem Thesenpapier ist aus unserer Sicht deswegen nicht notwendig.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD)

Nur ein Punkt ist mir noch wichtig: Die Überlastung der Intensivstationen infrage zu stellen, ist ein Schlag ins Gesicht aller Kolleginnen und Kollegen, die dort in den letzten Monaten weit über ihre Belastungsgrenze hinaus gearbeitet haben.

(Beifall bei der LINKEN, der CDU/CSU, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

In der Intensivpflege war es schon im Normalbetrieb nicht vertretbar, wenn eine Fachkraft mehr als zwei Patientinnen bzw. Patienten versorgen musste. Wir haben in den letzten Monaten viele Berichte von Kolleginnen und Kollegen gehört, dass sie drei, vier, manchmal sogar fünf Intensivpatientinnen bzw. ‑patienten alleine versorgen mussten. Einige, die den Mut hatten, darüber öffentlich zu sprechen, sind fristlos gekündigt worden. Das ist die Realität in den Krankenhäusern! Herr Schrappe und seine Mitautoren und ‑autorinnen scheinen da durch ein Paralleluniversum zu schweben.

Es gibt kein DIVI-Gate; das ist ein Fantasieprodukt. Stattdessen sollten wir über das Fallpauschalen-Gate reden.

(Beifall bei der LINKEN)

Der eigentliche Skandal ist nämlich, dass die Bundesregierung die ganze Pandemie über am Irrsinn der Fallpauschalen festgehalten und damit eine unverantwortliche Krankenhauspolitik betrieben hat.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Fallpauschalen waren schon vor der Coronakrise hauptverantwortlich für die Misere in den Kliniken. Pflegenotstand, eklatanter Personalmangel, mangelhafte Bevorratung sowie fehlende Betten- und Laborkapazitäten sind Ergebnis des Kostendrucks, dem die Krankenhäuser seit Einführung der DRG ausgesetzt sind.

(Beifall bei der LINKEN – Zuruf von der LINKEN: Ja, das ist die Wahrheit!)

Schon im Normalbetrieb sorgen sie für ein Nebeneinander von Geldverschwendung, Kostendruck und Fehlsteuerung. Als es im März 2020 darum ging, in den Krankenhäusern schnell Kapazitäten für die Behandlung von Covid-Fällen freizumachen, mussten planbare Eingriffe im großen Stil abgesagt bzw. verschoben werden. Für einen solchen Krisenfall ist die angebliche „leistungsorientierte Vergütung“ durch Fallpauschalen völlig untauglich.

(Zuruf von der LINKEN: Richtig!)

Ohne den hastig aufgespannten sogenannten Schutzschirm wäre die Krankenhausversorgung zusammengebrochen, weil die Krankenhäuser innerhalb kürzester Zeit zahlungsunfähig gewesen wären. – So viel zur Krisentauglichkeit des DRG-Systems.

Die Krisensituation schrie danach, die Fallpauschalen mindestens für die Zeit der Pandemie auszusetzen und den Krankenhäusern ihre tatsächlichen Kosten zu erstatten.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Deutsche Krankenhausgesellschaft und andere Krankenhausverbände haben diese Forderung ganz ähnlich formuliert; kurzzeitig hatte sich sogar die AOK dafür ausgesprochen. Damit hätten die Krankenhäuser die finanzielle Absicherung gehabt, sich ohne finanzielles Risiko der Epidemie zu stellen. Es wäre der sauberste Schritt gewesen. Kein Krankenhaus hätte so in der Krise Verluste machen müssen, und kein Krankenhaus hätte von der Krise profitieren können.

(Zuruf von der LINKEN: Richtig!)

Der Bundesregierung war aber die Rettung der Fallpauschalen wichtiger als die finanzielle Absicherung der Krankenhäuser.

(Zuruf von der LINKEN: Genau! Das ist die Wahrheit!)

Betriebswirtschaftliche Fehlanreize blieben bestehen, und es entstand ein absurdes Nebeneinander von Mitnahmeeffekten auf der einen Seite und Unterfinanzierung auf der anderen Seite. Die Krankenhäuser konnten sich für die unterschiedlichen Fachabteilungen ausrechnen, ob es sich eher lohnt, die Betten weiter zu belegen oder die Freihaltepauschale einzukassieren. Und das haben sie tatsächlich auch getan. Es gab entsprechende Beratungsangebote von Unternehmensberatungen an die Krankenhäuser.

Auf der anderen Seite haben vor allem öffentliche Maximalversorger erhebliche Verluste eingefahren. Ich zitiere aus einer Studie zum Schutzschirm für den sogenannten Expertenbeirat, den das Gesundheitsministerium selber eingesetzt hat: Freigemeinnützige und private Krankenhäuser haben überdurchschnittliche Erlössteigerungen realisiert, während Universitätskliniken Erlösrückgänge von bis zu 6 Prozent aufweisen.

Die Fallpauschalen sind dann zum 30. September ausgelaufen, und die Bundesregierung hat die Krankenhäuser erst einmal im Regen stehen lassen. Erst Ende November wurde eine neue Regelung getroffen. Die Fehlkonstruktion der Fallpauschalen war zu diesem Zeitpunkt offensichtlich. Im Gesundheitsministerium dominierte aber weiterhin das ideologische Interesse an der Rettung der Fallpauschalen. Also wurden die Brotkörbe noch etwas höher gehängt und Zuwendungen an eine Auslastung der Intensivkapazitäten von mindestens 75 Prozent geknüpft. Die Folge: Krankenhäuser meldeten weniger Kapazitäten und kehrten zum Programm planbarer OPs zurück, um die Quote zu erreichen.

Dafür haben die Kolleginnen und Kollegen in den Krankenhäusern einen hohen, einen viel zu hohen Preis bezahlt. Die Konsequenz aus der Überlastung wird sein, dass viele Kolleginnen und Kollegen die Krankenhäuser verlassen oder zumindest ihre Stunden reduzieren werden, wenn die Krise halbwegs überwunden ist. Der Trümmerhaufen des Personalmangels ist durch die finanzielle Fehlsteuerung in der Krise größer geworden, obwohl wir so dringend mehr Fachpersonal in den Krankenhäusern brauchen.

Die Bundesregierung hat in der Krise das Füllhorn über die private Krankenhausindustrie ausgeschüttet, während viele öffentliche Häuser jetzt unter verschärften Bedingungen um ihr Überleben kämpfen.

Gleichzeitig wurde massenhaft Personal verheizt. – Letzter Satz. – Das ist der eigentliche Skandal.

Die Linke bleibt dabei: Wir brauchen einen Systemwechsel in den Krankenhäusern: Gemeinwohl statt Kostendruck und Profite.

Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)