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Harald Weinberg: Digitale Anwendungen: Ja! Eingriff in Selbstverwaltung: Nein!

Rede von Harald Weinberg,

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Das ist jetzt das dritte Digitalisierungsgesetz des selbsternannten Digitalisierungsministers in dieser Wahlperiode. Es sind sicher gute Ansätze drin, zum Beispiel die Ausweitung der Telemedizin – es ist bereits darauf hingewiesen worden – oder die digital unterstützte Pflegeberatung. Für meine Fraktion, Die Linke, gilt dabei der Grundsatz: Wir begrüßen solche Anwendungen, wenn sie Hilfestellungen leisten und die Versorgung unterstützen.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Wir lehnen jedoch jede Nutzung strikt ab, die zu einem weiteren Rückbau der Versorgung in der Fläche führen würde.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Unterstützung durch digitale Anwendungen, ja – Ersetzung von Versorgungsstrukturen durch digitale Anwendungen, nein.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Im Rahmen meiner drei Minuten möchte ich zwei Problemfelder herausgreifen. Die digitalen Gesundheitsanwendungen sollen ja ausgeweitet werden und durch digitale Pflegeanwendungen ergänzt werden. Das Bemerkenswerte dabei ist, dass es für beide unterschiedliche Formen der Vergütung geben soll. Bei den digitalen Pflegeanwendungen sollen innerhalb von drei Monaten nach Aufnahme in das Verzeichnis die Preise mit den Kassen verhandelt werden. Bei den digitalen Gesundheitsanwendungen hingegen gelten im gesamten ersten Jahr die Preise, die der Hersteller festgelegt hat – ein Eldorado für Hersteller von Gesundheits-Apps. Gezahlt werden soll das in beiden Fällen von der Versichertengemeinschaft, also den Beiträgen gesetzlich Versicherter. Diese unterschiedliche Vergütungsregelung leuchtet uns nicht ein. Aus unserer Sicht sollte die Vergütung der digitalen Gesundheitsanwendungen analog der Vergütung der digitalen Pflegeanwendungen erfolgen; dann wird ein Schuh daraus.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Ein weiteres Problem stellt die Entwicklung und Finanzierung der gematik GmbH – vormals Gesellschaft für Telematikanwendungen der Gesundheitskarte mbH – dar. Ich kann aus Zeitgründen die gesamte Geschichte nicht nachzeichnen. Daher nur stichwortartig: Ursprünglich war die gematik eine Gesellschaft der gemeinsamen Selbstverwaltung; Gesellschafter waren die Kassen – die das Ganze im Übrigen auch finanzieren – und die Organisationen der Leistungserbringer: Ärzte, Krankenhäuser, Apotheker und Zahnärzte. Es wird gerne erzählt, dass diese Struktur zu Blockaden bei der Digitalisierung geführt habe, und deshalb gehe da nichts voran. Ob das so zutrifft, darüber kann man wohlfeil streiten. Dabei ist auch relativ viel Mythenbildung.

Minister Spahn, der sich immer dann als Fan der Selbstverwaltung outet, wenn die tut, was er will, hat dann mittels Gesetz die gematik quasi verstaatlicht. Denn nun liegen 51 Prozent der Gesellschafteranteile beim Bundesministerium für Gesundheit,

(Tino Sorge [CDU/CSU]: Das müsste doch in eurem Interesse sein!)

und ein neuer Geschäftsführer mit einem üppigen Gehalt wurde eingestellt. Im Ergebnis ist die gemeinsame Selbstverwaltung dort quasi entmachtet worden und eher zum Bittsteller degradiert worden.

Zahlen sollen die Kassen aber weiterhin, und zwar mit diesem Gesetz noch einmal 50 Prozent mehr als vorher, nämlich von 1 Euro pro Mitglied der gesetzlichen Kassen auf 1,50 Euro pro Mitglied der gesetzlichen Kassen. Damit könnten dann, wenn das denn so kommt, das Bundesministerium für Gesundheit und der neue Geschäftsführer über ein Jahresbudget von 85 Millionen Euro frei verfügen.

Der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenkassen weist in seiner Stellungnahme zu Recht darauf hin, dass das Aufgabenfeld dieser neuen gematik immer weiter ausgeweitet wird, weit über die ursprünglichen Regulierungs- und Steuerungsfunktionen hinaus, und so weit aufgewertet wird, dass die gematik inzwischen originär unternehmerisch tätig ist und in den Kernbereich der gemeinsamen Selbstverwaltung eingreift.

Die Selbstverwaltung ist aber ein tragendes Grundprinzip unseres Gesundheitssystems. Von den hier skizzierten Entwicklungen geht eine große Gefahr für die Selbstverwaltung aus. Sie läuft auf eine grundlegende Änderung des bisherigen Ordnungsrahmens innerhalb unseres Gesundheitswesens hinaus. Daher ist es absolut angezeigt, dass wir dieses Gesetzgebungsverfahren auch dazu nutzen, darüber zu diskutieren, wie wir dem begegnen können.

Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)