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Harald Petzold: Bundesregierung schränkt Rehabilitierung homosexueller Männer ein

Rede von Harald Petzold,

Frau Präsidentin! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauerinnen und Zuschauer! Wir beschließen heute das Gesetz zur Rehabilitierung und Entschädigung von schwulen Männern, die nach dem 8. Mai 1945 nach dem § 175 des Strafgesetzbuches für einvernehmliche sexuelle Handlungen verurteilt worden sind.

Es ist ein Gesetz, das überfällig ist, weil es Tausenden schwulen Männern, die zu Unrecht verurteilt worden sind – der Kollege Brunner hat es genannt –, endlich Gerechtigkeit widerfahren lässt, indem die Urteile aufgehoben werden und eine symbolische Entschädigung gezahlt wird.

Es ist ein Gesetz, dessen Auswirkungen leider Tausende Betroffene schon nicht mehr miterleben können, weil sie inzwischen verstorben sind, und das trotzdem wichtig ist, weil es den Lebenden sozusagen deutlich macht, dass ihr Leiden und ihr Kampf um Gerechtigkeit eben nicht umsonst gewesen sind und dass wir in der Lage sind, ihnen Gerechtigkeit widerfahren zu lassen.

(Beifall bei der LINKEN und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Es ist ein Gesetz, das vielen in diesem Haus, vielleicht sogar – so möchte ich es sagen – fast allen, die heute hier im Saal sitzen und an der Diskussion teilnehmen, ein Herzensanliegen ist.

Ich habe allen Grund, den Dank, den ich in meinem Beitrag zur ersten Lesung an alle gerichtet habe, zu wiederholen und insbesondere die Kollegin Zollner noch einmal persönlich herauszuheben, weil sie in der Fachpresse als Einzige derjenigen, die ganz aktiv mitgewirkt haben, eben nicht genannt worden ist, was nicht so ganz in Ordnung ist. Wenn sich alle so verhalten hätten wie die genannte Kollegin, vor allen Dingen in der CSU, dann hätten wir ein faireres Verfahren gehabt, und ich hätte möglicherweise keinen Grund, heute auch eine Kritik vorzutragen. Zu der muss ich leider später noch kommen; das hat auch die Kollegin Zollner nicht verhindern können.

Ich will die Danksagung gern auch noch auf diejenigen Kolleginnen und Kollegen aus den vergangenen Legislaturperioden erweitern, die ebenfalls viele Jahre mit dafür gekämpft haben, dass es heute dieses Gesetz gibt. Ich denke an Barbara Höll und an Christina oder jetzt Christian Schenk von der Linken, ich denke an Christine Scheel, ich denke an Margot von Renesse, ich denke an Jörg van Essen. All diese Kolleginnen und Kollegen haben ja ebenfalls in den vergangenen Jahren mit dazu beigetragen.

(Beifall bei der LINKEN und der SPD sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Aber leider – dieses Wasser in den Wein kann ich Ihnen leider nicht ersparen – ist der vorliegende Gesetzentwurf auch zum Gegenstand eines aus meiner Sicht sehr unwürdigen Schachers gemacht worden, vor allen Dingen innerhalb der Koalitionsfraktionen. So ist es leider passiert, dass durch einen Änderungsantrag – der Kollege Brunner hat es hier vorgetragen – neues Unrecht geschaffen worden ist.

Bundesweit gilt die Schutzaltersgrenze von 14 Jahren für einvernehmliche sexuelle Handlungen, und dies mit drei Ausnahmen, die in § 182 geregelt sind, nämlich das Ausnutzen einer Zwangslage, Sex gegen Entgelt und das Ausnutzen der fehlenden Fähigkeit des Opfers zur sexuellen Selbstbestimmung. Keiner dieser Fälle berührt unser Gesetzesvorhaben, das wir heute umsetzen wollen. Trotzdem konnten sich einige Kolleginnen und Kollegen vor allen Dingen aus der Unionsfraktion offensichtlich nicht verkneifen, mit Schutzalter 16 eine neue Diskriminierung in den Gesetzentwurf hineinzubringen und damit denjenigen, die eigentlich entschädigt und rehabilitiert werden sollen, doch so einen Makel von Jugendgefährdung anzukleben, der schon immer vor allen Dingen Lesben und Schwulen angehangen wird, und ein bisschen davon bleibt dann doch in der Bevölkerung hängen. Damit schaffen wir eine neue Diskriminierung, und das kann nicht sein.

(Beifall bei der LINKEN, der SPD und dem BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN)

Ich halte das für unwürdig, und mir fehlen eigentlich die Worte für so eine miese Kiste.

Mir fehlen auch die Worte dafür, liebe Kolleginnen und Kollegen von der SPD, dass ihr euch auch noch mit auf diesen Änderungsantrag gesetzt habt, dass ihr nicht zumindest gesagt habt:

(Dr. Karl-Heinz Brunner [SPD]: Ohne uns hätte es nichts gegeben! Sonst hätte es keine Aufhebung gegeben!)

„Macht diesen Scheiß wenigstens alleine!“, dass ihr nicht einmal das fertigbringt. Ihr plustert euch in der Öffentlichkeit immer so auf, und wenn es um die Abstimmung geht, habt ihr keine Eier, um das einmal zu verhindern.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN – Widerspruch bei der SPD – Dr. Jan-Marco Luczak [CDU/CSU]: Ein bisschen unparlamentarisch, Herr Kollege!)

Ich finde es auch sehr schade, dass die Vorschläge und Anträge, die wir als Linke gestellt haben, um das Gesetz noch zu verbessern, keine Berücksichtigung und keine Mehrheit im parlamentarischen Verfahren gefunden haben. Ich nenne hier insbesondere die individuelle Entschädigung. Meine Fraktion hatte vorgeschlagen, dass hierzu das Strafrechtsentschädigungsgesetz zur Grundlage genommen wird. Dies ist von den Koalitionsfraktionen mit der Begründung abgelehnt worden, dass dieses Gesetz vor allen Dingen für zu Unrecht Verurteilte geschaffen worden sei. Ja worüber haben wir denn die ganzen Wochen geredet? Über zu Unrecht Verurteilte. Auf wen, wenn nicht auf diese Verurteilten, ist dieses Gesetz anzuwenden? Insofern ist es nicht nachvollziehbar, was Sie da an Begründungen genannt haben,

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Genauso wenig nachvollziehbar ist Ihre Ablehnung der besonderen Zuwendung an Haftopfer in Höhe von 300 Euro bei Haftstrafen über 30 Tage, Ihr Widerstand gegen die Übertragung der Ansprüche aus der Individualentschädigung auf Lebens- und Ehepartner, wenn der Anspruchsberechtigte zwischen dem Beantragen der Entschädigung und ihrer Bewilligung versterben sollte, und vor allem Ihre Haltung zur Kollektiventschädigung.

Zur Kollektiventschädigung werden wir in der nächsten Legislaturperiode eine neue Initiative ergreifen, weil das, wie ich denke, nicht zur heutigen Abstimmung passt. Wir werden hier dem Gesetzentwurf zustimmen, auch wenn ich diese Kritik hier vorgetragen habe;

(Beifall der Abg. Dr. Sabine Sütterlin-Waack [CDU/CSU])

denn wir wollen, dass das gesamte Haus deutlich macht, dass dieses Unrecht wiedergutgemacht werden muss. Das wollen wir nicht mit Kampfabstimmungen überschatten. Insofern hätte ich mir auch gewünscht, dass wir heute nicht auch über einen Gesetzentwurf der Grünen abstimmen müssten. Bei der Abstimmung über diesen Gesetzentwurf werden wir uns – leider – enthalten, aber dem Gesetzentwurf der Bundesregierung werden wir zustimmen.

Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN – Dr. Karl-Heinz Brunner [SPD]: Also auch keine Eier!)