Zum Hauptinhalt springen

Gute Gesundheitsversorgung statt Gesundheitsmarkt in der EU

Rede von Harald Weinberg,

Bundesregierung soll Gesundheitsrichtline im Europäischen Rat ablehnen

Die Rede ging zu Protokoll.

Anrede,

eine übergroße Mehrheit von etwa 80 Prozent der Bevölkerung will, dass bei der Gesundheitsversorgung Reiche solidarisch mit Armen sind. Die Qualität der Gesundheitsversorgung soll nicht vom Geldbeutel abhängen. Das will die Bevölkerung, das will DIE LINKE und das wollen, zumindest verbal, auch alle anderen im Deutschen Bundestag vertretenen Parteien.
Doch genau das Gegenteil möchte die Bundesregierung nun im Europäischen Rat beschließen. Diese Einschätzung will ich Ihnen gerne begründen:
„EU-Richtlinie über die Ausübung der Patientenrechte in der grenzüberschreitenden Gesundheitsversorgung“ – um diese Richtlinie geht es im Rat – klingt bürokratisch bis nett. Schließlich hat niemand etwas gegen Patientenrechte und auch DIE LINKE will, dass eine Gesundheitsversorgung in anderen EU-Staaten stattfindet – zum Nutzen der Patientinnen und Patienten. Das ist aber auch jetzt schon möglich. Nach der geplanten Richtlinie sollen in der EU Versicherte das Recht haben, sich in anderen Staaten gegen Vorkasse versorgen zu lassen und die Krankenversicherung zu Hause zahlt dem Versicherten das zurück, was sie auch im Herkunftsland erstattet hätte.
Das ist eine höchstproblematische Regelung. Denn wer profitiert davon: Erstens profitieren fast ausschließlich Versicherte in wohlhabenden EU-Ländern; die Menschen in den armen Ländern Europas gehen leer aus. Beispiel Rumänien: Bei den niedrigen Erstattungssätzen, die dort existieren wird kaum ein Rumäne zukünftig eine Behandlung in Deutschland attraktiv finden. Umgekehrt aber könnten viele Deutsche sich in Osteuropa behandeln lassen, weil die Kostenerstattung der deutschen Gesetzlichen Krankenversicherung dort eine Luxusbehandlung ermöglicht. Die osteuropäischen Patienten haben das Nachsehen, weil die dort ansässigen Ärzte und Zahnärzte zunehmend Versicherte aus den westeuropäischen Ländern behandeln und für die einheimische Bevölkerung nicht mehr oder nur gegen Aufpreis zur Verfügung stehen. So wird in den ärmeren Ländern die Versorgung gestört. Umgekehrt können die Menschen aus den ärmeren Ländern jedoch auch nicht die Ärzte in Westeuropa in Anspruch nehmen, weil dafür das Geld fehlt. Wie war das? Die Starken stehen für die Schwachen ein? Genau das Gegenteil passiert mit dieser Richtlinie.

Auch innerhalb eines Mitgliedsstaates das gleiche Bild: Nur die Wohlhabenden profitieren von dieser Regelung. Nur Menschen mit ausreichendem Vermögen oder Einkommen können es sich leisten, die Fahrt, Übernachtung und die Behandlung im Ausland samt Beratung vorzufinanzieren. Nur diejenigen mit dem nötigen Know-how wissen überhaupt von diesen Möglichkeiten. Nur wer über ausreichende Sprachkenntnisse verfügt und obendrein noch gesund genug ist, um zu seiner Behandlung zu fahren, wird diese neuen Möglichkeiten nutzen können. Und wer aus einem armen Mitgliedsstaat kommt, der kaum etwas erstattet, muss dafür umso reicher sein. Ein kranker Geringverdiener aus Deutschland oder ein Hartz-IV-Betroffener wird nicht die billige Zahnbehandlung am Balaton mitsamt Urlaub vorfinanzieren können. Das Nachsehen haben die akut Kranken und die Armen. Solidarität der Starken mit den Schwachen? Die steht hier noch nicht einmal auf dem Papier.

Weshalb aber wird dieses Projekt der Gesundheitsrichtlinie, die aus der Bolkestein-Richtlinie erwachsen ist, dann so gefördert von der Mehrheit des Europäischen Parlaments der Kommission und auch der europäischen Regierungen? „It’s the economy, stupid!“ könnte man darauf antworten. Nach dem festen Willen der vorherrschenden marktliberalen Kräfte in der EU und ihrer Mitgliedsstaaten soll die Gesundheitsversorgung vermarktlicht werden. Die „Gesundheitswirtschaft“, das liebste Kind nicht zuletzt auch unseres Gesundheitsministers, soll gefördert werden. Herr Rösler hält zum Beispiel die deutschen Krankenhäuser für sehr gut aufgestellt in dem sich abzeichnenden Wettbewerb und begrüßt daher die neue Freiheit des Gesundheitsmarktes.

Diese Richtlinie will den liberalisierten Gesundheitsmarkt. Falls sich diese Ideologie durchsetzt, dann haben diejenigen Krankenhäuser und Ärzte gute Chancen auf dem Gesundheitsmarkt, die sich möglichst nicht an den Kranken, sondern am Geld orientieren. DIE LINKE will keine gewinnsüchtigen Gesundheitsdienstleister im Wettbewerb um die europaweit lukrativsten Patientinnen und Patienten, sondern eine gute medizinische Versorgung von allen Menschen in Europa unabhängig von Einkommen und Vermögen.
Die Richtlinie, wie sie vorliegt, schafft also eine Menge Probleme und ist unsozial. Sie ist aber auch unnötig: Alle Fragen der Übernahme von Behandlungskosten in der EU-weiten Patientenmobilität können und sollten im Rahmen der bestehenden EU-Verordnung zur Koordinierung der Sozialschutzsysteme gelöst werden. Hier gelten das Bestimmungsland- und das Sachleistungsprinzip. Patientinnen und Patienten aus dem EU-Ausland werden nach den gleichen Leistungs- und Qualitätsstandards behandelt wie inländische, ohne in Vorkasse gehen zu müssen. Die Abrechnung erfolgt zwischen den zuständigen Stellen der Mitgliedsstaaten.

DIE LINKE begrüßt die Europäische Integration. Wir wollen sie in Richtung einer europäischen Sozialunion befördern und setzen uns für ein demokratisches, soziales, ökologisches und friedliches Europa mit guten Lebenschancen für alle ein. Wir wollen, dass alle in Europa lebenden Menschen eine Gesundheitsversorgung auf dem Stand der Wissenschaft erhalten. Wir wollen nicht, dass der Füllstand des Portemonnaies den Ausschlag dafür gibt, welche Versorgung man sich leisten kann.

Deshalb fordern wir die Bundesregierung mit dem vorliegenden Antrag auf, die Gesundheitsrichtlinie im Europäischen Rat abzulehnen. Das wäre ein Signal gegen den Markt und für die Patientinnen und Patienten.