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Gute Arbeit - unbehindert!

Rede von Ilja Seifert,

Rede zu Protokoll; TOP 41
Antrag DIE LINKE „Gute Arbeit – unbehindert“


Bist Du noch beschäftigt oder arbeitest Du schon? Diese Frage spaltet die Behindertenbewegung. Na ja, manchmal. Ein bißchen.


Beschäftigt sind Menschen mit Behinderungen ständig. Sie organisieren ihr Leben zwischen verschiedenen Amtsstuben der unterschiedlichen Leistungsgewährung. Sie lernen immer neue Gesetzesinterpretationen und deren Mißachtung kennen. Sie qualifizieren sich als Antragstellerinnen und Antragsteller bzw. als Aktenarchivarinnen und Aktenarchivare.

Und bleiben doch Bittsteller, Pfahlbürger vor den Toren des Arbeitsmarktes. Nicht erwünscht zur „Anschlußverwertung“. 27 % aller beschäftigungspflichtigen Arbeitgeber beschäftigen gar keine behinderten Mitarbeiterinnen oder Mitarbeiter.
34 % kommen ihrer Beschäftigungspflicht nur teilweise nach.
61% verpflichteter Arbeitgeber verstoßen also tagtäglich gegen ein Gesetz. Ohne wirksame Sanktionen.
Und das Ergebnis? Von drei Millionen Menschen mit Behinderungen im erwerbsfähigen Alter sind fast zwei Millionen nicht bezahlt berufstätig. Diese Ausgrenzung diskriminiert. Das wollen wir, DIE LINKE, mit unserm heute im Hohen Haus vorliegenden Antrag überwinden. Und zwar nicht auf dem entwürdigenden Niveau prekärer Beschäftigung.
Die Arbeitslosigkeit unter Menschen mit Behinderung ist doppelt so hoch wie unter denen ohne Handicap. Menschen mit Behinderung werden noch immer über Defizite definiert, genannt „Minderleistung“. Diese Zuschreibung teilen sie mit vielen älteren Menschen, mit Migrantinnen und Migranten sowie mit gering qualifizierten Frauen und Männern ohne Behinderung. Sie gelten als „Kostenfaktor“, gelegentlich gar als „Risiko für den Betriebsfrieden“, als zeitraubende Sonderlinge – nur nicht als Fachkräfte.


Jüngstes Beispiel dafür: Das Ministerium unter Leitung von Frau von der Leyen startete vor wenigen Tagen eine Kampagne, genannt „Fachkräfteoffensive“. Sie richtet sich an potentielle Fachkräfte und Unternehmen. Wen zählt die Fach-Ministerin dazu? Frauen, Migranten, die Generation 50 plus, Schul- und Hochschulabsolventen sowie internationale Fachkräfte. Soso: Wen vergaßen sie und ihre famosen Fach-Beamten wieder einmal? Ei der Daus. Die Fachkräfte mit Behinderungen! Das ist uns jetzt aber peinlich. Nein, nein, selbstverständlich vergessen wir dieses Potential nie! Nur – leider – dieses eine Mal. Ganz aus Versehen. Und – naja, vielleicht? – auch hier noch und da noch.

Dabei konnten viele arbeitslose schwerbehinderte Menschen – nämlich 56 % – unter großen Anstrengungen und mit sehr guten Ergebnissen ihre schulischen oder beruflichen Ausbildungen abschließen. Denn sie sind hochmotiviert. Was also ist die Botschaft Ihrer Kampagne an Menschen mit Handicap? Ihr gehört nicht dazu. Was ist die Botschaft an die Unternehmen? Es bleibt möglich, die gesetzliche Beschäftigungsquote zu unterlaufen. Was ist die Botschaft an die Öffentlichkeit? Fachkräfte dürfen nicht behindert sein.

DIE LINKE will diesen Systemfehler beseitigen. Menschen mit Behinderungen brauchen keine „Sonderwelten“. Dafür den Ausgleich individuell nicht beeinflußbarer Nachteile. Vor allem jedoch wollen wir LINKEN reale Schritte in eine inklusive Arbeitswelt: Nicht die Menschen müssen sich den Arbeitsplätzen anpassen, sondern letztere sind auf die jeweiligen Fähigkeiten zuzuschneiden. Das ist neues Denken á la UN-Behindertenrechts-Konvention. Deshalb fordern wir ein umfassendes Gesetzesscreening. Alle gesetzlichen Hindernisse für reguläre Erwerbsarbeit von Fachleuten mit Beeinträchtigungen müssen beseitigt werden. Vor allem fordern wir einen anderen gesetzlichen Blick: Barrierefreiheit als Gestaltungs-Prinzip der Arbeitsstättenverordnung, bezahlte Arbeitsassistenz und gleiche Bezahlung bei gleicher Arbeit ohne Reduzierung behinderungsbedingter Nachteilsausgleiche.


DIE LINKE will die Situation von Menschen mit Behinderungen schnell verbessern. Deshalb muß die Beschäftigungsquote als Sofortmaßnahme wieder auf 6 % und die Ausgleichsabgabe so angehoben werden, dass Nichtbeschäftigung von Betroffenen der Firma weh tut, nicht den Draußen-Bleibenden. Wer die Beschäftigungsquote übererfüllt, soll dagegen Vorteile haben, z.B. auch steuerliche. Gern greifen wir den Vorschlag von ver.di auf, eine Ausbildungsquote und bei Nichterfüllung eine Ausbildungsplatzabgabe für Jugendliche mit Behinderungen einzuführen.


Wir wollen die Arbeitsagentur als einheitliche Anlauf- und Vermittlungsstelle mit hoch qualifiziertem Personal sowie starke Integrationsfachdienste, die nicht nur vermitteln, sondern auch dauerhaft im Job begleiten. Und zwar nach dem peer-counseling-Ansatz: Betroffene beraten und begleiten Betroffene.


Als Experten in eigener Sache brauchen sie Mitbestimmung, sowohl in Betriebsräten, als Schwerbehindertenvertretungen oder als Werkstatträte, gleichlautend verankert im Betriebsverfassungsgesetz, in der Werkstättenmitwirkungsverordnung und im SGB IX. Es geht um Stimmrechte gegenüber der Geschäftsführung. Und um echte Verbandsklagerechte. Sie sollen auch dann klagen dürfen, wenn kein einzelner behinderter Mensch es wagt, Klage zu erheben.


Werkstätten wollen wir weiterentwickeln. Zunächst in Richtung Integrationsunter-nehmen mit existenzsichernder Bezahlung und Mitbestimmung. Jede und jeder in der Werkstatt hat das Recht auf ein reguläres Arbeitsverhältnis mit tariflicher Entlohnung, nicht nur auf Außenarbeitsplätzen. Gegenwärtig erhalten Werkstattbeschäftigte jedoch nur ein Entgelt, oft in der Höhe von Almosen. Möglich macht das der „arbeitnehmerähnliche Status“. Er definiert sie nach völlig veralteten Kriterien als „Beschäftigte“. Und das sind k e i n e Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer. Igitt! Aber genau das sollen sie werden. Selbstverständlich bei Beibehaltung erforderlicher Nachteilsausgleiche.


Gegenwärtig wächst in den Werkstätten die Zahl derjenigen, die ausgebrannt vom sogenannten regulären Arbeitsmarkt wegen psychischer Probleme „aufgefangen“ oder über psychologische Gutachten der Arbeitsagenturen sogar hineingedrängt werden. Sie erbringen eine „wirtschaftlich verwertbare Leistung“, wie es diskriminierend heißt: Mehrfach schwerstbehinderte Menschen werden durch diese Bezeichnung aus der Werkstatt gedrängt.

Ja, ich weiß – viele sind froh, wenigstens in der Werkstatt tätig zu sein. Doch bleibt es für uns politische Aufgabe, zu verhindern, dass Menschen aus unabhängigen Lebensverhältnissen herausfallen, dass in sogenannten Normalarbeitsverhältnissen „Behinderung“ produziert wird. Dass sie in Sonderwelten abgeschoben werden, aus denen sie nicht mehr zurückkehren können.

Die genaue Umkehrung entspräche der UN-Behindertenrechtskonvention. Deren Artikel 27 fordert „das Recht auf die Möglichkeit, den Lebensunterhalt durch Arbeit zu verdienen, die in einem offenen, inklusiven und für Menschen mit Behinderungen zugänglichen Arbeitsmarkt und Arbeitsumfeld FREI GEWÄHLT ODER ANGENOMMEN WIRD.“ Eine solche inklusive Arbeitswelt wäre übrigens auch kostengünstiger als der Fürsorgeapparat.

Dafür stellen wir unseren Antrag zur öffentlichen Diskussion: Arbeit erfüllt Teilhabe mit einem konkreten Sinn. Teilhaben heißt, sich seinen Teil nehmen und seinen Teil geben können. Jede und Jeder ist fähig, kreativ zu sein, etwas hervorzubringen. Es geht deshalb erstens darum, von staatlichen Alimenten unabhängig zu sein. Dafür wollen und brauchen wir zweitens eine Wirtschaft, die Arbeit von den Fähigkeiten her denkt und diese entwickelt, statt sie zu verschleißen. Wir fordern gute Arbeit für jeden Menschen – und man kann selbst die geringste Arbeit gut machen. Wenn das Umfeld barrierefrei ist, Assistenz begleitend unterstützt und die Arbeitenden wirklich mitentscheiden.

Lassen sie uns endlich daran arbeiten. Wenn das streßfrei, fähigkeitsfördernd und armutsfest ist, können wir es gern ganz modern „Beschäftigung“ nennen.