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Großer Wurf ins Ungewisse

Rede von Barbara Höll,

Das sind in dieser Legislaturperiode bereits die Steuergesetze Nummer drei und vier. Der große Wurf waren sie bisher alle nicht. Man hat den Eindruck, Sie bemühen sich in dem Wettbewerb: Wie denke ich mir eine schöne Überschrift aus und halte dabei den Inhalt möglichst klein? Barbara Höll in der Debatte zu den Gesetzentwürfen der Koalition zur steuerlichen Förderung von Wachstum und Beschäftigung (Drs. 16/753) und zur Eindämmung missbräuchlicher Steuergestaltungen (Drs. 16/749)

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Die vorliegenden Gesetzentwürfe, über die wir heute debattieren, sollen der ganz große Wurf werden. Wir sprechen über den Entwurf eines Gesetzes zur steuerlichen Förderung von Wachstum und Beschäftigung und zu dem Entwurf eines Gesetzes zur Eindämmung missbräuchlicher Steuergestaltungen. Das sind in dieser Legislaturperiode bereits die Steuergesetze Nummer drei und vier. Der große Wurf waren sie bisher alle nicht. Man hat den Eindruck, Sie bemühen sich in dem Wettbewerb: Wie denke ich mir eine schöne Überschrift aus und halte dabei den Inhalt möglichst klein? Das sieht man auch am Finanztableau und zudem daran, worüber wir bei der Behandlung dieser Gesetze in der Öffentlichkeit am meisten diskutiert haben. Mit dem Entwurf eines Gesetzes zur steuerlichen Förderung von Wachstum und Beschäftigung wollen Sie mit dem steuerlichen Teil dafür sorgen, dass es mit der wirtschaftlichen Entwicklung jetzt richtig vorwärts geht. Wie soll es denn vorwärts gehen? Die umfangreichste Maßnahme in Ihrem Programm ist die Verbesserung der Abschreibungsbedingungen, mit der Sie die Absetzung für Abnutzung von 20 auf 30 Prozent heraufsetzen. Vor fünf Jahren sind Sie von der SPD, die Sie auch damals an der Regierung waren, den umgekehrten Weg gegangen. Damals hat die Maßnahme nicht richtig gegriffen. Nun soll sie richtig greifen? Es fragt sich - vor allem vor dem Hintergrund, dass Sie im nächsten Jahr die Mehrwertsteuer erhöhen wollen -, ob das Erfolg haben kann. Hinsichtlich der steuerlichen Geltendmachung von Handwerkerleistungen ist interessant, dass Sie zum einen auch bei den Handwerksdienstleistungen die Mehrwertsteuer von 16 auf 19 Prozent erhöhen und zum anderen eine Steuererstattung von 20 Prozent der Arbeitskosten ermöglichen wollen. Das heißt de facto nichts anderes, als dass Sie bei den haushaltsnahen Handwerkerleistungen nicht nur die Mehrwertsteuererhöhung zurücknehmen, sondern der Kunde bekommt gleich die ganze Mehrwertsteuer wieder zurück. Damit wollen Sie 50 000 Arbeitsplätze schaffen. Erstens glaube ich, dass wir mit 50 000 zusätzlichen Arbeitsplätzen nicht das Problem der über 5 Millionen Arbeitslosen in der Bundesrepublik Deutschland lösen werden. (Beifall bei der LINKEN) Zweitens sollten Sie sich besser zu ernst zu nehmenden Maßnahmen aufschwingen. Im Zusammenhang mit dem Gesetzentwurf wurde in der Öffentlichkeit die Möglichkeit der steuerlichen Absetzbarkeit von Kinderbetreuungskosten am heißesten diskutiert. Richtig wäre es gewesen, wenn der Bund den Weg zu einer elternbeitragsfreien Kinderbetreuung für alle Kinder geebnet hätte. Dann müssten wir nicht darüber diskutieren, welches steuerliche Modell am besten greift. (Beifall bei der LINKEN) Wir haben im Bundestag einen entsprechenden Vorschlag eingebracht. Sie haben klar signalisiert, dass Sie sich nicht entschließen konnten, diesem Weg zu folgen. Sie haben zwar einen Gesetzentwurf vorgelegt, aber Ihr Vorhaben ist sozial ungerecht. Ich glaube, es lohnt sich, Ihnen das deutlich zu machen. In sehr vielen Kommunen sind - sofern überhaupt Kindertagesbetreuung möglich ist - die Beiträge gleich hoch, wenn die Eltern über ein Einkommen verfügen, egal ob es 36 000 oder 70 000 Euro im Jahr beträgt. Die Eltern zahlen trotz unterschiedlicher Einkommen gleich hohe Beiträge. Ausgehend von etwa 3 600 Euro Kinderbetreuungskosten im Jahr heißt das auf Ihr Modell bezogen, dass eine Familie mit einem Einkommen von 36 000 Euro eine steuerliche Entlastung in Höhe von 640 Euro erfährt. Das ist zunächst einmal gut und wir unterstützen das auch. Aber eine Familie mit einem Einkommen von 70 000 Euro wird bei gleicher Beitragszahlung um 830 Euro entlastet. Das halte ich für sozial ungerecht. (Beifall bei der LINKEN) Deshalb haben wir einen Änderungsantrag vorgelegt, mit dem wir das heilen wollen, was möglich ist. Wir sehen eine steuerliche Rückerstattung für alle in gleichem Maße vor; ohne Progressionsvorbehalt kann wenigstens bei dieser Regelung soziale Gerechtigkeit erreicht werden, auch wenn sie dann immer noch nicht unseren Vorstellungen entspricht. In dem zweiten Gesetzesvorhaben, das heute beraten wird, geht es um die Eindämmung missbräuchlicher Steuergestaltungen. In diesem Zusammenhang ist festzustellen, dass das meiste, was Sie damit angehen, nur der Klarstellung dient, dass die legale Steuerumgehung nicht mehr möglich sein soll. Aber das bezieht sich nur auf einen sehr kleinen Bereich. Ich frage Sie ernsthaft: Warum sind Sie auch hier nicht mutig genug, die richtigen Steuerumgehungsmöglichkeiten anzugehen? Warum ist es möglich, dass in Deutschland internationale Konzerne Gewinne erwirtschaften und dadurch, dass sie ihre Bemessungsgrundlage über Lizenzgebühren und Schuldzinsen ins Ausland verlagern können, hier de facto keine Steuern zahlen? Das ist doch das Problem. Hier geht es um Größenordnungen, die ein Herangehen lohnen. Dazu sollten Sie den Mut aufbringen. (Beifall bei der LINKEN) Wir als Linksfraktion schlagen Ihnen vor: Gehen Sie das an! Stellen Sie sich den Erfordernissen im Steuerrecht. Im Einkommensteuerbereich ist eine Anhebung des steuerfreien Existenzminimums notwendig. Wir brauchen endlich eine Modernisierung des Steuerrechts bezüglich der Steuerklassen und eine Reform der Unternehmensbesteuerung, die sicherstellt, dass auch bei Unternehmen eine Besteuerung nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit erfolgt, so wie es im Einkommensteuerrecht gelten müsste. Gerade nach der gestrigen Debatte mit der Forderung der FDP und der Erwiderung durch die CDU/CSU fordern wir Sie auf: Lassen Sie die Finger von der Gewerbesteuer! Sie ist die einzige halbwegs stabile Finanzierungsgrundlage für die Kommunen und bietet zum Beispiel die Basis für die öffentliche Kinderbetreuung, einen wesentlichen Aufgabenbereich der Kommunen. Dem Problem der über 5 Millionen Arbeitslosen müssen Sie sich auf andere Weise stellen, nicht mit einem solchen Klein-Klein. Legen Sie endlich Vorschläge vor, wie Sie das Problem sozial gerecht und vorwärts weisend angehen wollen! Wenn Sie nicht weiterwissen, können Sie gerne in unserem Steuerkonzept nachlesen. Ich danke Ihnen. (Beifall bei der LINKEN)