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Gleichstellungsgebot des Grundgesetzes auf dem Arbeitsmarkt durchsetzen!

Rede von Karin Binder,

Die Gleichberechtigung von Frauen auf dem Arbeitsmarkt ist in vielen Bereichen noch nicht verwirklicht. Frauen sind im Erwerbsleben nach wie vor massiv benachteiligt. Um nur einige Beispiele zu nennen: Sie bekommen laut einer Studie der Hans Böckler Stiftung bis zu 20% weniger Lohn als ihre männlichen Kollegen allein aufgrund ihres Geschlechts. Über zwei Drittel der ausschließlich geringfügig Beschäftigten sind weiblich. Der Anteil der Frauen, die weniger als 15 Stunden wöchentlich erwerbstätig sind, hat sich in den letzten 15 Jahren mehr als verdoppelt. Damit sind wir zurück beim klassischen „Ernährermodell“. Mann geht arbeiten - sofern er noch Arbeit hat - Frau ist wieder für die Familie und Hausarbeit zuständig und verdient dazu - in Lohnsteuerklasse 5. Dieses staatlich geförderte Ernährermodell ist ein kulturelles und sozial¬politisches Relikt aus dem 19. Jahrhundert. Es hat nichts, aber auch gar nichts mit Gleichberechtigung von Männern und Frauen zu tun. Abgesehen davon geht es auch gesellschaftspolitisch an den Anforderungen des 21. Jahrhunderts vorbei. Wir fordern deshalb dringend die Einführung eines Gleichstellungsgesetzes in der Privatwirtschaft. Freiwillige Regelungen reichen nachweislich nicht aus.

Frau Präsidentin! Frau Ministerin! Meine Damen und Herren! Im Jahre 1910 hat die deutsche Sozialistin und Feministin Clara Zetkin den Grundstein für den gestrigen Internationalen Frauentag gelegt. Es ging ihr und ihren Mitstreiterinnen darum, Frauenrecht als Menschenrecht durchzusetzen. Die Frauenrechtsbewegung hat seit dieser Zeit einige Erfolge und damit auch einen großen gesellschaftlichen Fortschritt erzielt. Trotzdem gibt es noch viel zu tun. (Beifall bei der LINKEN) Die Gleichberechtigung von Frauen ist in vielen Bereichen noch lange nicht verwirklicht. Die aktuellen Berichte der Europäischen Kommission, der Bundesregierung und der Hans-Böckler-Stiftung liefern sehr anschauliches, ausführliches und detailliertes Datenmaterial und ernüchternde Ergebnisse. Sie belegen eines sehr deutlich: Frauen sind im Erwerbsleben nach wie vor massiv benachteiligt. Frauen verdienen im Durchschnitt circa 20 Prozent weniger als Männer. Deutschland steht damit in der EU an drittletzter Stelle. Die Europäische Kommission stellte fest, dass die geschlechtsspezifische Lohndifferenz in Deutschland im Gegensatz zu der in anderen europäischen Staaten nicht kleiner, sondern größer wird. Wenn diese Tendenz anhält, dann bringen wir es bald zur roten Laterne in der EU. Nach dem WSI-Frauendatenreport der Hans-Böckler-Stiftung verdienen Frauen in Westdeutschland allein aufgrund ihres Geschlechts bis zu einem Drittel weniger. Im Osten fällt der Unterschied etwas geringer aus, aber das ist keine wirklich gute Nachricht; denn dort verdienen auch die Männer einfach weniger. Liebe Kolleginnen und Kollegen, hier besteht eindeutig Handlungsbedarf. (Beifall bei der LINKEN) Es ist nicht damit getan, dass wir § 612 Abs. 3 ins Bürgerliche Gesetzbuch geschrieben haben, der die unterschiedliche Bezahlung von Frauen und Männern verbietet. Wir brauchen zu dem verbindliche Verfahrensvorschriften, zum Beispiel ein Entgeltgleichheitsgesetz wie in Schweden. Dort müssen Arbeitgeber, die mehr als zehn Beschäftigte haben, Entgeltunterschiede erklären und sie müssen einen Aktionsplan für die Angleichung der Arbeitsentgelte aufstellen. Wir fordern deshalb dringend die Einführung eines Gleichstellungsgesetzes für die Privatwirtschaft. (Beifall bei der LINKEN) Freiwillige Regelungen reichen nachweislich nicht aus. Nun komme ich zur Erwerbsbeteiligung. In Deutschland arbeiten generell weniger Frauen als Männer in sozialversicherungspflichtigen Beschäftigungsverhältnissen. Wenn Frauen eine Erwerbstätigkeit aufnehmen, dann ist das immer häufiger eine Teilzeitstelle oder gar ein Minijob. Über zwei Drittel der ausschließlich geringfügig Beschäftigten sind weiblich. Der Anteil der Frauen, die weniger als 15 Stunden wöchentlich arbeiten, hat sich in den letzten 15 Jahren verdoppelt. Solange wir dem nicht entgegenwirken, ist vielen Frauen eine eigenständige Existenzsicherung schlicht und ergreifend nicht möglich. Das heißt in der Konsequenz, sie sind finanziell wieder verstärkt von ihrem Partner oder von staatlicher Unterstützung abhängig. Dieses staatlich geförderte Ernährermodell ist kulturell und sozialpolitisch ein Relikt aus dem 19. Jahrhundert. (Beifall bei der LINKEN) Abgesehen davon geht es auch gesellschaftspolitisch an den Anforderungen des 21. Jahrhunderts vorbei. Der Mann geht arbeiten, sofern er überhaupt Arbeit hat, die Frau ist wieder für Familie und Hausarbeit zuständig und verdient dazu - in Lohnsteuerklasse V. Das Ehegattensplitting ist ein gravierendes frauenfeindliches Element in unserem Steuerrecht. Unser Steuerrecht muss deshalb dringend geändert und gegendert werden, (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN) wenn der Staat seinem Auftrag nach Art. 3 Abs. 2 Grundgesetz nachkommen will, der dem Staat vorgibt, die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung von Frauen und Männern zu fördern und auf die Beseitigung bestehender Nachteile hinzuwirken. Wir müssen in diesem Land endlich anfangen, die bezahlte und die unbezahlte Arbeit umzuverteilen: zwischen Arbeitsplatzbesitzerinnen/Arbeitsplatzbesitzern und Erwerbslosen, (Beifall bei der LINKEN) aber auch geschlechtergerecht zwischen Frauen und Männern; Arbeit ist schließlich mehr als genug vorhanden. Aber dazu ist ein gesamtgesellschaftliches Umdenken bei der geschlechtsspezifischen Arbeitsteilung nötig und die Abkehr vom Ernährermodell zwingend. Wir müssen dafür sorgen, dass Frauen und selbstverständlich auch Männer von ihrem Einkommen leben können. Dazu brauchen wir neue Arbeitsplatz- und Arbeitszeitmodelle und dazu ist die Ausweitung des öffentlichen Beschäftigungssektors dringend erforderlich. (Beifall bei der LINKEN) Wir brauchen existenzsichernde, sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze und einen staatlich festgelegten Mindestlohn statt 1 Euro Jobs, Minijobs und Niedriglohntarife. (Beifall bei der LINKEN) Liebe Kolleginnen und Kollegen, wir brauchen die Vereinbarkeit von Familie und Beruf dringend und das nicht nur auf dem Papier. In Deutschland gibt es auch heute noch viele Ecken speziell im Westen , wo die Vereinbarkeit von Erwerbsarbeit und Familienpflichten schlicht unmöglich ist. Wissen Sie, wie die Betreuungssituation in Baden-Württemberg aussieht? Für Kinder unter drei Jahren gibt es so gut wie keine Betreuungsangebote. (Zuruf von der LINKEN: CDU-Bundesland!) Auf 1 000 Kinder kommen circa 13 Betreuungsplätze. Wie soll da eine junge Mutter ihre gute Qualifikation erhalten? Die Halbwertszeit für Wissen ist heute extrem kurz. Wenn sie drei Jahre zu Hause bleibt, ist ihr Fachwissen eventuell schon überholt. Dank unserer hohen Mobilität und Flexibilität in der Arbeitswelt wohnt Oma heute leider nicht mehr um die Ecke, nein, sie wohnt am anderen Ende von Deutschland; denn die jungen Menschen müssen ihr soziales Umfeld für die Chance auf einen Arbeitsplatz häufig verlassen. Da greifen nicht mehr die gewohnten Strukturen von Familie und Freundeskreis. Kinderbetreuung, aber auch andere Leistungen müssen heute erkauft werden. Dies geht jedoch nur, wenn das Geld dafür auch da ist. Wenn das Geld dafür fehlt, helfen auch keine Steuerbegünstigungen. Dann hat Frau die Wahl: Entweder sie bleibt ganz zu Hause und kümmert sich um Kinder, Küche und den Gemüsegarten oder sie hat nebenher noch einen so genannten 400-Euro-Job, damit wenigstens noch ein kleines Zubrot ins Haus kommt. Aus diesem Grund fordern wir einen Rechtsanspruch auf ganztägige Betreuung für alle Kinder von Geburt an und ein flächendeckendes, qualifiziertes und kostenfreies Betreuungsangebot für Kinder und Jugendliche von null bis 14 Jahren. (Beifall bei der LINKEN) Solange es in der Bundesrepublik keine ausreichende Kinderbetreuung gibt und solange in der Regel Frauen diesen Mangel auffangen müssen, kann keine Rede von Geschlechtergerechtigkeit und Chancengleichheit auf dem Arbeitsmarkt sein. Damit bin ich beim Thema Arbeitszeit, das mich seit mehreren Wochen besonders beschäftigt. Wie Sie wissen, sollen Beschäftigte im öffentlichen Dienst wieder länger arbeiten. Dabei geht es nicht nur um 18 Minuten Mehrarbeit am Tag, sondern es geht auch um Zigtausend Arbeitsplätze im Land bis zu 250 000 , die abgebaut werden sollen. (Zuruf von der LINKEN: Pfui!) Damit geht es auch um einen erneuten Angriff auf die Gleichstellung von Männern und Frauen. Die Erhöhung der Arbeitszeit noch dazu ohne Lohnausgleich, wie es die Arbeitgeber fordern bedeutet für die Beschäftigten nicht nur Einkommenseinbußen und niedrigere Stundenlöhne, längere Arbeitszeiten sorgen auch für weniger Freizeit, weniger Zeit für Familie, weniger Zeit für Kinder, weniger Zeit für Angehörige, weniger Zeit für das soziale Umfeld und persönliche Beziehungen (Beifall bei der LINKEN) und auch weniger Zeit für das wichtige und oft geforderte bürgerschaftliche Engagement. In der Regel werden die Männer diese Arbeitszeitverlängerung auf sich nehmen. Das zwingt aber die in Teilzeit arbeitenden Frauen meist, ihre Erwerbstätigkeit weiter zu reduzieren, da sie in der Regel die soziale Hauptverantwortung im privaten Bereich tragen und dort die Hauptarbeit leisten. Dies hat für die Frauen wiederum Einkommensverluste und, was noch schwerer wiegt, weitere Einbußen bei der Altersrente zur Folge. Sie, die öffentliche Hand als Arbeitgeber, führen unsere Gesellschaft zurück in eine vermeintlich vergangene Zeit und zementieren längst überholte Rollenverteilungen der Geschlechter. Einmal abgesehen davon, dass ein Zurück zur 40-Stunden-Woche angesichts der Erwerbslosenzahlen in Deutschland schlicht und ergreifend rückschrittlich und kontraproduktiv ist: Längere Wochenarbeitszeiten ohne Lohnausgleich sind aus frauenpolitischer Sicht und unter dem Aspekt der Geschlechtergerechtigkeit ein kompletter Unsinn und der völlig falsche Weg. (Beifall bei der LINKEN) Deshalb sollten nicht nur meine Fraktion und ich, sondern wir alle die Streikenden in ihrem Bemühen um die Beibehaltung der bisherigen Arbeitszeit unterstützen. (Beifall bei der LINKEN) Unser Staat muss laut Verfassung die tatsächliche Durchsetzung der Gleichberechtigung fördern und dafür sorgen, bestehende Nachteile zu beseitigen. Dazu muss er gegebenenfalls gesetzliche Regelungen abschaffen oder zumindest ändern, wenn sich herausstellt, dass sie in ihrer Wirkung Frauen benachteiligen. Damit komme ich zum Schluss auf Hartz IV zu sprechen. Durch die Bedarfsgemeinschaft à la Hartz IV und die Anrechnung des Partnereinkommens werden überwiegend Frauen vom Bezug staatlicher Leistungen ausgeschlossen. Sie werden finanziell in die Abhängigkeit ihres Partners gedrängt. Außerdem verlieren sie Rentenansprüche und das Recht auf Vermittlung und Weiterbildung durch die Bundesagentur. Auch damit wird das überkommene Ernährermodell und die ganz konkrete Benachteiligung von Frauen zementiert. Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Frau Kollegin, kommen Sie bitte zum Schluss. Karin Binder (DIE LINKE): Mein letzter Satz. Das Konstrukt der Bedarfsgemeinschaft ist unsozial, ungerecht und frauenfeindlich und muss schleunigst abgeschafft werden. (Beifall bei der LINKEN) Es muss durch den Individualanspruch auf eine existenzsichernde Grundsicherung für Frauen und Männer ersetzt werden. Ich danke. (Beifall bei der LINKEN) Vizepräsidentin Katrin Göring-Eckardt: Frau Kollegin, das war Ihre erste Rede hier. Dazu gratuliere ich Ihnen im Namen des ganzen Hauses und wünsche Ihnen viel Erfolg bei der Arbeit. (Beifall)