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Glaubwürdigkeitsproblem im Antidopingkampf

Rede von Jens Petermann,

204. Sitzung des Deutschen Bundestages, 8. November 2012
TOP 10: Neue Struktur der Nationalen Antidoping Agentur und Doping an Olympiastützpunkten
Drucksachen 17/11320, 17/8896, 17/10083
Jens Petermann für die Fraktion DIE LINKE


Sehr geehrter Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Mafiöse Strukturen und systematisches Doping im Sport gehen Hand in Hand. Besonders exemplarisch und spektakulär ist der Fall Armstrong, der die Sportwelt in den vergangenen Wochen und Monaten wie kaum ein anderes Ereignis erschütterte. Der Abgrund - er wurde von vielen kundigen Beobachtern der Szene bereits seit Langem vermutet - ist jetzt sichtbar. Die Tragweite ist bislang noch unklar. Sportfunktionäre, insbesondere bei der Internationalen Radsport-Union, ringen förmlich nach Luft. Hier geht es nicht nur um das tragische Schicksal einer einzelnen Person. Hinter dem Skandal Armstrong steckt ein ganzes System aus Sportärzten, Sportfunktionären, Sportlern und Geschäftsleuten.
In besonders erschreckendem Ausmaß zeigt sich, wie mit Doping im Sport skrupellos Geschäfte gemacht werden. Die Kommerzialisierung des Sports ist eine wesentliche Ursache für ein betrügerisches Dopingsystem, das offensichtlich im Alltag der Sportwelt einen festen Platz hat. Das gibt uns allen, die ein Herz für den Sport haben, zu denken. Lassen Sie uns also das zum Anlass nehmen, um über Parteigrenzen hinweg nach Lösungen zu suchen. Ein wesentliches Moment ist die Verfolgung und Aufklärung von Dopingdelikten. Leider - das ist hier schon angeklungen - können wir mit der NADA, wie sie derzeit aufgestellt ist, keinen Staat machen.
Die Aufdeckung des Falls Amstrong wäre wohl nie gelungen, wenn die US-Anti-Doping-Agentur nicht so einen langen, vor allem finanziellen, Atem gehabt hätte. Herr Bergner, da haben Sie völlig recht. Bereits 2003 hatte die US-amerikanische Anti-Doping-Agentur Einnahmen von über 10 Millionen US-Dollar, übrigens deutlich mehr als die Hälfte aus Zuwendungen des Staates. Das jährliche Gefeilsche im Sportausschuss um 1 Million Euro ist vor diesem Hintergrund wirklich lächerlich und ein Armutszeugnis.
                  (Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der SPD
                               und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)
Im Zentrum der Lösungen, nach denen wir gemeinsam suchen sollten, muss aus unserer Sicht vor allem eine Verbesserung der Prävention stehen. Doping ist kein alleiniges Phänomen des Spitzensports. Doping ist leider auch im Jugend- und Breitensport weit verbreitet. Hier geht es neben der Moral vor allem auch um die Gesundheit Tausender Menschen. Nierenschäden, Herzschwäche, Hautveränderungen und Veränderungen der Geschlechtsmerkmale sind nur einige der Nebenwirkungen, die insbesondere auf Anabolikamissbrauch zurückzuführen sind. Bereits Jugendliche müssen über die Gefahren für Leib und Leben aufgeklärt werden. Vielversprechende Ansätze wie beispielsweise die jährlich stattfindende Regionalkonferenz „Dopingprävention“ der Deutschen Sportjugend müssen zu einem flächendeckenden Angebot weiterentwickelt werden.
                      (Beifall bei der LINKEN)
Dass diese Angebote Geld kosten, ist klar. Weitere Investitionen sind also unausweichlich. In der Pflicht steht dabei vor allem der Bund. Die Bundesregierung schreibt sich in ihrem letzten Sportbericht eine Vorreiterrolle zu. Das finanzielle Engagement indes ist überschaubar und steht in keinem Verhältnis zu den Herausforderungen, die der Anti-Doping-Kampf mit sich bringt. Die Bundesregierung hat sich damit ein echtes Glaubwürdigkeitsproblem geschaffen.
Die Lippenbekenntnisse des Innenministeriums sind für die Galerie und helfen nicht weiter. Besonders pikant wird das Ganze, wenn wir zeitgleich erfahren müssen, dass es an der Bereitschaft zur Aufarbeitung mangelt. Aktuelles Beispiel hierfür ist ein Forschungsprojekt über Doping in Deutschland seit 1950, das vom Deutschen Olympischen Sportbund initiiert und vom Bundesinstitut für Sportwissenschaft beauftragt und gefördert wurde, nun aber offensichtlich nicht beendet werden kann. Das Bundesministerium des Innern und der Deutsche Olympische Sportbund schieben nun den beauftragten Wissenschaftlern den Schwarzen Peter zu. Diese hatten allerdings schon bei der Vorstellung des Zwischenberichts im Jahre 2011 regelwidrige Einflussnahmen durch die Auftraggeber beklagt. Mit dem Mittel der Zensur soll durch Schwärzungen Rücksicht auf prominente Namen aus Sport und Politik genommen werden. Im Sportausschuss wurde das Thema leider auf Mitte Januar verschoben. Dies ist völlig unverständlich. Dies ist ein typischer Fall für brutalstmögliche und zügige Aufklärung.
Frau Präsidentin, ich komme zum Schluss. - So bekommen wir jedenfalls das Thema Doping nicht in den Griff. Die Verantwortlichen müssen endlich ehrlich, unvoreingenommen und ohne politische Rücksichtnahme handeln. Sonst wabert über dem deutschen Anti-Doping-Kampf weiterhin ein Nebelschleier der Scheinheiligkeit.
Danke.
Frau Präsidentin, ich bin jetzt fertig.
                   (Heiterkeit und Beifall bei der LINKEN)