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Girls' Day - mit Behinderungen

Rede von Ilja Seifert,

Heute war Girls’ Day. Eine tolle Initiative, wenn es um ernstgemeinte Veränderungen statt um symbolische Aktionen ginge, wo sich Politikerinnen und Politiker kurzzeitig mit jungen Mädchen schmücken. Bei der nach Postleitzahlen angebotenen Aktionssuche auf der Homepage www.girls-day.de wird man/frau staunen, wie viele Aktionen es gab. Wehe aber, man setzt bei der Aktionssuche noch einen Haken beim Kästchen „Nur rollstuhlgeeignete Veranstaltungen“. Die Angebote schmelzen schneller dahin als das Eis in der Sonne. Passend dazu die zeitliche Einordnung des Tagesordnungspunktes „Frauen und Mädchen mit Behinderung wirksam vor Gewalt schützen und Hilfsangebote verbessern“ am späten Abend, sodass hier die Reden nur zu Protokoll gegeben werden.

Dass Frauen mit Behinderungen nachweisbar in vielen Lebensbereichen einer Mehrfachdiskriminierung ausgesetzt sind, wissen wir spätestens seit dem im November 2005 vom Familienministerium vorgelegten Gender-Datenreport. Das Tempo der Koalition, mit geeigneten Maßnahmen für Veränderung zu sorgen, ist „atemberaubend“. Nicht zu vergleichen mit dem Tempo von Maßnahmen zur Rettung von Banken. Immerhin: Die Entschließung des Europäischen Parlaments wurde am 10. Juli 2007 an die Ausschüsse des Bundestages überwiesen, und am 12. Februar dieses Jahres diskutierten wir in erster Lesung den Antrag der Koalition. Nicht wiederholen möchte ich meine positiven und kritischen Anmerkungen zum Antrag der Koalition in der Plenarrede vom 12. Februar. Insofern sind die dort benannten Forderungen der Linken weiterhin aktuell, und ich hoffe, dass Sie hier noch vor der Bundestagswahl aktiv werden.

Wie sieht es aber im „wirklichen Leben“ aus? Dazu ein Beispiel, über welches heute die Internetplattform www.kobinet-nachrichten.org unter der Überschrift „Aus Kostengründen ins Heim?“ berichtete:

In einem Rechtsstreit vor dem Sozialgericht Hamburg (Az. S 61 SO 328/08) geht es darum, ob eine junge, pflegebedürftige, aber immer selbstständig lebende Frau aus Kostengründen ins Heim gezwungen werden darf. Damit spielt erstmals in einem Rechtsstreit das Übereinkommen der Vereinten Nationen über die Rechte von Menschen mit Behinderungen eine wichtige Rolle. In dem Verfahren geht es um die persönliche Assistenz einer jungen Frau, die die Freie und Hansestadt Hamburg nicht mehr bezahlen will. Sie hat deswegen verfügt, dass statt der erforderlichen Gelder für die persönliche Assistenz nur noch die Kosten für einen Heimplatz gezahlt werden sollen. Die Frau soll also nach dem Willen der schwarz-grün regierten Stadt gegen ihren Willen in ein Heim abgeschoben werden. Die Rechtsgrundlage dafür soll § 13 SGB XII sein, der den prinzipiellen Vorrang der ambulanten Versorgung für den Fall aushebelt, dass die stationäre Versorgung „zumutbar“ sei und die ambulante Versorgung erhebliche Mehrkosten verursacht. Nach Auffassung der jungen Frau stellt diese Bestimmung einen Verstoß gegen Art. 19 des Gesetzes zu dem Übereinkommen der Vereinten Nationen vom 13. Dezember 2006 über die Rechte von Menschen mit Behinderungen dar, der regelt, dass Menschen mit Behinderungen gleichberechtigt die Möglichkeit haben zu entscheiden, wo und mit wem sie leben, und nicht verpflichtet sind, in besonderen Wohnformen zu leben.

Der Senat von Hamburg vertritt die Auffassung, dass das Menschenrechtsübereinkommen auch nach seiner Umsetzung ins deutsche Recht die Auslegung von Sozialrechtsnormen nicht beeinflussen könnte. Es handele sich ebenfalls nur um einfaches Gesetzesrecht und nicht um höherrangiges Recht. Eine andere Sichtweise sei schon aus Kostengründen abzulehnen. Der Unterschied zwischen Menschenrecht und „Wohlfahrt“ wird schlicht ignoriert.

Hier, so auch meine Meinung, zeigt die Hansestadt eine bestürzende Ignoranz, was die Menschenrechte von Behinderten angeht. Die Einweisung dieser Frau gegen ihren Willen in ein Heim - und es handelt sich um keinen Einzelfall - ist vergleichbar mit einer freiheitsentziehenden Maßnahme, weil sie das Selbstbestimmungsrecht der Betroffenen dramatisch einschränkt. Hier rächen sich auch die unsägliche „Denkschrift“ der Bundesregierung in ihrem Gesetzentwurf zur Ratifizierung der Konvention, die mangelhafte Übersetzung und das fehlende Umsetzungsgesetz. Es reicht eben nicht, wenn die Koalition im vorliegenden Antrag auf die UN-Behindertenrechtskonvention, insbesondere auf Art. 6 „Frauen mit Behinderungen“ verweist. Dem Schulterklopfen, liebe Kolleginnen und Kollegen von CDU/CSU und SPD, müssen Taten zur Verbesserung der Lebenssituation von Frauen und Mädchen - mit und ohne Behinderungen- folgen. Die Linke wird Ihrem Antrag zustimmen, und Sie können gewiss sein, sie wird sich auch für seine zügige Umsetzung engagieren.