Die Einführung eines Elterngeldes als Lohnersatzleistung ist eine prinzipiell positive Entwicklung in der Familienpolitik und findet unsere Zustimmung. Diese Neuorientierung in der Familienpolitik darf aber nicht aus einer Umverteilung von Arm nach Reich bestehen. Deshalb bekräftigt DIE LINKE. mit Nachdruck die Forderung, das Gesetz zur Einführung eines Elterngeldes muss weiter sozial ausgestaltet werden. Jörn Wunderlich in der Debatte zum Haushalt des Bundesministeriums für Familie, Senioren, Frauen und Jugend.
Verehrter Präsident! Verehrte Kolleginnen und Kollegen! Liebe Zuschauer auf den Rängen und zu Hause!Enttäuschend, Frau Ministerin von der Leyen! Ich habe Ihnen mehrfach versprochen und ich halte mich an Versprechen , sowohl Ihre Worte als auch Ihre Taten einer gründlichen Überprüfung zu unterziehen. Die Einführung des Elterngeldes als Lohnersatzleistung ist prinzipiell eine positive Entwicklung in der Familienpolitik und findet unsere Unterstützung.
Aber eine Neuorientierung in der Familienpolitik darf nicht aus einer Umverteilung von Arm nach Reich bestehen. (Beifall bei der LINKEN) Deshalb bekräftige ich mit Nachdruck unsere Forderung: Das Gesetz zur Einführung eines Elterngeldes muss weiter sozial ausgestaltet werden. Mit dem Elterngeld soll die berufliche Eigenständigkeit der Frauen gestärkt und gesichert werden, die Väter sollen für die Betreuung von Kindern in die Pflicht genommen werden. Deshalb ist das Elterngeld weder eine Kinderförderung noch eine Kinderprämie. Ich erwähne das an dieser Stelle, weil das in den Medien immer gerne vermengt wird. Das Elterngeld ist eine Lohnersatzleistung; sie beträgt zwei Drittel des bisherigen Nettolohns. (Steffen Kampeter (CDU/CSU): Das hat die Frau Ministerin Ihnen schon drei- bis viermal erklärt!) Etwas mehr Mühe bedarf es schon, die gut verpackten Unzulänglichkeiten im Elterngeldgesetz herauszufinden. Frau von der Leyen, das Elterngeldkonzept ist eine familien- und sozialpolitische Mogelpackung zulasten der Einkommensschwachen, der Alleinerziehenden und der Empfänger von Arbeitslosengeld II. (Beifall bei der LINKEN - Johannes Singhammer (CDU/CSU): So ein Schmarrn!) Darüber verlieren Sie in der Öffentlichkeit allerdings kein Wort. Diese Unehrlichkeit wird mit Aussprüchen gepaart wie „Eins zu null für die Familien: Das Elterngeld kommt“ (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) oder „Heute ist ein guter Tag für Familien“. (Beifall bei der CDU/CSU sowie bei Abgeordneten der SPD) Das zeigt, wie arrogant Macht sein kann. Der zuletzt zitierte Satz hat mich doch stark an den Ausspruch des Sachverständigen Hartz erinnert, der bei der Vorstellung seiner Gesetzesinitiativen gesagt hat: Ein guter Tag für Arbeitslose. Was daraus geworden ist, können wir alle hier unumwunden sehen. (Beifall der Abg. Dr. Gesine Lötzsch (DIE LINKE)) Es gab Nachbesserungen und Verschärfungen zulasten der Betroffenen. Ein solcher Satz ist ein Schlag ins Gesicht der Betroffenen und an Zynismus kaum zu überbieten. Petitionen, die von mehr als 10 000 Bürgerinnen und Bürgern mitgetragen werden und Unmengen an Briefen, Mails und Stellungnahmen belegen, dass der Umfang der Regelungen zum Elterngeld schon jetzt Unsicherheit bei den Eltern hervorruft. Sie aber, Frau von der Leyen, gehen wie immer charmant lächelnd darüber hinweg, obwohl diese Ungerechtigkeiten nach wie vor auf der Tagesordnung sind. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Herr Kollege Wunderlich, erlauben Sie eine Zwischenfrage der Kollegin Kressl? Jörn Wunderlich (DIE LINKE): Aber gerne. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Bitte schön, Frau Kressl. Nicolette Kressl (SPD): Herr Kollege Wunderlich, ich finde sehr interessant, dass Sie darauf hinweisen, dass es mehrere Tausend Petitionen zum Elterngeld gibt. Ich hoffe, es ist Ihnen bewusst, dass alle diese Petentinnen und Petenten wollen, dass sie das Elterngeld so schnell wie möglich bekommen. Ich bitte Sie dringend, hier nicht den Eindruck zu erwecken, als sei die Anzahl dieser Petenten ein Indiz dafür, dass sie mit unserer Regelung unzufrieden sind. Das Gegenteil ist der Fall. (Beifall bei der SPD und der CDU/CSU) Jörn Wunderlich (DIE LINKE): Sie dürfen aber nicht übersehen, dass ein sehr großer Prozentsatz gerade die Stichtagsregelung anprangert. (Kerstin Griese (SPD): Weil Sie es schneller haben wollen!) Darauf komme ich nachher noch zu sprechen. Es wird aber auch kritisch gefragt: Was ist mit dem Elterngeld? Wieso werde ich schlechter gestellt? Warum bekomme ich nicht die Leistungen, die andere bekommen? Man muss die Petitionen und die Schriftstücke auch einmal lesen. (Beifall bei der LINKEN Steffen Kampeter (CDU/CSU): Eben, genau! Christel Humme (SPD): Sie wollen das Elterngeld noch schneller haben!) Diese Fragen stellt sich zum Beispiel ein Empfänger von ALG II, der bisher 24 Monate lang 300 Euro monatlich an Erziehungsgeld bekam und jetzt plötzlich nur noch 12 Monate lang 300 Euro Elterngeld erhält, ohne dabei die Aussicht auf Arbeit zu haben. (Caren Marks (SPD): Sie haben doch gerade selbst erzählt, dass es Lohnersatz ist!) Ja. Sie selbst sagen aber, der Grundbetrag werde als Anerkennung für die Erziehungsleistung gezahlt. (Beifall bei Abgeordneten der LINKEN Caren Marks (SPD): Ja, für ein Jahr!) Die Anerkennung der Erziehungsleistung von Empfängern des Arbeitslosengeldes II scheint also weniger wert zu sein. Das gilt auch für die Erziehung der Kinder, die vor dem 1. Januar 2007 geboren wurden bzw. werden. (Steffen Kampeter (CDU/CSU): Herr Wunderlich, Sie haben überzeugender Recht gesprochen als hier geredet!) Das Elterngeld gibt jungen Müttern ich zitiere unsere Ministerin einen Schonraum, sich ohne finanziellen Druck Zeit für ihr Neugeborenes zu nehmen. (Zuruf der Abg. Christel Humme (SPD)) Frau Humme, ich kenne Ihre Meinung. Am stärksten benachteiligt ist doch die allein erziehende Empfängerin von ALG II. Sie kann sich noch nicht einmal auf die Ausnahmeregelung, die Möglichkeit der Verlängerung, berufen. Das haben Sie vorhin ja noch einmal ausgeführt, Frau von der Leyen. Ich frage Sie: Wie muss sich diese Betroffene fühlen? Ich wiederhole es mit Nachdruck: Das Elterngeld bleibt sozial unausgewogen. 15 Prozent aller jungen ostdeutschen Mütter sind arbeitslos und suchen eine Beschäftigung, finden aber keine. Mit dem Elterngeldgesetz wird ihnen zusätzlich die Hälfte der sozialen Sicherheit, nämlich die Hälfte der Leistungen nach dem gegenwärtigen Bundeskindergeldgesetz, genommen. Zusätzlich erhöht die Regierung ab Januar 2007 die Mehrwertsteuer, ohne auch nur im Geringsten über Ausgleichsleistungen nachzudenken. Eins zu null, Frau von der Leyen. Ich frage mich nur: Für wen? Ein Wort zur Stichtagsregelung; ich habe das schon angesprochen. Ich frage Sie: Ist die Erziehungsleistung von Eltern, deren Kinder vor dem 1. Januar 2007 geboren wurden bzw. werden, weniger wert als die der Eltern, deren Kinder nach dem 1. Januar 2007 geboren werden? (Ilse Falk (CDU/CSU): Haben Sie schon einmal etwas von Stichtagsregelungen gehört?) Wir haben immer angemahnt, dass Frauen, die bereits schwanger sind Frau von der Leyen, ich gehe einmal davon aus, dass Sie wissen, wie lange eine Schwangerschaft dauert; das weiß sogar ich , nicht wissen, was ab dem 1. Januar 2007 auf sie zukommt. Sie haben sich Zeit genommen. Das Thema war in der Diskussion, aber es kam keine Information, wann was passiert. Jetzt aber soll das Gesetz ruckzuck vor der Sommerpause beschlossen werden, ohne jede Übergangsregelung für Sonder- und Extremfälle. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Herr Kollege Wunderlich, erlauben Sie noch eine Zwischenfrage des Kollegen Kucharczyk von der SPD? Jörn Wunderlich (DIE LINKE): Ja. Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms: Bitte. Jürgen Kucharczyk (SPD): Herr Kollege Wunderlich, teilen Sie die Auffassung, dass die Zielsetzung von Kindergeld und Elterngeld unterschiedlich gelagert ist? Jörn Wunderlich (DIE LINKE): Ja. Vom Kindergeld rede ich hier auch nicht. Jürgen Kucharczyk (SPD): Aber Sie verwechseln scheinbar etwas. (Steffen Kampeter (CDU/CSU): Was muss das für ein Amtsgericht gewesen sein?) Jörn Wunderlich (DIE LINKE): Nein, ich verwechsele nichts. Jürgen Kucharczyk (SPD): Es hört sich so an. Jörn Wunderlich (DIE LINKE): Gucken Sie in die Statistik und fragen Sie im Ministerium nach! Frau von der Leyen, was hindert Sie in Ihrem Demokratieverständnis daran, ein Wahlrecht zwischen der bisherigen Regelung und dem Elterngeld einzuräumen? Beim Mindestelterngeld fordern wir mit allem Nachdruck eine Anhebung und Nachbesserung. Greifen Sie aber dabei nicht wieder, wie es bislang immer wieder geschehen ist, den Ärmsten in die Tasche! (Christel Humme (SPD): Machen wir doch auch nicht!) - Mein Gott, Frau Humme, Sie wissen ja schon selber nicht mehr, was Sie tun. (Beifall bei der LINKEN) Aber was soll man von der Regierung auch anderes erwarten? Bei der satten Mehrheit in allen Gremien und Ausschüssen ist Kritik im Grunde aussichtslos; sie wird abgebügelt. (Ilse Falk (CDU/CSU): Nur kein Frust!) - Doch, der kommt noch. Die Frage ist nur, bei wem. Wenn Sie immer wieder halbherzig auf unsere Nachbarländer verweisen, zum Beispiel auf Schweden, dann können Sie das nicht einfach aus dem Kontext herausreißen. (Steffen Kampeter (CDU/CSU): Jetzt hat die Linke aber ihren roten Faden verloren!) Erwähnen Sie bitte alles. In Schweden ist das Elterngeld nämlich eine Versicherungsleistung, in Deutschland ist es steuerfinanziert. Sie verschweigen, dass die finanzielle Unterstützung hier immer wieder vom Geldbeutel der Eltern abhängig gemacht wird. Eins zu null für die Familie. Fragt sich nur, für welche. Wie klingt denn Ihr ständig zitierter Dreiklang zur Familienpolitik, Frau von der Leyen? Bei dem vorliegenden Gesetzesentwurf ist es gegenwärtig für mich bestenfalls eine Kakophonie. Selbstredend macht das Elterngeld allein noch keine gute Familienpolitik aus. Es muss darum gehen, gesellschaftliche Verantwortung für Familien mit zu übernehmen. Notwendig ist eine kostenlose und hochwertige Ganztagsbetreuung für Kinder und Jugendliche. (Caren Marks (SPD): Wohl wahr! - Ekin Deligöz (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Fangen Sie doch mal in Berlin an!) Das ist nicht nur eine Frage der Vereinbarkeit von Familie und Beruf, sondern ein bildungspolitisches Muss. (Beifall bei der LINKEN) Elternschaft muss lebbar werden. Das heißt auch, über Arbeitszeitverkürzung und das neue Leitbild der partnerschaftlichen Aufteilung von Erwerbs- und Familienarbeit zu reden. Noch eine Bemerkung zu den so genannten Papa-Monaten. (Zurufe von der SPD: Partnermonate!) Ich schlage das Wort „Wickelvolontariat“ Originalton Ramsauer zur Wahl des Unwortes 2006 vor. So wie Sie derzeit Familienpolitik betreiben, Frau von der Leyen, wird sie nicht zu einer stärkeren Familienfreundlichkeit führen. Danke schön. (Beifall bei der LINKEN)