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Gesine Lötzsch: Die Bundesbildungsministerin ist in der Corona-Krise ein Totalausfall

Rede von Gesine Lötzsch,

Vielen Dank. – Sehr geehrte Frau Präsidentin! Meine Damen und Herren! Heute Morgen las ich: Die Bildungsministerin macht sich Sorgen um den Schulbetrieb. Und was fällt ihr ein? Sie fordert Disziplin von Lehrerinnen und Lehrern und Schülerinnen und Schülern.

(Heiterkeit des Abg. Kai Gehring [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN])

Ich sage Ihnen: Für solche banalen Ratschläge sind Sie einfach überbezahlt, Frau Ministerin.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Und – ich muss es so hart sagen – in der Coronakrise sind Sie wirklich ein Ausfall, ein Totalausfall. Ich sage so etwas nicht gerne, aber bei Ihnen stimmt es.

Bereits am 17. Mai 2019 ist der DigitalPakt in Kraft getreten, und ich will von Ihnen wissen: Wie oft haben Sie die Ministerpräsidenten oder die Kultusminister angerufen und sie gefragt: Warum rufen Sie die Mittel nicht ab?

(Zurufe von der AfD)

Der Bundestag stellt 5 Milliarden Euro zur Verfügung, und Sie schaffen es nicht, das Geld sinnvoll in die Schulen zu bringen. Das ist doch wirklich ein Armutszeugnis, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten der FDP und des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Gerade Corona erfordert doch jetzt eine schnelle Umsetzung des DigitalPaktes.

Den Ländern fehlen die Fachleute; das wissen wir. Aber in Ihrem Geschäftsbereich, Frau Ministerin, befindet sich eines der größten Wissenschaftssysteme der Welt. Ich bin mir sicher, dass sich Hunderte Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler in unserem Land gern freiwillig bereit erklären würden, unseren Schulen bei der Digitalisierung zu helfen; denn das können sie, und das wollen sie auch, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der LINKEN)

Natürlich ist es richtig, sich mit künstlicher Intelligenz und mit Quantencomputern auseinanderzusetzen. Aber es kann doch nicht sein, dass die nächste Generation dann mit Kreide und Schiefertafel an die Unis kommt. Das ist nicht zukunftsgerecht, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich sage Ihnen: Als Ministerin für Bildung und Forschung müssten Sie doch eigentlich vor Energie und Ideen nur so sprühen. Aber genau das Gegenteil beobachten wir bei Ihnen. Sie lassen nicht nur die Schulen hängen, sondern auch die Studentinnen und Studenten, die in Armut leben; ein Vorredner ging ja schon darauf ein. Die Coronahilfen haben noch einmal gezeigt, dass schon vor der Pandemie viele Studierende in Armut lebten. 36 Prozent der Antragsteller für eine Überbrückungshilfe wurden abgewiesen, obwohl die Hälfte von ihnen eine finanzielle Notlage nachweisen konnte. Das sind mehr als 42 500 junge Menschen. Und richtig ist: Diese Studierenden befanden sich schon vor der Pandemie in finanzieller Not. Wir brauchen also dringend eine Reform der staatlichen Studienfinanzierung; sonst verspielen wir unser Zukunftspotenzial.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Frau Karliczek, Sie verwalten viele chaotische Baustellen. Der Bundesrechnungshof hat den Hochschulpakt geprüft. Geld vom Bund für neue Studienplätze wurde von den Hochschulen für Parkhäuser, Tribünen und anderen Schnickschnack ausgegeben. Bundesländer und einzelne Hochschulen bunkern insgesamt 3,7 Milliarden Euro, und der Bundesrechnungshof kommt zu der Einschätzung – ich zitiere –:

"Die Mittelströme haben eine Intransparenz erreicht, die auch die Länder kaum noch überblicken."

Oder zusammengefasst: Es herrscht Misswirtschaft. – Der größte Anteil des Geldes entfällt dabei übrigens auf Nordrhein-Westfalen, wo die Rechnungsprüfer Restgelder in Höhe von 1,9 Milliarden Euro aufspürten. Das entsprach den Pauschalen für 80 681 zusätzlichen Studienanfängerinnen und Studienanfängern. Gibt es da in Nordrhein-Westfalen nicht einen Ministerpräsidenten, der Kanzler werden will? Vielleicht können Sie ihm mal ausrichten – ich weiß nicht, ob noch jemand aus Nordrhein-Westfalen hier ist außer der Ministerin –: Wer Kanzler werden will, muss auch Wissenschaft können, und Herr Laschet kann es augenscheinlich nicht, meine Damen und Herren.

(Zuruf von der CDU/CSU: Flach!)

Das Ministerium erlässt jährlich mehr als 120 Förderrichtlinien. Damit werden die Programme konkretisiert und die Abwicklung geregelt. Der Bundesrechnungshof wertete diese Richtlinien aus und kam zu einem vernichtenden Ergebnis. So ist bei einigen Förderrichtlinien allein die bloße Durchführung der Maßnahme als Erfolg definiert. Meine Damen und Herren, ich bin der Überzeugung, wir hätten mehr Erfolg, wenn Sie die Wissenschaft nicht jedes Jahr mit bürokratischen Richtlinien nerven würden, sondern den Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern wirklich Raum zur Arbeit geben würden, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der LINKEN – Stephan Albani [CDU/CSU]: Das tun wir ja seit vielen Jahren!)

Wir brauchen eine bessere Grundausstattung von Schulen und Universitäten. Ich finde, Sie hätten jetzt in der Pandemie die Aufgabe gehabt, die Wissenschaftskommunikation wirklich effektiv zu organisieren. So haben Sie den Verschwörungstheoretikern viel Feld überlassen. Das haben wir in unserem Land überhaupt nicht nötig bei den hervorragenden Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern, die wir haben.

(Beifall bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren, ich frage mich: Was haben Sie eigentlich den ganzen Sommer gemacht, Frau Ministerin? Wenn die Feuerwehr so arbeiten würde wie Sie, dann wäre unser Land schon abgebrannt.

(Beifall bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren, uns Ossis wurde vor 30 Jahren erzählt, dass wir nun in eine Leistungsgesellschaft kommen. Tausende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler wurden nach fragwürdigen Bewertungen abgewickelt. Welche Verschwendung von Potenzial! Das dürfen wir uns in unserem Land nicht noch einmal leisten.

(Beifall bei der LINKEN – Tankred Schipanski [CDU/CSU]: Ist schon vorbei? Wahrscheinlich brennt es jetzt in der Linksfraktion!)