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Gesine Lötzsch: Das Gesundheitssystem nicht dem Spiel des freien Marktes überlassen

Rede von Gesine Lötzsch,

Vielen Dank. – Herr Präsident! Meine sehr geehrten Damen und Herren! Wenn man sich den Haushalt des Gesundheitsministeriums anguckt – 15,3 Milliarden Euro –, dann kann man vielleicht ein falsches Bild bekommen. Denn – Kollege Spahn hat es schon gesagt – für Gesundheit wird in Deutschland natürlich wesentlich mehr aufgebracht: 11,2 Prozent des Bruttoinlandsprodukts. Damit man sich das ein bisschen besser vorstellen kann: 1 Milliarde Euro pro Tag wird in Deutschland für Gesundheit aufgebracht. Natürlich wollen viele von diesem Geld etwas abhaben. Wir müssen dafür sorgen, dass es in die richtigen Hände gelangt, dass es den Richtigen zugutekommt – nämlich den Menschen, die krank oder pflegebedürftig sind, und den Beschäftigten im Gesundheitssystem – und nicht in private Rendite fließt, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der LINKEN)

Seit 2003 mussten die Arbeitgeber für ihre Beschäftigten weniger in die Krankenversicherung einzahlen, die Lasten wurden den Versicherten aufgebürdet. Die Linke hat von Anfang an gegen die Abschaffung der Parität bei den Beiträgen gekämpft. Jetzt scheint dies endlich erreicht. Das ist eine gute Nachricht. Aber auch die Sonder- und Zusatzbeiträge müssen endlich abgeschafft werden. Meine Fraktion hat dazu einen Antrag vorgelegt; ich hoffe, dass Sie ihn alle unterstützen.

(Beifall bei der LINKEN)

Seit Mitte 2005 haben die Versicherten allein durch Sonder- und Zusatzbeiträge 145 Milliarden Euro mehr in die Krankenversicherung eingezahlt als die Arbeitgeber. Das ist ungerecht. Diese Ungleichbehandlung muss endlich aufhören.

(Beifall bei der LINKEN)

Ein weiteres Dauerthema ist der Personalmangel im Gesundheitswesen. Ein aktuelles Beispiel ist der Personalmangel in den psychiatrischen Einrichtungen. Kürzlich schrieben Betriebs- und Personalräte aus knapp einhundert Einrichtungen einen offenen Brief an den Gesundheitsminister; sie klagten über schlechte Personalausstattung und Überlastung. Mit dem Pflegepersonal-Stärkungsgesetz werden nun einige Proteste aufgegriffen; allerdings – und das ist unsere Kritik – beziehen Sie, Herr Spahn, ausschließlich Pflegekräfte ein, andere Berufe in den Krankenhäusern bleiben außen vor. Wir wollen als Linke auch eine bedarfsgerechte Finanzierung von Hebammen, Ärztinnen und Ärzten und natürlich auch des Servicepersonals; das ist die richtige Forderung.

(Beifall bei der LINKEN)

Wie dramatisch die Situation ist, zeigen wochenlange Streiks wie am Uniklinikum Düsseldorf oder am Uniklinikum Essen oder der geplante Streik am Homburger Uniklinikum. Es geht um mehr Personal auf den Stationen, und da sind wir – bei allen Ankündigungen – von einer Lösung noch weit entfernt.

(Tino Sorge [CDU/CSU]: Das Sofortprogramm Pflege ist an Ihnen vorbeigegangen! Erster Schritt!)

Meine Damen und Herren, ich war dabei, als in der vergangenen Woche in Berlin-Steglitz der 50. Geburtstag des Universitätsklinikums Benjamin Franklin gefeiert wurde. Dieses Klinikum wurde damals mit Unterstützung der USA errichtet. Zeitzeugen berichteten, dass damals alle Berufsgruppen ausreichend Zeit hatten, miteinander zum Wohle der Patienten zu beraten und Erfahrungen auszutauschen, und wünschten dem Universitätsklinikum Benjamin Franklin eine bessere Personalausstattung, damit das Personal auch in Zukunft wieder Zeit hat, gemeinsam über eine gute Arbeitsweise zum Nutzen und zum Wohle der Patienten zu beraten. – Das ist eine Erfahrung von vor 50 Jahren aus, wie man damals sagte, West-Berlin. Ich finde, da sollten wir anknüpfen.

(Beifall bei der LINKEN)

Häufig werden, weil Geld für die Sanierung fehlt, Personalmittel in die Sanierung von Krankenhäusern gesteckt. Hier ist ein riesiger Investitionsstau entstanden. Wir schlagen vor, den Bundesländern für jeden Euro, den sie zusätzlich in Krankenhäuser investieren, aus Bundesmitteln einen weiteren Euro zu zahlen, bis zu einer Gesamthöhe von 2,5 Milliarden Euro pro Jahr und auf zehn Jahre begrenzt. Das wäre gut angelegtes Geld – wenn da nicht die Investitionsbremse der Bundesregierung wäre. Wir werden diesen Vorschlag wieder in die Haushaltsberatungen einbringen. Wir hoffen natürlich auf Ihre Zustimmung, meine Damen und Herren.

(Beifall bei der LINKEN)

In meiner Rede zum Haushalt 2018 habe ich gesagt – ich zitiere mich selbst, mit Erlaubnis des Präsidenten –:

"Wer unser Gesundheitssystem dem freien Spiel des Marktes überlässt, handelt verantwortungslos gegenüber den Patientinnen und Patienten und den Beschäftigten."

(Zuruf von der FDP: Was? Quatsch!)

– Das ist überhaupt kein Quatsch. – Offensichtlich hat sich der Gesundheitsminister meine Mahnung zu Herzen genommen.

(Lachen bei Abgeordneten der CDU/CSU – Zuruf von der FDP: Lob von der Linkspartei! – Christine Aschenberg-Dugnus [FDP]: Das ist ein vergiftetes Lob!)

In einem Gastbeitrag für das „Handelsblatt“ erklärt Jens Spahn richtig, dass wir die Pflege nicht einfach dem Markt überlassen können, denn:

"… die Versuchung ist naturgemäß groß, bei diesem größten Kostenblock so zu sparen, dass es zulasten der Pflegekräfte und der Pflegebedürftigen geht. Denn zu wenig Kollegen bedeutet für die Pflegekräfte Dauerstress, Krankheit, Selbstausbeutung in einem eh schon sehr fordernden Beruf."

Wenn diese Erkenntnis dann noch in die Tat umgesetzt würde, wäre, glaube ich, uns allen geholfen; denn wir brauchen ein gerechtes Gesundheitssystem, das allen dient und nicht nur denen, die viel Geld haben.

Vielen Dank.

(Beifall bei der LINKEN)