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Gesetzlicher Mindestlohn: Schwarz-Gelbe Blockade endlich aufbrechen!

Rede von Klaus Ernst,

Klaus Ernst (DIE LINKE):

Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren!

Es ist schon bemerkenswert, wie sich hier zwei Parteien, die sich eigentlich ‑ wie ich in den letzten acht Jahren im Bundestag erlebt habe ‑ bei sehr vielen Aktionen im Prinzip einig waren, jetzt darüber streiten, wer von ihnen eigentlich der Schlimmere war.

Ich möchte noch einmal feststellen, Frau von der Leyen: Das, was Sie eigentlich erreichen wollten ‑ mehr Beschäftigung in Deutschland ‑, haben Sie nicht erreicht. Ausschlaggebend ist nämlich nicht, ob mehr Leute im Niedriglohnbereich beschäftigt sind ‑ da gibt es natürlich einen Zuwachs ‑ oder ob mehr Leute in befristeter Beschäftigung sind ‑ da gibt es auch einen Zuwachs ‑, sondern das wirkliche Maß kann nur die Zahl der geleisteten Arbeitsstunden sein.

(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)

Die Zahl der geleisteten Arbeitsstunden hat in der Bundesrepublik Deutschland trotz der Deregulierung am Arbeitsmarkt nicht zugenommen. Das müssen Sie einmal nüchtern zur Kenntnis nehmen, Frau von der Leyen!

(Beifall bei der LINKEN - Zuruf des Abg. Hans-Michael Goldmann (FDP))

Die Arbeit ist billiger geworden, die Arbeit ist unsicherer geworden, und die Arbeitsverhältnisse haben sich für viele Menschen dramatisch verschlechtert.

Ich möchte heute vor allen Dingen etwas zu dem Antrag der Linken zum Mindestlohn sagen. Wir hätten heute die Chance, gemeinsam ‑ mit Ihnen von den Regierungsfraktionen ‑ eine riesige Ungerechtigkeit in diesem Lande zu beseitigen. Um was geht es? Es geht um nicht weniger als die Einhaltung unserer Verfassung. In Art. 1 des Grundgesetzes steht:

Die Würde des Menschen ist unantastbar. Sie zu achten und zu schützen ist Verpflichtung aller staatlichen Gewalt.

Es gehört zur Würde, meine Damen und Herren, dass Menschen, die vollzeitbeschäftigt sind, von ihrer Arbeit leben können und nicht hinterher zum Amt gehen müssen, weil das Geld nicht reicht. So etwas entspricht nicht unserer Verfassung.

(Beifall bei der LINKEN)

Diejenigen, die 3 oder 4 oder 5 Euro die Stunde verdienen, sind insbesondere Frauen. Mich freut ja Ihr Engagement, Frau von der Leyen ‑ wir haben Sie dabei ja unterstützt, auch wenn Ihnen Ihre eigene Partei von der Fahne gegangen ist ‑, für mehr Frauen in Führungspositionen. Aber wo bleibt Ihr Engagement für die vielen Frauen in diesem Land ‑ es betrifft überwiegend Frauen ‑, die zu niedrigsten Löhnen arbeiten müssen? In dieser Frage, Frau von der Leyen, haben Sie völlig versagt, da haben Sie null Engagement gezeigt.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN und des Abg. Anton Schaaf (SPD))

Frau von der Leyen, ich möchte Ihnen noch einmal in aller Klarheit sagen: Sie haben einen Eid auf die Verfassung geleistet ‑ und nicht auf das Programm der Arbeitgeberverbände, die die Mindestlöhne eigentlich verhindern wollen.

(Beifall bei der LINKEN)

Sie regieren mit Ihrer Haltung gegen Mindestlöhne gegen das Volk. Die Mehrheit der Bürgerinnen und Bürger will Mindestlöhne: Laut Emnid sind es 86 Prozent der Bürgerinnen und Bürger. Übrigens ist auch eine Mehrheit in Ihrer Partei für Mindestlöhne. Auch die Mehrheit der SPD-Wähler ist für einen Mindestlohn. Ich garantiere Ihnen: Sie werden in dieser Frage schneller rückwärts laufen, als Sie nach rückwärts gucken können. Sie werden noch merken ‑ auch bei den Wahlen; das hoffe ich sehr ‑, dass Sie eine Mehrheit in diesem Lande gegen sich haben. Übrigens sind auch die Selbstständigen, Herr Brüderle, für die Einführung eines Mindestlohns. Sie sehen: Auch Ihr Klientel ist in dieser Frage weiter als Sie selbst.

(Beifall bei der LINKEN)

Die Koalition hat sich auf die Fahne geschrieben: Leistung soll sich lohnen. ‑ Ich frage: Lohnt sich denn tatsächlich eine Leistung bei einem Stundenlohn von 3 oder 4 Euro?

(Lachen des Abg. Hans-Michael Goldmann (FDP))

Wenn man zum Aufstocken zum Amt gehen muss, lohnt sich diese Leistung nicht. Ein Viertel der Beschäftigten sind Niedriglöhner. 1,4 Millionen Menschen verdienen weniger als 5 Euro die Stunde; die Zahlen haben wir hier des Öfteren diskutiert. Lohnt es sich denn tatsächlich für einen Rettungssanitäter ‑ das sind die, die uns von der Straße auflesen, wenn uns etwas passiert ist ‑,

(Dr. Matthias Zimmer (CDU/CSU): Wenn man Porsche fährt! - Max Straubinger (CDU/CSU): Wenn du mit dem Porsche zu schnell unterwegs bist, Ernst!)

etwas zu leisten, wenn er dafür weniger als 9 Euro die Stunde bekommt? Ist das tatsächlich eine Entlohnung, die dem angemessen ist, was dieser Mensch leistet? Ich sage: Die Mehrheit der Menschen ist für einen vernünftigen Mindestlohn, weil ein Mindestlohn etwas mit Gerechtigkeit zu tun hat. Mit aller Klarheit: Wer einen Mindestlohn ablehnt, wie Sie das tun, der hat mit der Mehrheitsmeinung in diesem Land und dem Gerechtigkeitsempfinden der Bürgerinnen und Bürger nichts mehr am Hut.

(Beifall bei der LINKEN sowie bei Abgeordneten des BÜNDNISSES 90/DIE GRÜNEN)

Sie werden nicht müde, negative Beschäftigungswirkungen bei der Einführung eines Mindestlohns zu konstatieren. Es gibt weltweit keine einzige Studie ‑ keine einzige! ‑,

(Matthias W. Birkwald (DIE LINKE): Richtig!)

die Ihnen mit Ihrer Position recht gibt. Ich möchte bitte schön gerne einmal wissen, wo Sie diesen Unfug eigentlich herhaben. Die Realität ist ganz anders. Selbst in England, wo der Mindestlohn schon seit Jahren gilt, sagen die Unternehmerverbände: keine negativen Auswirkungen.

(Max Straubinger (CDU/CSU): Weil er so niedrig ist!)

Daneben führen Sie gerne das Argument Frankreich an und sagen: Dort ist die Jugendarbeitslosigkeit so hoch, weil es dort einen Mindestlohn gibt. ‑ Wissen Sie, was das Problem ist? Durch das Lohndumping in der Bundesrepublik, dadurch, dass wir keine Mindestlöhne haben und die Löhne sinken, sind wir Mitverursacher der steigenden Arbeitslosigkeit in Frankreich und anderen europäischen Nachbarländern. Deshalb müssen wir vor dem Hintergrund der internationalen Lage auch bei uns einen Mindestlohn einführen.

(Beifall bei der LINKEN ‑ Zurufe des Abg. Max Straubinger (CDU/CSU) sowie des Abg. Hans-Michael Goldmann (FDP))

- Weil ich mich immer freue, wenn Sie sich so aufregen, will ich natürlich auch noch etwas zur Tarifautonomie sagen:

Dass Sie sich zum Schutzpatron der Tarifautonomie machen, ist wirklich interessant. Ich kann mich noch an Ihre Vorschläge erinnern, das Streikrecht einzuschränken. Hat das die Tarifautonomie gefördert oder eher behindert? Ich kann mich auch noch an Rogowski erinnern, den Arbeitgeberpräsidenten. Der war Ihrem Lager eh bei weitem näher als jedem anderen hier im Haus. Er wollte Tarifverträge verbrennen. Und Sie machen sich zum Schutzpatron von Tarifverträgen! Darüber kann ich nicht einmal mehr lachen. Das glaubt Ihnen doch kein Mensch.

(Beifall bei der LINKEN)

Sie argumentieren, dass die Tarifautonomie letztendlich eingeschränkt werden würde, wenn wir einen Mindestlohn auf einem unteren Level festlegen würden. Merkwürdigerweise sind die Gewerkschaften, also die Träger dieser Tarifautonomie, selber dafür, dass Mindestlöhne eingeführt werden. Diese sehen darin also keinen Versuch, die Tarifautonomie einzuschränken. Sie tun das aber.

(Jürgen Trittin (BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN): Das hat damit zu tun, dass die Arbeitgeber das anders sehen!)

Glauben Sie nicht, dass die Gewerkschaften selber wissen, was für ihren Job wichtiger ist? Glauben Sie wirklich, sie brauchen Sie dazu? Glauben Sie wirklich, die Gewerkschaften brauchen den Rat der FDP dafür, wie die Tarifautonomie zu verteidigen ist? Das wäre genauso, als wenn der FC Bayern Ihren Rat dafür brauchen würde, wie man besser Tore schießt.

(Beifall bei der LINKEN ‑ Zurufe von der FDP: Oh!)

Die braucht er überhaupt nicht.

Genauso wenig brauchen die Gewerkschaften Ihren Rat dafür, wie man Tarifverträge verteidigt; denn ich sage Ihnen: Sie haben mit Tarifautonomie eigentlich nichts am Hut. Wenn Sie im Kern Ihrer Gedanken wirklich für Tarifautonomie wären, dann würden Sie dazu beitragen, dass die Tarifautonomie gestärkt wird.

Was müssten Sie dann machen? Sie müssten dann dafür sorgen, dass wir starke Gewerkschaften haben, die sich für höhere Löhne einsetzen. Ist das Ihre Position? Das würde mich wundern. Seit wann ist die FDP für starke Gewerkschaften? Sie müssten dann auch für eine Ausweitung des Streikrechts eintreten, weil ein starkes Streikrecht die Voraussetzung dafür ist, dass die Gewerkschaften im Rahmen der Tarifautonomie auch tätig sein können. Sie sind mit Ihrer Politik doch mitverantwortlich dafür, dass es in der westlichen Welt nur noch zwei Länder gibt, in denen weniger gestreikt wird als in der Bundesrepublik, nämlich die Schweiz und den Vatikanstaat. Darauf können Sie stolz sein.

Darum sage ich: Wenn Sie sich um die Tarifautonomie kümmern, dann habe ich immer leichte Bedenken.

(Beifall bei der LINKEN ‑ Hubertus Heil (Peine) (SPD): Schwere Bedenken!)

Durch die Politik, die wir hier heute auch diskutieren, sind die Gewerkschaften nachhaltig geschwächt worden:

Dafür war natürlich die Einführung von Hartz IV verantwortlich, weil die Leute dadurch Angst vor Arbeitslosigkeit haben, was die Kampfkraft der Gewerkschaften natürlich nicht stärkt. Daneben nenne ich die Deregulierung der Arbeit, die Tatsache, dass Beschäftigte befristet eingestellt werden, die Leiharbeit und die Werkverträge, Frau von der Leyen.

Sie nehmen die Gewerkschaften hier immer in die Pflicht, das vernünftig zu regeln. Gleichzeitig tun Sie aber nichts dafür, dass die Leiharbeit wieder beschränkt wird, dass die befristete Beschäftigung eingedämmt wird und dass der Zwang, jede Arbeit annehmen zu müssen, egal wie sie bezahlt wird, beseitigt wird. Wenn das so bleibt, dann schwächen Sie die Gewerkschaften. Deshalb traue ich Ihnen beiden nicht über den Weg, wenn Sie die Tarifautonomie verteidigen. Sie werden es mir nachsehen.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich kann Ihnen auch sagen, dass trotz der Tarifverträge niedrige Löhne gezahlt werden: im Fleischerhandwerk 6,19 Euro pro Stunde, in der Floristik 5,26 Euro pro Stunde, im Garten- und Landschaftsbau ‑ im Westen ‑ 6,25 Euro pro Stunde. Trotz der Tarifverträge!

Warum ‑ Sie können hier auf die bösen Gewerkschaften schimpfen; die haben das abgeschlossen ‑ ist das so? Es ist so, weil die Voraussetzung für die Durchsetzung eines vernünftigen Tarifvertrags ist, dass man stark ist und streiken kann. Sonst sind Tarifverhandlungen nichts als kollektives Betteln. Ich habe das oft erlebt. Ich sagen Ihnen: Wir müssen, wenn wir Tarifautonomie und Streikrecht verteidigen wollen, alles tun, um die entsprechenden Gesetze zu ändern ‑ und das tun wir leider nicht.

Ihre Politik ging in die Richtung: Gewerkschaften schwächen, Löhne senken, und dann sollen es die Gewerkschaften über die Tarifautonomie wieder richten. ‑ Das haut nicht hin. Meine Damen und Herren, das, was Sie eigentlich tun, ist die Verteidigung von Niedriglöhnen. Damit ist die seit Jahren praktizierte Haltung der Parteien CDU, CSU und FDP mitverantwortlich für Löhne, von denen Menschen nicht mehr leben können. Heute hätten wir die Möglichkeit, das zu korrigieren.

(Beifall bei der LINKEN)

Meine Damen und Herren, ich komme aber nicht umhin, noch einmal anzusprechen, warum dieses Problem überhaupt vorhanden ist. Kanzler Schröder hat explizit gesagt, er möchte die Einführung eines Niedriglohnsektors, und hat sich dafür selber gelobt. Dafür wird er von der SPD auch heute noch auf den Sockel gestellt.

Es wird immer wieder behauptet, die SPD habe damals den Mindestlohn nicht eingeführt, weil die Gewerkschaften dagegen gewesen seien. Das ist eine interessante Argumentation. Die Gewerkschaften waren ja auch gegen die Agenda 2010, und trotzdem hat die SPD sie durchgesetzt. Die Gewerkschaften waren auch gegen die Rente mit 67, und trotzdem hat die SPD sie durchgesetzt. Die Gewerkschaften waren gegen die Deregulierung des Arbeitsmarktes, und trotzdem hat die SPD sie durchgesetzt. Zu sagen „Die Gewerkschaften waren schuld, dass wir den Mindestlohn nicht eingeführt haben“, das ist wirklich pure Heuchelei.

(Beifall bei der LINKEN)

Ich bin trotzdem froh, dass Sie zumindest in dieser Frage auf den Pfad der Tugend zurückgekommen sind. Deshalb werden wir dem Entwurf eines Gesetzes über die Festsetzung eines Mindestlohns zustimmen, obwohl ich der geplanten Mindestlohnhöhe eigentlich nicht zustimme; 8,50 Euro sind zu wenig. Das wäre ein Lohn zulasten Dritter. Jeder, der einen solchen Lohn sein ganzes Leben bekommt, ist später auf Grundsicherung im Alter angewiesen. Das wollen wir nicht. Deshalb sind wir für einen Mindestlohn von 10 Euro.

Danke fürs Zuhören.

(Beifall bei der LINKEN)