"Manche begreifen es nie" - Klaus Ernst fordert gesetzlichen Mindestlohn ohne Wenn und Aber.
In seiner Rede vor dem Bundestag krisitiserte der Vizechef der Linksfraktion entschieden die Verweigerung von Unionsparteien, FDP und Arbeitgebern. Ernst forderte einen Mindestlohn, der alle in Vollzeit arbeitenden Menschen vor Armut schützt. Das Herumlavieren der Koalitionsparteien müsse ein Ende haben.
Klaus Ernst (DIE LINKE):Herr Präsident! Meine sehr verehrten Damen und Herren! Fangen wir doch gleich mit der Sittenwidrigkeit an. Sittenwidrig sind momentan Löhne, die 30 Prozent unter den ortsüblichen Löhnen liegen.
(Dirk Niebel (FDP): Oder den tariflichen!)
‑ Oder den tariflichen. - Wenn die CDU/CSU nun sagt, sie möchte sittenwidrige Löhne verhindern, obwohl sie weiß, dass wir inzwischen in der Fläche in bestimmten Regionen Löhne von 3 Euro haben, akzeptiert sie diese und plädiert für Löhne von 2,10 Euro. Das ist nicht mehr zumutbar, was Sie hier treiben.
(Beifall bei der LINKEN
- Dirk Niebel (FDP): Die sind aber tariflich!)
‑ Ja, Herr Niebel, zu Ihnen komme ich auch noch. Sie können sich gleich weiter aufregen. Zu Ihnen möchte ich sagen, dass der von Ihnen gestellte Antrag ein einziges Ziel verfolgt. Er verfolgt das Ziel, dass die Löhne in diesem Land schlichtweg weiter sinken sollen.
(Abg. Dirk Niebel (FDP) meldet sich zu einer Zwischenfrage)
‑ Wollen Sie jetzt schon dazwischenreden? Ich habe doch noch gar nichts gesagt. Bitte, ich freue mich immer, wenn Sie etwas sagen.
Vizepräsident Dr. Hermann Otto Solms:
Herr Kollege Ernst, das Wort erteilt immer noch der amtierende Präsident. Ich sehe aber, dass Sie eine Zwischenfrage zulassen wollen.
Bitte, Herr Niebel.
Dirk Niebel (FDP):
Herr Kollege Ernst, Sie haben schon angesprochen, dass es Löhne zwischen 3 Euro und 3,80 Euro gibt. Sind Sie bereit, mir zuzugestehen, dass das tarifvertraglich vereinbarte Löhne sind, die unter anderem von Ihren Gewerkschaftskollegen und von den Arbeitgebervertretern ausgehandelt worden sind? Sind Sie weiterhin bereit, zuzugestehen, dass die entscheidende Frage ist, wie viel Geld die Menschen hinterher in der Tasche haben? Sind Sie bereit, zuzugestehen, dass unser Ansatz, nicht über Mindestlöhne, sondern über Mindesteinkünfte zu sprechen, insgesamt dazu führt, dass die Leute mehr ausgeben können?
Klaus Ernst (DIE LINKE):
Zur Frage der von den Gewerkschaften vereinbarten Löhne: Es stimmt, die Löhne, die von Verdi vereinbart wurden, sind äußerst niedrig. Sie sollten sich einmal Gedanken darüber machen, ob Sie nicht mit Ihrem Antrag dazu beitragen, die Gewerkschaften weiter zu schwächen.
(Beifall bei der LINKEN
sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos)
‑ Lachen bei der FDP)
Meinen Sie etwa, es hat Verdi bzw. Herrn Bsirske Spaß gemacht, solche Tarifverträge zu unterschreiben?
Inzwischen haben wir in diesem Lande die Situation, dass die Gewerkschaften auch durch die Hartz-Gesetze, die die Sozialdemokraten mit zu verantworten haben, so geschwächt sind, dass sie Löhnen von 2 oder 3 Euro pro Stunde zustimmen, um noch niedrigere Löhne zu verhindern. Das ist das Ergebnis Ihrer Politik. Mit dem Antrag, den Sie, Herr Niebel, stellen, wollen Sie die Auflockerung des Tarifrechts vorantreiben, um letztendlich noch niedrigere Löhne zu erreichen. Das ist die Wahrheit.
(Beifall bei der LINKEN
‑ Abg. Dirk Niebel (FDP) nimmt wieder Platz)
- Herr Niebel, ich bin noch nicht ganz fertig mit der Beantwortung Ihrer Frage.
Zu Ihrer zweiten Frage, ob es nicht wichtiger ist, das zu betrachten, was die Menschen insgesamt bekommen, als das, was sie verdienen. Das ist keinesfalls so. Lohn hat etwas mit Leistung zu tun.
(Dirk Niebel (FDP): Das habe ich vorhin gesagt!)
Wenn man für seine Arbeit nicht mehr so entlohnt wird, dass die Leistung, die man in seine Arbeit einbringt, in irgendeiner Form im Lohn deutlich wird, dann machen Sie die Arbeit letztendlich so billig wie Dreck. Ich sage Ihnen: Das Ergebnis wird sein, dass das Wertesystem dieser Republik auseinanderfällt. Das Wertesystem dieser Republik basiert nämlich darauf, dass derjenige, der arbeitet, von dem Arbeitslohn, den er erhält, leben und existieren kann. Wer arbeitet, bringt es zu etwas. Sie betreiben die Politik: Wer arbeitet, bleibt arm. Um das ganz deutlich zu sagen: Das ist eine Katastrophe, Herr Niebel.
(Beifall bei der LINKEN
sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos))
Jetzt zu Ihrem Antrag. Sie wollen ‑ dieses Ziel ist eindeutig erkennbar ‑, dass die Löhne weiter sinken. Die erste Frage ist: Macht das denn Sinn? Wir hatten in der Bundesrepublik von 1995 bis 2004 bei der Lohnentwicklung ein Minus von 0,9 Prozent. In Großbritannien war ein Plus von 25 Prozent, in den USA von 19 Prozent und in Frankreich von 8 Prozent zu verzeichnen. Wir haben es also gar nicht nötig, darüber nachzudenken, ob die Löhne zu hoch sind.
(Dirk Niebel (FDP): Das habe ich auch gar nicht behauptet!)
Laut Jahreswirtschaftsbericht der Bundesregierung sind die Arbeitnehmerentgelte im Jahre 2006 um 1,3 Prozent gestiegen. Der Zuwachs ist damit niedriger als die Inflationsrate. Bei den Unternehmereinkommen und den Vermögenseinkommen gab es ein Plus von 6,9 Prozent. Es ist also nicht notwendig, darüber zu streiten, ob die Löhne sinken sollen. Es ist notwendig, über steigende Löhne zu reden.
(Beifall bei der LINKEN)
Deshalb unterstützen wir die Forderung der IG Metall nach einer vernünftigen Teilhabe an dem, was die Arbeitnehmer erwirtschaften.
(Gitta Connemann (CDU/CSU): Die brauchen gerade Ihre Unterstützung!)
Ich sage Ihnen, was der Sinn Ihres Antrags ist, Herr Niebel: Ihre Klientel bekommt den Hals nicht mehr voll. Das ist das Problem in diesem Land.
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN
‑ Dirk Niebel (FDP): Wissen Sie eigentlich, wie viele Arbeitslose es mittlerweile gibt?)
Ihre Klientel sind nicht die Arbeitslosen. Ihre Klientel sind auch nicht die Arbeitenden. Ihre Klientel sind diejenigen, die ihr Geld aus Unternehmertätigkeit und Vermögen beziehen. All das, was in Ihrem Antrag steht ‑ bis auf das Bürgergeld ‑, ist von der Bundesvereinigung der Deutschen Arbeitgeberverbände bereits vorgeschrieben. So ist die Realität.
(Beifall bei der LINKEN
sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos))
Eine weitere Frage lautet: Brauchen wir eine größere Lohnspreizung? Auch dies steht in Ihrem Antrag. Die Lohnspreizung erstreckt sich von 3 Euro in der Stunde für den Friseur ‑ noch ist dies so; denn wir haben den sittenwidrigen Lohn in der Form, wie Sie ihn gerne hätten, noch nicht vereinbart, obwohl er eigentlich schon gilt ‑ bis zu 8,4 Millionen Euro im Jahr für Herrn Ackermann. Das ist die Spreizung des Lohns.
Wissen Sie, über was wir in diesem Lande nachdenken müssen? Darüber, ob die Einkommen der Unternehmer noch im Hinblick auf das, was sie leisten, gerecht sind, ob die Einkommen der Vorstandsmitglieder ‑ das ist Ihre Klientel ‑ noch stimmen. Stellen Sie doch einen Antrag, diese Einkommen zu begrenzen. Das macht Sinn. Man sollte nicht immer an die Kleinen, sondern auch einmal an die Großen herangehen. Das wäre wirklich mutig, Herr Niebel.
(Beifall bei der LINKEN
sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos)
‑ Dirk Niebel (FDP): Seien Sie doch einmal so, wie Sie heißen! Seien Sie doch einmal ernst!)
Wie weit wollen Sie denn eigentlich beim Lohn nach unten gehen? Ich habe Ihnen diese Frage schon öfter gestellt. Wollen Sie, wenn Sie keinen Mindestlohn vorsehen, tatsächlich bei einem Lohn von 3 Euro die Stunde bleiben? Wollen Sie wie zum Beispiel die CDU/CSU bei einem sittenwidrigen Lohn von 2,50 bzw. 2 Euro pro Stunde landen? Wo ist Ihre Grenze nach unten? Sie haben keine. Sie muten den Menschen letztendlich zu, zu arbeiten, ohne entlohnt zu werden. Das ist das Ergebnis Ihrer Politik. Ein Niedriglohn nützt uns nichts.
(Beifall bei der LINKEN
sowie des Abg. Gert Winkelmeier (fraktionslos))
Ihr Argument, ein Mindestlohn führe zum Abbau von Arbeitsplätzen, ist wirklich sehr abwegig. Herr Niebel, glauben Sie denn wirklich, dass die Friseure abwandern, wenn es bei uns einen Mindestlohn gibt?
(Dirk Niebel (FDP): Nein! Die werden schwarz schneiden!)
Oder glauben Sie, dass die Fassaden nicht mehr gereinigt werden, weil es einen Mindestlohn gibt? Glauben Sie tatsächlich, dass die Postboten, die mehr und mehr in privaten Unternehmen arbeiten und unter ein bestimmtes Lohnniveau gedrückt werden, die Post nicht mehr austragen, sondern nach China gehen? Ihr Argument ist Unfug.
(Beifall bei der LINKEN)
Wissen Sie, was die anderen vergleichbaren Länder Europas machen? Die diskutieren nicht über die Frage, ob es einen Mindestlohn geben soll oder nicht. Sie diskutieren darüber, um wie viel der Mindestlohn erhöht wird. Sie wissen, wie es in Europa ausschaut. In Luxemburg beträgt der Mindestlohn inzwischen 9 Euro, in Irland 8,30 Euro und in Frankreich 8,27 Euro. Das ist die Realität. Wir sind das einzige Industrieland in Europa, das es sich erlaubt, Löhne, die letztendlich in die Armut führen, durchgehen zu lassen. Das ist aus meiner Sicht eine pure Katastrophe.
(Gitta Connemann (CDU/CSU): Sie vergleichen Äpfel mit Birnen!)
Sie wollen auch noch das Tarifrecht zerschlagen und das Streikrecht verschärfen. Ist das wirklich sinnvoll? Es würde Sinn machen, wenn es in der Bundesrepublik streikwütige Gewerkschaften gäbe. Es gibt aber nur zwei andere Länder, die eine geringere Zahl von Streiktagen haben als die Bundesrepublik, nämlich die Schweiz und den Vatikanstaat. Wollen Sie uns noch unter dieses Niveau drücken?
Hinter diesem Vorschlag steckt etwas anderes: Sie wollen den Arbeitnehmern unzumutbare Löhne zumuten und dazu beitragen, dass sie sich nicht wehren dürfen und das akzeptieren. Wenn das liberale Politik ist, dann würden sich frühere Liberale im Grab umdrehen, Herr Niebel.
(Beifall bei der LINKEN)
Was Sie erreichen wollen ‑ die Lockerung des Streikrechts und die Beeinflussung oder gar Zerschlagung von Gewerkschaften ‑, macht Siemens auf andere Art und Weise. Siemens macht es illegal. Man hat inzwischen den Eindruck, dass es sich beim Siemens-Vorstand um eine kriminelle Vereinigung handelt.
(Beifall bei Abgeordneten der LINKEN)
Sie machen dasselbe legal mit anderen Mitteln. Aber es ist genauso verwerflich. Deshalb werden wir Ihre Vorschläge ablehnen.
(Beifall bei der LINKEN)
Weil ich zum Schluss kommen muss, will ich nur noch anmerken, was Herr Blüm dazu gesagt hat.
(Lachen bei der FDP)
‑ Ihr könnt ruhig lachen. Er war schließlich in eurer Regierungskoalition Minister. Er hat gesagt, wer den Mindestlohn ablehnt, der fordert letztendlich mehr Staat.
(Dirk Niebel (FDP): Das ist die Rache von Karl Marx am Bürgertum! Ich habe es gelesen!)
Die Privatisierer der Tarifverträge, die Verächter der Allgemeinverbindlichkeit haben nichts Besseres verdient als den Mindestlohn. Kluge Arbeitgeberrepräsentanten wissen das, dumme lernen es nie. ‑ Ich glaube, mit Letzteren hat er Sie gemeint.
Vielen Dank für die Aufmerksamkeit.
(Beifall bei der LINKEN
- Dirk Niebel (FDP): Er hat auch gesagt, die Neoliberalen seien die Rache von Karl Marx am Bürgertum! Und „Die Rente ist sicher“ hat er auch gesagt!)