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Geschäftsordnungsdebatte zum gemeinsamen Sorgerecht

Rede von Jörn Wunderlich,

Nach einer Rüge des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte entschied das Bundesverfassungsgericht 2010, dass nicht verheiratete Väter das Recht haben, das gemeinsame Sorgerecht vor Gericht zu erwirken, ohne dass die Mutter dies verweigern kann. Das Gericht ordnete für die Umsetzung seiner Entscheidungen durch den Gesetzgeber ein Übergangsverfahren an. Bisher steht eine Lösung des Problems durch die Bundesregierung noch immer aus.

Herr Präsident! Liebe Kolleginnen und Kollegen! Wir führen heute eine Geschäftsordnungsdebatte. Was sich hier abspielt, ist den Bürgerinnen und Bürgern außerhalb des Bundestages kaum zu vermitteln. Zuerst werden über viele Jahre hinweg die Elternrechte nicht verheirateter Väter verletzt, indem sie ohne Zustimmung der Mütter generell von der Sorgetragung für ihre Kinder ausgeschlossen werden. Diese Väter konnten noch nicht einmal gerichtlich überprüfen lassen, ob es aus Gründen des Kindeswohls angezeigt ist, ein gemeinsames Sorgerecht einzuräumen oder ihnen sogar die Alleinsorge für ihre Kinder zu übertragen.

2009 rügt dann der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte dies als Verletzung der Europäischen Menschenrechtskonvention. Schließlich entscheidet das Bundesverfassungsgericht im Juli 2010, dass nicht verheiratete Väter das Recht haben, das gemeinsame Sorgerecht vor Gericht zu erwirken, ohne dass die Mutter dies verweigern kann. Weil das Bundesverfassungsgericht offensichtlich Erfahrung mit der Geschwindigkeit bei der Umsetzung seiner Entscheidungen durch den Gesetzgeber hat, ordnete es ein Übergangsverfahren an. Bis zum Inkrafttreten einer Neuregelung des Sorgerechts hat das Familiengericht auf Antrag eines Vaters beiden Elternteilen die Sorge für das Kind zu übertragen, wenn dies nicht dem Kindeswohl entgegensteht.

Seit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts von vor fast zwei Jahren sind wir Parlamentarier aufgefordert, die Frage des gemeinsamen Sorgerechts in diesem Sinne neu zu regeln. Dass die Bundesregierung dafür keinen eigenen Lösungsansatz vorlegt, ist schon seltsam genug. Zum einen hat das Bundesverfassungsgericht in den Gründen so klare und eindeutige Vorgaben gemacht, dass es selbst für Nichtjuristen möglich sein sollte, einen entsprechenden Gesetzestext oder Antrag zu formulieren. Zum anderen interessiert die Frage der Neuregelung der gemeinsamen elterlichen Sorge sehr viele Menschen in diesem Land; der Kollege Lischka hat die Zahlen schon genannt. Es sind nicht nur die Rechte der betroffenen Väter herzustellen, sondern damit hängen auch Rechte der Kinder zusammen, zum Beispiel hinsichtlich ihrer Beziehungen zu Großeltern und anderen Verwandten.

Die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen hat bereits vor mehr als einem Jahr einen Lösungsvorschlag unterbreitet, wie aus ihrer Sicht eine verfassungskonforme Regelung aussehen könnte, die den sich ändernden Familienformen in unserem Land Rechnung trägt. Was aber passiert in den zuständigen Ausschüssen? Der federführende Rechtsausschuss geht geschlagene neun Monate mit dem Antrag schwanger – es geht ja auch um das Sorgerecht –, bevor er ihn das erste Mal überhaupt auf seine Tagesordnung setzt. Da kann man sich gut vorstellen, mit welcher Dringlichkeit das Votum des mitberatenden Familienausschusses angefordert worden ist.

Andererseits – das muss man an dieser Stelle auch sagen – hat die Fraktion Bündnis 90/Die Grünen selbst beantragt, die weiteren Beratungen zu vertagen. Sich dann nach wochenlangem Warten hinzustellen und nach dem Stand der Beratungen zu fragen, ist schon ein bisschen seltsam.

(Beifall bei der LINKEN – Ingrid Hönlinger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Legen Sie für die Linke doch mal selbst was vor!)

Ich finde, Ihr Umgang mit einem so sensiblen und emotional besetzten Thema ist ein Armutszeugnis für die parlamentarische Arbeit.

(Beifall bei der LINKEN – Katja Dörner [BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN]: Sie haben keinen Antrag und keine Ahnung, wie Sie es machen wollen!)

Inzwischen liegen auch Anträge der SPD zum Sorgerecht vor. Meine Fraktion wird nächste Woche einen Antrag zur Neuregelung des Sorgerechts ins Parlament einbringen,

(Ingrid Hönlinger [BÜNDNIS 90/DIE GRÜ- NEN]: Wir freuen uns darauf!)

der dann möglicherweise die von allen geforderte Brücke zwischen den einzelnen Anträgen schlägt, damit wir zügig zu einer Neuregelung kommen. Ich hoffe, dass die heutige Debatte dazu beiträgt, die Beratungen der Anträge noch vor der Sommerpause zu ermöglichen und die beste Lösung für die betroffenen Kinder und Eltern zu finden. Denn es ist unsere Aufgabe, für die Probleme der Menschen in diesem Land zügig Lösungen zu finden.

Ich danke Ihnen.