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Gerichtssprache Englisch?

Rede von Jens Petermann,

130. Sitzung des Deutschen Bundestages, 29. September 2011
TOP 22: Entwurf eines Gesetzes zur Einführung von Kammern für internationale Handelssachen
Drucksache 17/2163
Fraktion DIE LINKE Jens Petermann - Rede zu Protokoll

Sehr geehrte(r) Frau/Herr Präsident(in), meine sehr verehrten Damen und Herren,
das vorliegende Gesetzesvorhaben soll dem Ansehen des Gerichtsstandortes Deutschland dienen und bedeutende wirtschaftsrechtliche Verfahren anziehen. Das will man durch die Einrichtung von Kammern für internationale Handelssachen bei den Landgerichten erreichen, die ihre Verhandlung in englischer Sprache führen sollen. Die nächst höhere Instanz darf dann in englischer oder deutscher Sprache verhandeln und gegebenenfalls einen Dolmetscher hinzuziehen.
Man argumentiert, dass der Gerichtsstandort Deutschland unter der ausschließlichen Verwendung der deutschen Sprache leide. Eine Behauptung, die angesichts der schlechten Personallage an deutschen Gerichten an der Realität vorbeigeht. Der Gerichtsstandort Deutschland leidet nämlich nicht unter der Gerichtssprache, welche aus gutem Grund Deutsch ist, sondern unter einer quantitativen und finanziellen Unterausstattung der Gerichte und Justizbehörden. Ein Umstand, der aufgrund der gleichzeitig sehr angespannten Situation auf dem Arbeitsmarkt für Juristen und Juristinnen gleich doppelt schmerzlich ist.
Die Behauptung, zahlreiche Richterinnen und Richter würden die englische juristische Fachsprache bereits hervorragend beherrschen, halte ich für fraglich. Jedenfalls trifft es nicht zu, dass mittlerweile eine Vielzahl von Richtern über Auslandserfahrung im englischsprachigem Ausland und über einen LL.M-Titel verfügen. Das sind wohl eher die Ausnahmen. Der Gesetzentwurf selbst räumt die Notwendigkeit ergänzender Fortbildungen der Richterinnen und Richter sowie auch des nichtrichterlichen Personals ein, die im Falle einer Umsetzung auch notwendig sein wird. Ein deutlicher Mehraufwand und eine hohe zusätzliche Belastung für das Personal sind hier vorprogrammiert. Im Gegenzug erwartet man gesteigerte Gebühreneinnahmen durch die angestrebte Attraktivitätssteigerung. Meine Richterkollegen in Thüringen haben übrigens vornehmlich Handelssachen mit osteuropäischem Bezug zu verhandeln. Mit der Einführung der englischen Sprache für alle internationalen Handelssachen, müssten sich in solchen Verfahren alle Beteiligten in einer Fremdsprache verständigen. Das wäre eine deutliche Verschlechterung gegenüber dem status quo, bei dem sich nur eine Partei auf eine Fremdsprache einstellen muss.
Höchst fraglich ist aber auch, ob das vorliegende Gesetz überhaupt mit dem im Gerichtsverfassungsgesetz normierten Öffentlichkeitsgrundsatz vereinbar wäre. Um diesem zu genügen, müssen Gerichtsverfahren für jedermann verständlich sein und dementsprechend auf Deutsch vollzogen werden. In der Begründung zum Gesetzentwurf wird dies mit dem Hinweis auf eine Umfrage bestritten, in der 67 Prozent der Befragten angaben, dass sie Englisch „einigermaßen gut“ sprechen und verstehen können. Hier wird zum einen nicht berücksichtigt, dass die juristische Fachsprache deutliche Besonderheiten aufweist und dementsprechend längst nicht jede, des Englischen mächtige Person einer auf Englisch gehaltenen Gerichtsverhandlung folgen könnte. Zum anderen wäre es verfassungsrechtlich bedenklich, wenn nur ein sprachlich entsprechend vorgebildeter Teil der Bevölkerung die Kontrollfunktion der Öffentlichkeit tatsächlich ausüben könnte. Es ist ja gerade der Sinn der Kontrollfunktion des Öffentlichkeitsgrundsatzes, die gesamte Bevölkerung zu beteiligen und niemanden auszuschließen. In einer Demokratie muss die Justiz als dritte Gewalt für jedermann verständlich bleiben.
In dem Gesetzentwurf wird ferner behauptet, dass ausländische Vertragspartner und Prozessparteien den Gerichtsstandort Deutschland trotz international hoher Anerkennung für die deutsche Justiz meiden würden, um nicht in einer für sie unverständlichen Sprache verhandeln zu müssen. Tatsache ist jedoch, dass heutzutage viele Rechtsanwaltskanzleien, insbesondere die ohnehin international tätigen, längst über mehrsprachiges Personal verfügen. Der Zugang zu deutschen Gerichten für internationale Mandanten ist mithin über die sie vertretenden Kanzleien bereits möglich. Die einzigen, die zweifelsfrei einen zählbaren Nutzen durch dieses Gesetz haben dürften, sind eben diese mit englischsprachigen Mandaten betrauten Anwaltskanzleien, die einen großen Teil ihrer lästigen Übersetzungsarbeit auf die Gerichte abwälzen könnten.
Die Initiatoren dieses Gesetzes gehen davon aus, dass es durch die angeblich steigende Attraktivität des Gerichtsstandortes Deutschland zu einer Zunahme an Verfahren mit hohen Streitwerten kommen wird. Dabei werden Gebühreneinnahmen erwartet, die die Kosten der Umstellung auf die englische Sprache bei weitem übersteigen. Das freut die Finanzminister der Länder. Auf Grund ihrer verfassungsmäßigen Verankerung im Grundgesetz darf die Justiz als dritte Gewalt des Staates nicht an finanziellen Interessen und Kostendeckung gemessen werden.
Auch die Bundesregierung bemerkt in Ihrer Stellungnahme zum vorliegenden Gesetzentwurf, dass sich im praktischen Vollzug erst noch erweisen müsse, ob für gerichtliche Verfahren dieser Art überhaupt ein tatsächlicher Bedarf bestehe. Diese Experimentierfreudigkeit ist völlig fehl am Platze. Letztlich bleibt festzuhalten, dass man die ohnehin äußerst begrenzten Mittel die der Justiz zur Verfügung stehen, nicht durch solch unnötige und verfassungsrechtlich bedenkliche Maßnahmen weiter strapazieren sollte. Viel wichtiger wäre es endlich die bestehenden Probleme anzupacken und das den Gerichten zur Verfügung stehende Personal deutlich aufzustocken. Nur so kann eine effektive Arbeit an den Gerichten weiterhin gewährleistet werden. Und nur dann bleibt auch die in diesem Gesetzentwurf angeführte hohe internationale Anerkennung der deutschen Justiz erhalten.