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Genossenschaften aktiv fördern, Mitgliedschaften erleichtern und unterstützen

Rede von Johanna Regina Voß,

Frau Präsidentin! Sehr geehrte Damen und Herren!
Das Jahr der Genossenschaften geht nun zu Ende. Zahlreiche Publikationen hat es gegeben, zahlreiche Veranstaltungen und Filmreihen haben stattgefunden. Eine Wahlkreisreise per Rad zu solidarischer Ökonomie hat mir gezeigt, wie viel sich tut: Eine-Welt-Läden, weitere Läden, neue Energiegenossenschaften, Jugend- und Beschäftigungsprojekte und mehr.
Die Linke und die anderen Oppositionsfraktionen haben hier im Parlament sowohl in dieser Legislaturperiode als auch schon davor dazu fleißig gearbeitet, etwa in Form von Anfragen. Es gab auch eine Genossenschaftskonferenz der Linken.
Die UNO hat mit dem Jahr der Genossenschaften mehr verbunden als den Wunsch, dass gefeiert wird. Sie hat eine Resolution mit einem Arbeitsauftrag verabschiedet. Sie fordert alle Mitgliedsländer auf, bekannt zu machen, welche Beiträge Genossenschaften zur Beseitigung von Armut und zur Sicherung des Lebensunterhalts leisten können. Sie fordert die Mitgliedstaaten auf, Genossenschaften zu fördern. Sie fordert dazu auf, die Rechts- und Verwaltungsvorschriften für Genossenschaften zu überprüfen und die Bestandsfähigkeit von Genossenschaften zu stärken. Und da fehlt was.
Dass wir hier heute überhaupt über Genossenschaften und den diesbezüglichen Reformbedarf sprechen, ist der geleisteten parlamentarischen Arbeit und den Anträgen der Opposition zu verdanken.
Inzwischen sind Genossenschaften aber auch mehr und mehr zum Lückenbüßer geworden, nämlich dort, wo kaputtgesparte und durch Schuldenbremsen drangsalierte Kommunen ihre Aufgaben in der öffentlichen Daseinsvorsorge nicht mehr wahrnehmen können. Genossenschaften sollen aber die öffentliche Daseinsvorsorge nicht ersetzen; sie dürfen nicht Lückenbüßer sein. Wir brauchen sozialen Wohnungsbau, gesicherte Gesundheitsversorgung, öffentliche Büchereien und Schwimmbäder auch ohne genossenschaftliche Beteiligung.
(Beifall bei der LINKEN)
Auch dank vieler neuer Energiegenossenschaften, die zur Regionalisierung der Energieversorgung und zum Umstieg auf erneuerbare Energien beitragen, steigt die Anzahl der Genossenschaftsgründungen nun wieder. Aber das darf nicht darüber hinwegtäuschen, dass Genossenschaften weit mehr Auftrieb erhalten könnten und sollten.
Was sind die Hindernisse?
Ein ganz wichtiges Hindernis ist: Für viele Selbsthilfeprojekte sind die Kosten zu hoch. Sie können die Gründungskosten und die Prüfungskosten nicht schultern.
Ein weiteres Hindernis: Genossenschaften sind bei Fördermaßnahmen benachteiligt. Fördermaßnahmen sind oft auf individuelle, selbstständige Tätigkeiten zugeschnitten Ingo Egloff hat das gerade gut ausgeführt , und sie stehen für kollektive Lösungen nicht zur Verfügung.
Noch etwas: Bildung über Genossenschaften wird in Schulen, in der Berufsausbildung und auch an Universitäten stiefväterlich behandelt. Sie gehört aber unbedingt in die Curricula.
Diese Nachteile gehören beseitigt! Bitte denken Sie auch daran!
(Beifall bei der LINKEN)
Seit 2006 gibt es für kleine Genossenschaften mit einer Bilanzsumme bis 1 Million Euro und einem Umsatz bis 2 Millionen Euro Erleichterungen bei den umfassenden Jahresabschlussprüfungen. Dass dies nicht reicht, hat die Linke schon damals kritisiert und eine weitergehende Befreiung gefordert. Weil kleine Genossenschaften immer noch regelrecht totgeprüft werden, wählen viele Initiativen andere Rechtsformen. Sie konstituieren sich beispielsweise als eingetragener Verein, wie dies zahlreiche Weltläden oder Dorfläden, auch in meinem Wohnort, tun.
Die Reform von 2006 wurde im Jahr 2009 evaluiert. Es wurde empfohlen, weitere Erleichterungen zu schaffen. Im Mai dieses Jahres sprach der Petitionsausschuss eine ähnliche Empfehlung aus. Von Schnellschuss kann also keine Rede sein. Ich sage, dass sich die Regierung hier Versäumnisse vorwerfen lassen muss und nachliefern sollte. Alljährlich hat die Bundesregierung angekündigt, dass sie hierzu noch einen Gesetzentwurf vorlegen wird. Im November 2011 kündigte sie das in einer Antwort auf eine Frage der Kollegin Hönlinger an. Auch in der Antwort auf die Kleine Anfrage der Linken im Sommer dieses Jahres hat sie das angekündigt. Heute wieder. Ich frage Sie: Wann legen Sie endlich einen Entwurf vor? Gibt es beim Thema Genossenschaften von Ihnen noch etwas anderes als Ankündigungen?
(Beifall bei der LINKEN)
Leider ist auch nicht überall, wo Genossenschaft drauf steht, Genossenschaft drin. In den letzten beiden Novellen wurden die Rechtsgrundlagen der Genossenschaften immer mehr denen von Kapitalgesellschaften angepasst. Wir wollen die Demokratie in Genossenschaften wieder stärken und die Rechte der Generalversammlung und der Mitglieder wieder ausbauen.
(Beifall bei der LINKEN)
Auch den Einfluss sogenannter investierender Mitglieder auf die Geschäftspolitik wollen wir beschränken; denn hier geht es vor allem um die Dividende und nicht um das Wohl der Mitglieder.
(Beifall bei der LINKEN)
Zu den Agrargenossenschaften. Rund 850 Agrargenossenschaften gibt es in Ostdeutschland. Sie haben dort in der Landwirtschaft einen Anteil von 27 Prozent. Sie produzieren gemeinschaftlich, betreiben keinen Raubbau im Interesse kurzfristiger Renditen. Sie erhalten und schaffen Arbeitsplätze im Dorf, bilden Lehrlinge aus und erbringen Leistungen für das Dorf; und das alles in einer weitgehend demokratischen Wirtschaftsform nach dem Prinzip: ein Mann/eine Frau - eine Stimme.
(Beifall bei der LINKEN)
Agrargenossenschaften mit gelebten genossenschaftlichen Prinzipien sind Vorbild für eine zukunftsfähige Landwirtschaft. Sie produzieren nachhaltig, ökologisch, tiergerecht und auch effizient. Deshalb müssen sie in ihrer Besonderheit gestärkt werden. Sie dürfen nicht zu verkleideten Kapitalgesellschaften mutieren.
(Beifall bei der LINKEN)
In der Agrarpolitik dürfen sie nicht diskriminiert werden. Wir wollen eine stärkere Berücksichtigung der Genossenschaften bei der Weiterentwicklung der Gemeinsamen Agrarpolitik der EU
(Beifall bei der LINKEN)
und in der Bodenpolitik, vor allem bei der Privatisierung der BVVG-Flächen. Sie brauchen auch Schutz vor feindlichen Übernahmen durch Kapitalgesellschaften.
(Beifall bei der LINKEN)
Die Potenziale der Genossenschaften sollten in der Agrarressortforschung und in der Agrarberichterstattung stärker als bislang berücksichtigt und präsentiert werden.
(Beifall bei der LINKEN)
Zu den Wohnungsgenossenschaften. Heidrun Bluhm hat Einiges dazu bereits gesagt.
Ich danke meiner Namenskollegin Elisabeth Voß für ihre geleistete Arbeit und für ihr Buch. Sie hat viel für die Genossenschaften und die Verbreitung der guten Gedanken, die mit dieser Bewegung verbunden sind, getan. Das internationale Jahr der Genossenschaften geht nun zu Ende. Da heißt es für die Bundesregierung: Liefern! Nicht immer nur ankündigen, liefern!
(Beifall bei der LINKEN)